Vielseitiger Fußball mittelmäßig präsentiert
Ich find‘ Fußball doof. Konkreter betreibe ich selbst aktiv lieber andere Sportarten und der Hype um 22 professionelle Rasentrampler – sei das im Kontext von Bundesliga, UEFA Championship oder WM – hat sich mir bisher nicht erschlossen. Aber was ist mit Videospielen? Kann „PES 2012“ einen Anti-Fußballer begeistern? Ein sportlicher Selbstversuch.
Das letzte Fußballspiel, das ich halbwegs intensiv konsumiert habe, war „FIFA 96“ und die beste Erinnerung daran ist meine Begeisterung für Blurs „Song 2“ im Intro. Meine Beziehung zu Sportspielen allgemein und speziell Fußball ist also nicht allzu ausgeprägt und qualifiziert mich nicht gerade für eine kompetente Meinung, was etwa die Entwicklung des Gameplays im Laufe des letzten Jahrzehnts angeht. Angenehmerweise ist das aber auch gar nicht notwendig, denn die wichtigste Frage ist bei Spielen nach wie vor, ob sie Spaß machen. Mit diesem Gedanken im Kopf habe ich mich anderthalb Dekaden nach „FIFA“ auf die 2012er-Auflage dessen großen Konkurrenten „Pro Evolution Soccer“ gestürzt und getestet, ob ich immerhin ein digitales Fußballherz in mir trage.
Zu schlecht fürs Trainingslager
Nachdem ich aus wissenschaftlicher Neugier die thematische Hürde überwunden habe, will mir die Steuerung die Laune verderben. Grundsätzlich ist sie nicht allzu kompliziert und besteht im Gros nur aus einem Stick und vier Buttons, aber mit ein wenig Übung traut sich der neugierige Anfänger dann auch an die Schultertasten und die damit verbundenen Spielereien wie schnelles Dribbeln. Wow, da fühlt man sich direkt wie ein Profi! Oder auch nicht, denn schon die Trainingseinheiten vermitteln ungeübten Anfängern wie mir sehr schnell, dass sie noch keine Ahnung haben. Oder natürlich, dass sich Elemente wie Schusskraft nur sehr ungenau steuern lassen; selbst wenn ich die Schusstaste beim Elfmeter nur antippe, füllt sich der Balken rasant, hält man sie kurz gedrückt, ist die Anzeige nahezu sofort gefüllt. Kontrolle ist sicherlich minimal vorhanden, leicht von der Hand geht sie aber nicht – selbst nach zahllosen verzweifelten Freistoß-Trainingseinlagen. Und auch beim fortgeschrittenen Dribbeln legt sich die Spielerfigur den Ball immer nur dann weiter vor, wenn ich das gerade mal nicht will – versuche ich es aber bewusst, klappt es natürlich nicht. Vielleicht fehlt mir der Durchblick bei den Details, während Profis über meine Probleme lachen, aber wenn dem so ist, sind die Erklärungen im Training trotz ihrer Länge schlicht nicht ausführlich und genau genug. Mehrmals gelesen und soweit verstanden habe ich sie.
Früh übt sich, wer ein Profi wird – Zum Vergrößern anklicken
Während manche einfachen und etwas fortgeschrittenen Techniken für den Fußballlaien ungenügend erklärt werden, kann man das über die komplett neuen Tricks von „Pro Evolution Soccer 2012“ nicht sagen. Mit „Off the Ball Control“ und „Teammate Control“ verspricht „PES 2012“ mehr – Überraschung – Kontrolle über den Spielfluss denn je. Denn mit diesen Funktionen steuert ihr nicht mehr nur den Spieler am Ball, sondern gleichzeitig auch einen Teamkameraden. „Off the Ball“ ist dabei die leichtere Variante. Hier wechselt ihr bei Freistößen, Einwürfen und Eckbällen auf einen Spieler im Feld und positioniert ihn, bevor ihr den Schuss beziehungsweise Wurf durchführen lasst. Optimalerweise legt ihr euch so selbst das perfekte Tor vor. Das funktioniert gut, lässt sich schnell erlernen und mit etwas Übung dann auch torsicher umsetzen.
Keisuke Honda greift für Moskau an – Zum Vergrößern anklicken
Schwieriger ist dagegen „Teammate Control“. Wie der Name andeutet, übernehmt ihr hier Kontrolle über einen zweiten Mitspieler. Mit dem linken Stick rennt dann die Figur in Ballbesitz gen gegnerisches Tor, mit dem rechten positioniert ihr einen Anspielpartner. Dabei könnt ihr zwischen dem leichten, aber ungenauen automatischen und dem schwerer zu meisternden, dann aber natürlich nützlicheren manuellen Modus wählen. Spielt ihr lieber automatisch, sprintet der angewählte Charakter einfach gen Tor und hofft auf einen Pass – auch wenn er durch die Aktion plötzlich von zwei Gegnern gedeckt wird. Steuert ihr den zweiten Fußballer dagegen manuell, könnt ihr ihn frei positionieren, müsst dann aber natürlich zwei Spieler gleichzeitig steuern – was zumindest bei mir noch recht schnell zu Koordinationsproblemen und Ballverlusten führt.
Bayern Leverkusen lässt Usami stürmen – Zum Vergrößern anklicken
Im Rahmen dieser Neuerungen wird außerdem gern die verbesserte künstliche Intelligenz erwähnt, die sich noch besser und cleverer ins Spiel einbringen und etwa frei laufen soll. Das macht sie mal besser, mal schlechter. Was aber ein echter Aufreger sein kann, ist die Ballignoranz, die beim Computer manchmal vorherrscht. Mehr als einmal hat ein Pass meinen aktiven Spieler verpasst, während ein KI-Kollege in der Nähe stand. Hat der sich die Mühe gemacht, den verpassten Ball schnell zu sichern? Nein, das durfte ich machen, was aufgrund der Distanz immer wieder dazu geführt hat, dass plötzlich der Gegner stürmen konnte. Dadurch verliert ihr in der Regel kein Match, aber nervig ist es allemal.
Fußball in allen Formen und Farben
Wenn ihr euch in die neuen Systeme einmal eingefuchst habt, bietet „Pro Evolution Soccer 2012“ eine ganze Menge Möglichkeiten, dieses neue Können auch zu testen – Überraschung: Sie alle haben mit Fußball zu tun. Natürlich gibt es Freundschaftsspiele, Meisterschaften und diverse Ligen, mit denen ihr euch online und offline endlose Stunden um die Ohren schlagen könnt. Gerade im Online-Bereich wird ehrliche Ranglistenjäger freuen, dass Spielabbrecher, die ihre Statistik sauber halten wollen, jetzt bestraft werden. Wird deren Ruf zu schlecht, können sie nur noch gegen andere unfaire Spieler antreten. Das sollte helfen, dieses sehr gängigen Mehrspielerproblems Herr zu werden. Eigene Ligen bieten außerdem die Möglichkeiten, einfach nur mit Freunden herauszufinden, wer der Beste auf dem digitalen Rasen ist. Für mich ist aber selbst dieses eigentlich sehr coole Feature unnötig, denn der größte Mehrspielerspaß bei Sportspielen ist und wird es auch immer sein, mit drei (oder mehr) Freunden im Wohnzimmer zu chillen, etwas nicht zwingend Alkoholisches zu zischen und sich gegenseitig für mangelndes Talent und Glückstreffer zu bejubeln.
Wen interessieren Siege, es geht um Fans! – Zum Vergrößern anklicken
Abgesehen von diesen klassischen Modi ist mir direkt zu Beginn die „Welt des Fußballs“ ins Auge gestochen. Hinter diesem alles und nichts sagenden Label verstecken sich zwei alternative Modi, bei denen ihr einmal nur einen einzigen Jungstar („Become a Legend“) steuert oder aber als Manager nicht einfach nur die Spiele begleitet, sondern auch etwa Spielerverträge aushandelt („Meisterliga“). Für den klassischen Fußballfan, der allem voranbolzen will, werden beide Modi nichts sein, aber wer leichte Rollenspiel- und Managmentelemente begrüßt, findet gerade mit „Become a Legend“ eine neue Herangehensweise an den Fußball. Etwas anstrengend kann hier sein, dass ihr in den eigentlichen Turnieren wirklich nur diese eine Figur steuert und damit – ganz im Gegensatz zu den neuen Gameplay-Mechaniken – sehr viel weniger Einfluss auf das Spiel habt. Ich persönlich fand es die meiste Zeit aber nicht langweilig, sondern gegenüber dem Dauerstress einer normalen Partie einfach nur angenehm entspannt, auch mal andere die Arbeit machen zu lassen. Als Sturm hilft man in der Verteidigung eben nur im Notfall aus und umgekehrt.
Da ging die Präsentation nicht mal in Richtung vom Tor
Die mit Abstand größte Schwäche, die ich bei „Pro Evolution Soccer 2012“ gesehen habe, ist spielerisch irrelevant, stört aber auf Dauer doch gewaltig: Die Inszenierung hat zwar ein paar Höhepunkte wie das groß aufgezogene Intro der UEFA Champions League, allerdings wurde hier an vielen Ecken deutlich gespart. Das zeigen schon die Zuschauerränge. Es ist klar, dass man da vor allem Trikotfarben sieht, aber wenn es auch darüber hinaus wie ein dicker Einheitsbrei wirkt, ist da etwas schief gelaufen.
Erstaunlich: Blonde Menschen gehen nicht ins Stadion – Zum Vergrößern anklicken
Das ist aber ein Element, das nur aufgrund der massenhaften Präsenz der Zuschauer auffällt. Viel gewichtiger ist dann doch, dass die Kommentatoren Hansi Küpper und Wolfgang Fuß zwar ganz nette Sprüche bringen, die sich aber teilweise sogar im selben Spiel noch wiederholen und damit recht schnell nerven. Abgesehen davon widersprechen sich die Kommentatoren immer mal wieder: Erst geht der Bald „nicht mal in Richtung Tor“, dann war es direkt danach doch wieder „haarscharf“. Und schön, wie nach 20 guten Pässen und fünf Toren plötzlich zwei Fehlpässe kommentiert werden, dass dem Team eindeutig die Koordination fehle. Da fragt man sich, wo die Jungs bis zu dieser Feststellung gesteckt haben. Und während die beiden gerne und viel immer wieder dasselbe sagen, fehlt umgekehrt in der Welt des Fußballs jegliche Vertonung. Hier gibt es immer wieder kleine Zwischensequenzen, die nur durch Untertitel mit Inhalt versorgt werden. Und dass sich bestimmte Sequenzen dann auch noch dauernd wiederholen, wirkt schnell lächerlich. Von einem Spiel zu einem Sport, der sich so sehr selbst feiert, wäre da mehr zu erwarten gewesen.
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em>Khedira, Müller, Lahm und Neuer (v.l.) digitalisiert – Zum Vergrößern anklicken
Wie mit der UEFA Champions League schon angedeutet, ist aber nicht alles an der Präsentation nicht zufriedenstellend. Dass Konami in „Pro Evolution Soccer 2012“ mit realen Namen und Gesichtern arbeiten kann und selbst Spieler mit meinem fußballerischen Wissen Schweinsteiger, Messi und Rooney erkennt, ist ein echtes Plus. Und auch darüber hinaus finden sich zahllose Details, die in der Summe zwar die Schwächen nicht ausgleichen, aber trotzdem angenehm auffallen. Das gilt auch für den Soundtrack, der zwar keinen neuen „Song 2“ beinhaltet, aber doch ordentlich durch Menüs und Spiele treibt. Nicht zuletzt sorgen Nahaufnahmen von diesem perfekten Tor, mit dem ihr die Kollegen zwingt, die nächste Runde zu zahlen, immer wieder für Freude.
Fazit
Man muss Fußball nicht mögen, um Spaß mit „Pro Evolution Soccer 2012“ zu haben. Gerade dann nicht, wenn man eine ordentliche Vierer-Runde zusammen bringt. Verteufelt das Genre also nicht, nur weil ihr euch der WM verweigert habt. Es hilft aber enorm, wenn man die Abseitsregel verstanden hat. Und echte Fußballfans werden sich hier natürlich mit Abstand mehr zuhause fühlen, wenn Podolski über das Feld rennt – sollten sie nicht gerade selbst auf einem realen Platz kicken. Kein Wunder, der „Landwirtschaftssimulator“ wird ja auch vor allem von Bauern gespielt.
Ronaldo im Einsatz – Zum Vergrößern anklicken
Allgemein ist „Pro Evolution Soccer 2012“ aber ein sehr rundes Spiel, das Formabzüge wegen der teils schlampigen Präsentation erhält. Wer wirklich Bock auf digitalen Fußball hat, findet hier einen gigantischen Spielplatz, der für jeden Geschmack das Richtige bieten sollte. Die naheliegende Frage nach dem Konkurrenzkampf zwischen „PES“ und „FIFA“ muss aber jeder für sich selbst beantworten, der nicht sowieso sein festes Fan-Lager hat – ich empfehle den dezenten Griff zu den Demo-Versionen.
Reicht das nicht für eine Entscheidung, geben wir in den kommenden Tagen mit unserem „FIFA 12“-Review Hilfestellung – das kommt übrigens von einem echten Fußballfan.
Bilder:
Pressearchiv © Konami
Schlagworte: 2012, FIFA 12, konami, PES 2012, Playstation 3, pro evolution soccer, PS3, Review, Ronaldo, Xbox 360