Review: Max Payne 3 (Xbox 360)

One Hell of a Hangover

Nach neun Jahren geht Max Payne wieder auf Verbrecherjagt – Polizeibrutalität ist vorprogrammiert. Durch eine glückliche Fügung ist Max aber kein Polizist mehr, sondern Bodyguard im sonnigen São Paolo. Da es neben einem Szenen- auch einen Entwicklerwechsel gab, stellt sich gerade für Fans der Klassiker nun die Frage: Ist Max Payne noch „Max Payne“?

An Echo of the Past

Nach dem Tod von Mona Sax verließ Max Payne endgültig das L.A.P.D. und gab sich einem Mix aus Schmerzmitteln, Alkohol und leichten Mädchen hin. Doch ein Zwischenfall in einer Bar, im Zuge dessen der Sohn eines mächtigen Mafiosi erschossen wird, sollte alles ändern. Plötzlich muss Max New York schnell verlassen, da jeder Kleinkriminelle auf seinen Kopf aus ist. Durch einen alten Bekannten bekommt er einen Job als Bodyguard für eine einflussreiche Industriellenfamilie im brasilianischen São Paolo – nichtsahnend, dass er zur Schlüsselfigur eines politischen Machtspiels geworden ist, das weder Regeln hat, noch Gnade kennt.

Ganze neun Jahre hat es gedauert, den Philosophen unter den Shooter-Helden aus dem Ruhestand zu holen. Da Remedy Entertainment, der ursprüngliche Entwickler von „Max Payne“, mit der Franchise abgeschlossen hat, entstand der dritte Teil beim Lizenzinhaber Rockstar Games, welcher der Serie seinen ganz eigenen Stempel aufdrückte. Lasst euch von der altbekannten „Bullet Time“ oder James McCaffrey, der dem gebeutelten Ex-Cop zum ein weiteres Mal Stimme und Aussehen leiht, nicht täuschen: Wo „Max Payne“ draufsteht, ist nicht unbedingt „Max Payne“ drin.

Die ersten beiden „Max Payne“-Abenteuer waren schnelle, schnörkellose Shooter. Schleichen, das kalkulierte Einteilen von Munition oder langsames Vortasten von Deckung zu Deckung – nichts davon war Max Paynes Stil. Mr. Payne bevorzugte eine direktere Taktik – heißt: mitten ins Geschehen springen und um sich schießen. Realismus aus, Cineastik an – brachiale Action, kühles Film Noir-Flair und viel Liebe zum Detail, das war „Max Payne“, als Remedy Entertainment noch für die Serie verantwortlich war. Leider scheint Rockstar geistig immer noch bei „GTA IV“ festzuhängen – und wiederholt die gleichen Fehler, welche mir schon 2008 den Spaß an einer Serie genommen haben, die durch ihren Mangel an Realismus nur profitiert hat.

Max Payne 3

With practiced Bravado

„Max Payne muss realistischer werden!“ – das schien die grundsätzliche Strategie bei der Entwicklung des dritten Teils gewesen zu sein. Aus diesem Grund geht natürlich nicht mehr, dass Spieler wie Kaninchen durch die Gegend hüpfen – nach jedem Hechtsprung liegt Max erst einmal auf dem Boden und muss wieder auf die Beine kommen. Die Euphoria-Engine von NatualMotion sorgt dafür, dass Max‘ Bewegungsabläufe flüssig und realitätsnah dargestellt werden. Und, zugegeben: Es sieht einfach super aus, wenn sich Max nach einem Hechtsprung erst abstützt und sich anschließend langsam wieder aufrichtet. Das Problem ist nur: Die „realistischen“ Bewegungen dauern recht lange. Während der zähen Aufsteh-Animation ist Max zudem nicht unverwundbar, weshalb ihr euch, anders als früher, nicht mehr hechtend fortbewegen könnt, da ihr auf diese Weise sehr schnell ins Gras beißt.

Dies schien auch Rockstar klar gewesen zu sein, weshalb sie euch kurzerhand dazu „zwingen“, das Feature zu nutzen, indem ihr während eines Hechtsprungs immer Bullet Time zur Verfügung habt – ob eure Anzeige voll ist oder nicht -, was euch in vielen Fällen das Leben retten kann. Da ein solcher Sprung aber zugleich ein großes Risiko darstellt, dürfte er euch auch besagtes Leben ebenso oft kosten.

Max Payne 3

Stichwort Leben retten: Eine Neuerung in „Max Payne 3“ ist „Last Stand“ – werdet ihr tödlich getroffen, geht ihr zu Boden. Seid ihr im Besitz von Schmerzmitteln, wird automatisch Bullet Time aktiviert und ihr habt einen Augenblick Zeit, den Gegner, der euch „getötet“ hat, zu beseitigen. Gelingt euch dies, habt ihr dem Bildschirmtod ein Schnippchen geschlagen, seid aber um eine Dosis Schmerzmittel ärmer. Klingt theoretisch interessant, ist praktisch aber mehr oder weniger unbrauchbar, da das Spiel sehr selektiv ist, wann es zum Last Stand kommt. Manchmal werdet ihr bei fast voller Lebenskraft mit einem einzigen Kopf- oder Herztreffer abserviert – kein Last Stand, sondern direkt „Game Over“. Wenn ihr nicht gerade hinter einem Objekt landet, durch das ihr nicht schießen könnt, macht euch die Euphoria-Engine wieder einen Strich durch die Rechnung, da es schon mal ewig dauern kann, bis sich Max in Position für einen glatten Schuss gebracht hat – länger, als euch das Spiel Zeit lässt.

One Bullet at a Time (wortwörtlich)

Leider ist die Integration von Euphoria bloß der stichhaltigste Beweis, dass Rockstar überhaupt nicht verstanden hat, worum es bei „Max Payne“ geht. Statt brachialer Action ist das Suchen von Deckung angesagt, um Gegner stückweise aufs Korn zu nehmen. Jawohl, liebe Leser, wir bekommen einen weiteren Deckungs-Shooter präsentiert! Das schnelle, unkomplizierte Gameplay, das die Serie einst ausmachte, wurde komplett verworfen. Wer kopflos einen Raum voller Gegner stürmt, stirbt – dem Feigling, der sich hinter einem Schreibtisch versteckt und seine Kontrahenten stückweise beseitigt, gehört der Sieg. Rockstar versteht es wirklich, Markt-Nischen auszuloten, denn wenn es uns im Jahr 2012 an etwas mangelt, dann an Deckungs-Shootern! Doch das Schlimmste kommt noch: Als Deckungs-Shooter ist „Max Payne 3“ nicht State-of-the-Art – nicht einmal ansatzweise!

Max Payne 3

Trotz der aufwendigen Implementierung von Euphoria fühlt sich das Gameplay steif und hölzern an – insbesondere, weil die Cover-Mechanik nahezu 1:1 von „GTA IV“ übernommen wurde. Liegt man nach einem Hechtsprung oder einem Last Stand auf dem Boden, ist ein fließender Wechsel zur nahen Deckung nicht möglich – man muss erst aufstehen und gerät dabei natürlich unter Beschuss. In Deckung kann Max nicht um Kanten herumgleiten, sondern muss wieder extra aufstehen und unfreiwillig Treffer einstecken. Auch ein rascher Wechsel von einer Deckung zur anderen ist nicht möglich (z.B. durch eine Rolle oder einen Hechtsprung). Angesichts der Flut an Deckungs-Shootern, die seit 2006 über uns hereinbrach, wirkt „Max Payne 3“ äußerst altbacken und hakelig – zu viele andere Third-Person-Shooter haben ein wesentlich flüssigeres Gameplay. Die Konkurrenz ist gewaltig – wieso sollte ich mir Rockstars Shooter-Experiment antun, wenn ich ebenso gut ein „Gears of War 3“ spielen kann, wo die Cover-Ballerei einfach besser flutscht?

Nicht minder störend sind einige Kleinigkeiten, die im Zuge der acht- bis zwölfstündigen Kampagne zunehmend an den Nerven des Spielers sägen. So wird nach Cutscenes beispielsweise immer automatisch zur Pistole (oder einem Equivalent) gewechselt – egal, welche Waffe man vorher ausgewählt hat. Irgendwann hat man sich daran gewöhnt, was es aber nicht besser macht. Wenn wir schon beim Thema Waffen sind: Konntet ihr in den Vorgängern noch munter Items sammeln, verliert ihr nun regelmäßig euer gesamtes Equipment – spätestens am Ende jedes Levels, meist aber sogar zwischendurch. Dies bewirkt an einige Stellen eine akute Munitionsknappheit, da Gegner bereits auf normalem Schwierigkeitsgrad durchaus ein ganzes Uzi-Magazin in den Torso einstecken, ohne mit der Wimper zu zucken.

Sterbt ihr mehrmals hintereinander (und das werdet ihr unweigerlich), bekommt ihr vom Spiel irgendwann „Almosen“ in Form einer zusätzlichen Dosis Schmerzmittel hingeworfen. Klar, eine gute Lösung gegen Frust, allerdings fühlte ich mich dadurch von den Entwicklern regelrecht beleidigt. „Awww, bist du zu schlecht? Komm, lass dir helfen, sonst wird das nichts!“ – na schönen Dank auch. Ich hatte im Zuge meines Durchgangs außerdem wiederholt das Bedürfnis, all meine Verbündeten brutal zu ermorden, weil sie mich im Fünf-Sekunden-Takt aufforderten, nicht zu trödeln, sollte ich es gewagt haben, mir kurz die zugegeben schöne Landschaft anzusehen. Da es in „Max Payne 3“ einen Haufen Collectibles wie Beweisstücke oder Golden-Gun-Teile gibt, die Cheats und Extras freischalten, aber erst gefunden werden wollen, wiegt dieser Umstand doppelt schwer, da ich die sich ständig wiederholenden Sprüche meiner Konsorten irgendwann nicht mehr hören konnte und sogar mit dem Gedanken spielte, den Ton bis zur nächsten Cutscene zu muten. Rockstar macht es einem wahrlich nicht leicht, über all die Design-Schnitzer hinwegzusehen…

Max Payne 3

Colder than the Devil’s Heart

Statt an Makeln wie diesen zu arbeiten, hat sich Rockstar einer anderen Sache angenommen: Man kann nun innerhalb der Bullet Cam, die einsetzt, wenn der letzte Gegner eines Areals beseitigt wird, den Flug der Kugel manuell per Knopfdruck verlangsamen, um den Einschlag in das Fleisch des Kontrahenten noch detaillierter begutachten zu können. Welchen Sinn hat das? Ich hinterfrage dieses Feature nicht aus moralischer, sondern aus praktischer Hinsicht: In der Hitze des Gefechts habe ich mich kein einziges Mal um diesen Effekt gekümmert – zu sehr war ich damit beschäftigt, am Leben zu bleiben – und ich war sicher nicht der einzige. Wofür wurde solch ein Feature überhaupt implementiert, wenn nicht zur puren Ästhetisierung der Gewaltdarstellung? Obwohl es mich nicht sonderlich stört, muss ich mich doch wundern…

An dieser Stelle beginnt auch die realistische Fassade des Spiels zu bröckeln. Absolut lächerliche Action-Einlagen, wie das Abschießen von Scharfschützen, während man auf einem Rollwagen liegend durch eine Halle gleitet, enttarnen „Max Payne 3“ als den Spectacle-Shooter, der es im Grunde ist. Mehr noch: Momente wie dieser machen deutlich, dass sich die Industrie laufend gegenseitig befruchtet, denn „Stranglehold“, dem häufig die zu starken Parallelen zu „Max Payne“ vorgeworfen wurden, hat Ähnliches schon vor fünf Jahren geboten.

Max Payne 3

Die Story, bisher eine der Stärken von „Max Payne“, ist akzeptabel, aber wirkt etwas schal, da wirklich jedes nur denkbare Brasilien-Klischee aufgegriffen wird: Korrupte Politiker, korrupte Polizei, protzige Luxus-Villen stehen verarmte Slums gegenüber, Drogen- und Gangkriminalität haben Hochsaison. Abgerundet wird dieses Bild später noch durch eine Prise Entführung, Zwangsprostitution und Organhandel. Ich glaube schon, dass all diese Dinge schreckliche Realität sind, aber alles auf einmal? Und ein einziger Amerikaner (wie könnte es anders sein?) mittendrin? Es gibt einfach sehr, sehr viele „Zufälle“ in „Max Payne 3“. Immerhin ist Rockstar die Präsentation gelungen, was die Makel der Story schnell vergessen lässt: Dieser Entwickler weiß einfach, wie man düstere, „gefallene“ Charaktere glaubhaft in Szene setzt. Eine Gruppe talentierter (englischer) Synchronsprecher leistete dazu einen nicht unwesentlichen Beitrag. Großes Kino!

Multiplayer & Technik

Der neue Multiplayer bietet neben üblichen Standard-Modi wie Deathmatch bzw. Team Deathmatch ein Duell einer gegen alle („Payne Killer“) und die Aufgaben-basierten „Gang Wars“. In bester „Call of Duty“-Manier sammelt ihr in euren Matches Erfahrungspunkte und Geld, mit dem ihr neues Equipment kaufen könnt. Außerdem bekommen Spieler die Möglichkeit, sich in Clans zu sammeln, die später in den Multiplayer von „GTA V“ übertragen werden können.

Wie bei „Uncharted 3“ lautet mein Urteil zum Multiplayer: Nett gemacht, aber gänzlich unnötig. Von „Battlefield 3“ oder „Call of Duty: Modern Warfare 3“ wird Rockstar hiermit niemanden weglocken. Leider muss heutzutage jeder Singleplayer-Titel per Gesetz eine Mehrspieler-Option beinhalten – egal, wie farblos und uninspiriert diese auch sein mag -, weil er sonst keine Daseinsberechtigung zu haben scheint. Dafür werden Ressourcen aufgewendet, die anderswo logischerweise fehlen – und die dem Kern-Gameplay von „Max Payne 3“ zur weiteren Verfeinerung sicher gut getan hätten.

Max Payne 3

Ein abschließendes Wort zur Technik: Auf der Xbox 360 kommt „Max Payne 3“ auf zwei DVDs ausgeliefert, die – sofern man das Spiel installiert – knapp 15 GB auf der lokalen Festplatte beanspruchen. Eine Installation ist dringend empfohlen, da Ladezeiten sonst meist der Länge einer gesamten Cutscene entsprichen. Wir sprechen hier von Ladezeiten, die mehrere Minuten (!) beanspruchen können. Keine galante Lösung, allerdings sollten Xbox 360-Besitzer wohl froh sein, dass Titel von solch hoher optischer Qualität auf einer sechs Jahre alten Konsole überhaupt laufen. Hier wird glanzvoll demonstriert, dass die RAGE-Engine zu mehr fähig ist, als ihr – sicherlich aus Performance-Gründen – bisher in Rockstars Sandbox-Spielen entlockt wurde: Charaktere und Kulissen sind toll animiert und wirken überzeugend, auch konnte ich keinerlei Tearing oder starke Framerate-Einbrüche feststellen. Tatsächlich ist die technische Umsetzung neben der Präsentation das einzige, wofür ich „Max Payne 3“ guten Gewissens loben kann – das traurige Ende eines für Fans schmerzhaften Reviews.

Fazit, Sebastian Meinke

„Max Payne 3“ ist der perfekte Beweis dafür, dass ein Mehr an Realismus nicht gleich ein gutes Spiel ausmacht. Fast alles, was die Serie zu etwas Besonderem gemacht hat, ist verschwunden – stattdessen gibt’s wieder einmal Shooter-Ware vom Fließband. Ein heißer Tipp für Rockstar: Manchmal ist es gerade Realismus, der ein spaßiges, rundum gelungenes Spielkonzept vernichtet. Denkt bitte darüber nach. Für alle, die sich „Max Payne 3“ noch nicht gekauft haben, gilt: Unbedingt Finger weg und abwarten – die „Complete Edition“ zum Budgetpreis kommt bestimmt. Dann tut der Kater, den dieses Spiel verursacht, auch weniger weh.

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