02. Oktober, Köln. Das Wetter ist nebelig, ungemütlich und kalt. Ideal fürden Tourstart der Tocotronic-Herbsttour, die sich nun einen Monat durch das Land ziehen wird. So werden im E-Werk die Flaggen gehisst, fürs Erste die billigen Kapitulation-Wortspiele überBord geworfen, Neuerungen wie Toilettenkabinen im unbekritzelbaren schwarzem Gewand festgestellt und die Herbstsaison eingeläutet.
Aller Anfang ist schwer, so auch Troy von Balthazar. Steht er dort alleine auf der Bühne, die Gitarre umgeschnallt und die Effektgeräte zu seinen Füßen. Den ersten Songverzerrt er dank Gesangsverstärker bis ins Unhörbare. Anstrengend wäre auch eine passende Beschreibung und so interessant der DIY-Charakter dieser Elektrofrickeleien ist, umso mehrstellt man sich die Frage, ob das nun Kunst, Musik oder einfach nur schlecht ist. Dennoch ist es mehr als charmant, wie der gebürtige Hawaiianer einfach mal ein Aufnahmegerät, auf dem dieMelodie im originellen Lo-Fi-Sound erklingt, herausholt, ans Mikro hält und nur den Gesang als Beilage leistet. Wenn Johann König Musik machen würde, käme er auf den gleichenNenner wie Troy von Balthazar – Extrempunkte in Richtungen, die man vorher noch nicht kannte. So passt er schließlich ideal zu Tocotronic,die auch so viele Möglichkeiten offen lassen, sie zu hassen und gleichzeitig dieses Gefühl hinterlassen, dass dort welche sind, die man einfach nur Freunde nennen möchte.
Doch genug von der Unterstützung – her mit den Gastgebern. Ohne großen Einmarscherklingt „Mein Ruin“ und auf einmal steckt jeder mit drin, in allem was diesen Tocotronic-Kosmos ausmacht. Da darf man der Tanzaufforderung von Sänger Dirk von Lowtzowbei „Hi Freaks“ Folge leisten, muss man aber nicht. Da darf man auch einfach mal die Faust bei „Sag alles ab“ in den Himmel werfen, muss man abernicht. Man darf eben alles machen, aber man muss es nicht und gerade das ist wichtig. Hier steht keine Szene mehr dahinter, die unbedingt die alten Trainingsjacken auspacken müssen, um zuzeigen, dass früher alles besser war. Hier sind Menschen mit zeitlosem Alter zusammengekommen, denen diese Musik viel, wenig oder eben etwas dazwischen bedeutet. Und Tocotronic leisten wie immerihr Maß an Qualität, mittelgut einfach.
Natürlich liefert das aktuelle Album „Kapitulation“ einengroßen Teil der Songauswahl und man kommt nicht drum herum Musikproduzenten Moses Schneider (Beatsteaks, Turbostaat, Kante) einen Dank dafür auszusprechen, dass er es geschafft hat diesenLivecharakter so perfekt einzufangen. Spätestens wenn dann „Free Hospital“ seine Welturaufführung feiert, lehnt man sich zurück, um mit „Explosion“ in die erste Zugabe zu gehen und dann ein paar Songs später vor dem letzten Song des Abends zu stehen. „Freiburg„, damals die Eröffnung der“Digital ist besser„-Platte, die so viel bewegt hat, ist heute der Abschluss. Gitarren auf dem Boden, ein Dirk von Lowtzow, der „Music is the healing force ofuniverse“ in die Halle schreit und alles macht den Eindruck, als sei selbst Progressive hier nicht genug der Beschreibung. Ob das jetzt das Konzert des Jahres war, der „Flop überhaupt“oder wieder irgendwas dazwischen, bleibt jedem selbst überlassen, doch in einer Sache sollte man Tocotronic immer noch Recht geben: Backgammon-Spieler darf man hassen.