Studiengebühren – Wie war es wirklich

Kalt ist es an diesem Morgen vor dem Bundesverfassungsgericht. Die Frauen und Männer des Bundesgrenzschutzes vertreten sich die Füße, um wenigstens noch ein wenig Wärme im Körper zu behalten. Am Eingang des Gebäudes drängen sich die Besucher.

Einige Studenten sind darunter. Auf diese stürzen sich die Rundfunkteams, denn keine Demonstranten sind hinter den Absperrungen zu sehen. Auch der letzte Funke Hoffnung scheint aus den noch letzten Sommer tapfer deutschlandweit gegen Hochschulgebühren demonstrierenden Studenten gewichen zu sein.

Im Vorraum des Gerichtes ist eine größere Hektik. Kamerateams von ARD, ZDF oder PRO7/N24 suchen noch die letzten Interviewpartner vor der Urteilsverkündung zum Normenkontrollantrag zur Prüfung des Sechsten Gesetzes zur Änderung des Hochschulrahmengesetztes, in dem der Bund ein Verbot von Studiengebühren für das Erstsemester vorschreibt.

Gegen dieses Gesetz hatten die unionsregierten Länder Baden-Württemberg, Bayern, Hamburg, Saarland, Sachsen und Sachsen-Anhalt Klage erhoben. Sie wollten sich ihr Mitspracherecht in Sachen Bildung nicht nehmen lassen.
Im Sitzungssaal im zweiten Stock werden alle Anwesenden platziert. Auf der linken Seite der Richterbank sitzt in linientreuem Rot gekleidet Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn. Zur Rechten als Vertreter der klagenden Länder die jeweiligen Wissenschaftsminister.

Siegessicher stellen sie sich noch kurz für ein Gruppenfoto zusammen. Dann pünktlich um zehn Uhr tritt plötzlich Ruhe ein im Saal. Ein Gerichtsdiener kündigt an: „Meine Damen und Herren, der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts.“ Aus einer Hinterkammer betreten die acht Verfassungsrichter den Raum. Eine gespannte Stimmung herrscht im Saal. Alle erwarten das Urteil.

Nachdem der Vorsitzende Richter Winfried Hassemer die Vertreter der verschiedenen Parteien aufgerufen hat kommt er zur Urteilsverkündung. Das Gericht befindet, dass das Hochschulrahmengesetz mit dem Grundgesetz „unvereinbar und nichtig ist“, erklärt Richter Hassemer. Diese Entscheidung sei aber „keine Frage, ob Studiengebühren verfassungsgemäß sind. Und es bestand auch nicht die Frage, ob Studiengebühren politisch vernünftig sind. Die Frage war, ob der Bund zu dem Verbot befugt war und wir sagen nein,“ so Hassemer.

Damit war das Wichtigste gesagt. Es folgte noch eine 45-minütige Begründung zu dem Urteil, in der Richter Hassemer auch die Verantwortung, die nun in den Händen der Länder liegt, ansprach. Nachdem die Verfassungsrichter den Saal wieder verlassen hatten, brach erneut Hektik aus. Kein Journalist wollte sich ein Interview entgehen lassen. Bildungsministerin Bulmahn nahm zerknirscht Stellung. „Nachdem die Länder jetzt die Verantwortung haben, müssen sie der auch gerecht werden. Jugendliche aus einkommensschwachen Familien müssen trotzdem noch studieren können. Mein Appell an die Länder ist jetzt, dass sie keine großen Unterschiede vornehmen. Das Studium muss mobil bleiben innerhalb Deutschlands.“

Der baden-württembergische Wissenschaftsminister Peter Frankenberg hat Klage der Länder koordiniert. Er möchte nun „so schnell und solide wie möglich die Studiengebühren in Baden Württemberg einführen. Aber wir wollen nicht ‚huddeln‘ dabei. Studenten, die das Geld nicht aufbringen können, können beim Land voraussichtlich Kredite aufnehmen und diese dann bei einem erreichten Mindesteinkommen wieder zurück-zahlen.“

Bildung auf pump. Eine Errungenschaft des Sozialstaates wird zu Grabe getragen. Doch so schlimm finden viele Studenten die auf sie zu rollenden Gebühren dann doch wieder nicht. Johanna Heisler, 23, studiert Chemie an der Universität Ulm. Sie erklärt, was sie an Gebühren gut findet. „An sich find ich die Gebühren nicht schlecht, wenn sie zur Verbesserung des Studienklimas beitragen würden. Sprich also, dass mehr Lernräume, mehr Lehrmaterialien, kleinere Betreuungsgrup-pen bei Praktika und so weiter zur Verfügung stehen.“ Doch mit den konkreten Planungen, die bisher am laufen sind, ist sie nicht einverstanden. „Deutschland ist, im Gegensatz zu anderen Ländern, wo es lange schon Studiengebühren gibt, nicht so darauf vorbereitet. Bei uns sind die Vorraussetzungen noch nicht dafür geschaffen. Also könnte es sein, dass sich einige Leute das Studieren nicht mehr leisten können, denn mehr BAföG wird auch nicht gezahlt,“ erzählt Heisler.

Wenn die Studiengebühren bis zum Wintersemester 2006/2007 wirklich kommen sollen, dann gehören die derzeitigen Elftklässler zu den ersten, die das ganze Studium zahlen müssen. Da bleibt noch wenig Zeit um Vorsorge zu treffen. Die schon jetzt Studierenden haben es da aber kaum einfacher. „Für mich heißt das dann halt erst mal versuchen, nebenher noch ein wenig mehr arbeiten zu gehen,“ meint Heisler.
Auch Daniel Stoffel, 22, Maschinenbaustudent aus Karlsruhe, hat nicht nur Schlechtes an den Gebühren auszusetzen. „Man kann von niemandem verlangen, dass er einem die Ausbil-dung ganz finanziert. Doch es wäre total an der Sache vorbei, wenn das Geld nicht in die Hochschulen läuft.“ Aber auch er hat seine Probleme mit den derzeitigen Konzepten. „Wenn meine Schwester ihr Studium beendet und ins Berufsleben einsteigt, ist mein BAföG nicht mehr gesichert. Das kann noch eine heikle Sache werden.“

Die große Befürchtung nach dem Urteil ist jetzt, dass die unterschiedlichen Regelungen in den einzelnen Bundesländern zu einer Wanderung von Studenten aus gebührenerhebenden Ländern zu gebührenfreien einsetzt. Darin sehen die Unionspolitiker jedoch keinen Nachteil, sondern sogar eine Chance. „Der Wettbewerb zwischen den Universitäten ist ja ein Ziel, das wir verfolgen,“ erklärt Wissenschaftsminister Frankenberg. Wenn weniger Studenten an einer Universität die Do-zenten in Anspruch nehmen, dann verbessert sich die Lehre. Doch einkommensschwachen Studenten haben keine andere Wahl. „Die Gleichberechtigung unter den Studenten geht mit den Studiengebühren verloren,“ sagt Stoffel weiter.
Auch für Mareike Lieber, 24, Medizinstudentin aus Freiburg ist die Gleichwertigkeit zwischen den Ländern, die vom Bundesverfassungsgericht als nicht angegriffen gesehen wird, nicht mehr gegeben. „Ich hab mich zwar darauf vorbereitet, dass das Urteil so ausfällt, aber ich bin trotzdem enttäuscht.“

Jetzt darf man gespannt sein, wie die Studenten reagieren. Der Freie Zusammenschluss der StudentInnenschaften hat schon die ersten Großdemonstrationen für den 3. Februar angekündigt. In vier zentralen Städten gleichzeitig, Hamburg im Norden, Leipzig im Osten, Essen im Westen und Mannheim im Süden, hofft man darauf eine große Anzahl von Protestierende zu mobilisieren. Die Studenten haben doch noch nicht das Handtuch geworfen.

Ein Live-Bericht von: Sebastian Demel

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