Wirsche Story atmosphärisch verpackt in dicke Action
In einer von großen Blockbustern regierten Unterhaltungsindustrie schaut man doch gleich doppelt hin, wenn ein unbekanntes Team aus Polen zur E3 plötzlich eine fast release-fertige Grafik-Granate präsentiert. Jetzt ist „Hard Reset“ erschienen und was sich unter dessen schicker Cyberpunk-Hülle versteckt, ist nicht perfekt, aber sehr atmosphärisch und fordernd.
So sehr ihr euch auch bemühen werdet, den Ego-Shooter „Hard Reset“ beurteilt ihr wahrscheinlich allem voran nach seinem Äußeren. Kein Wunder, denn schon die Introsequenz und das Startmenü sind extrem schick und führen in die cyberpunkige Maschinenwelt ein. Wenn ihr dann eure ersten Schritte durch Sector 6 und Bezoar City macht, wird euch die Atmosphäre des Spiels komplett einsaugen. Euer direktes Umfeld besteht aus heruntergekommenen, aber doch modernen Häuserschluchten, die von gigantischen Werbetafeln überstrahlt werden. Während ihr euch hier am Boden bewegt, schweben teils gigantische Luftschiffe über euch und riesige Bauwerke zeichnen futuristische Architektur an den Horizont. Während der Wind wie eh und je den Müll durch die Straßen trägt, erfüllt Elektrizität die Luft und macht die dunklen Gassen noch bedrohlicher – die Präsenz aggressiver Kampfroboter außen vor. All das passiert in einer grafischen Pracht, die man so sonst nur in Spitzenspielen erlebt, und läuft dabei auch auf durchschnittlichen Rechnern stabil.
Reduzierter Comic trifft Grafikgranate
Ganz anders beeindruckend sind die Zwischensequenzen, die die Story in vollvertonten und animierten Comicszenen präsentieren. Die Ästhetik ist eine komplett andere, passt aber zu dem düsteren Szenario und der dystopischen Welt ebenfalls ausgesprochen gut. Es ist etwas schade, dass trotz der Grafikpower keine Energie in beeindruckende Videosequenzen gesteckt wurde, aber dieser Gegenpol funktioniert dennoch erstaunlich gut. Nur der kurze Moment, wenn ihr aus der reduzierten Comic-Optik in die dann noch beeindruckender wirkende Spielwelt wechselt, verlangt etwas Eingewöhnung.
Grafische Pracht, Ästhetik und Waffendesign passen wunderbar zusammen und sind ein Traum für Cyberpunk-Fans, die schon länger auf eine moderne Version von „Blade Runner“ gewartet haben. Allerdings müsst ihr euch schon sehr früh in das Szenario verlieben, damit es euch nicht zu langweilig wird. Denn während mit der Zeit zwar immer wieder neue Gegnertypen das Feld betreten und ihr neue Waffenmodi freischaltet, bleibt der Stil doch immer gleich. Wer es doof findet, konstant kleine, große und manchmal auch gigantische Roboter zu zerlegen, findet hier kein neues Lieblingsspiel. Wenn ihr den Konflikt zwischen Mensch und Maschine aber interessant findet und ihn selbst ausfechten wollt, könnt ihr hier voll eintauchen und euch austoben.
Stimmige Atmosphäre braucht keine klare Story
Der „Blade Runner“-Vergleich hinkt dabei allerdings ein wenig, denn im Gegensatz zu diesem Filmklassiker beschäftigt sich „Hard Reset“ nicht mit der Frage nach der menschlichen Natur und der Abgrenzung zur Maschine. Tatsächlich ist die Story extrem konfus, greift viele interessante Elemente auf und stößt euch dann äußerst spontan mit den Credits vor den Kopf. Das Bewusstsein von Tausenden Menschen wurde in einer Datenbank gespeichert, Mensch und Maschine bekämpfen sich, es gibt eine „Firma“, die alles lenkt und vieles mehr. Hintergründe zu all diesen Aspekten verschweigt „Hard Reset“ und genauso werden die Folgen werden nur bedingt erklärt. Da werden „Matrix“-ähnliche Themen oder auch eine besondere Fähigkeit und ein Unfall des Protagonisten angerissen, nachvollziehbar inszeniert ist das alles aber nicht. Die Story schreit auf jeden Fall nach diversen Prequels und Sequels, die das alles noch mal genauer beleuchten. Das fände ich zwar grundsätzlich spannend, aber „Hard Reset“ alleine kann mit diesem besseren Brainstorming definitiv nicht punkten.
Was bei der Story fehlt, bringt das Gameplay mit einer coolen Mischung aus klassischem Arcade-Shooter, bei dem man Gesundheit und Munition noch überall auf dem Boden findet, und modernerem – extrem genial präsentierten – Upgrade-System wieder in Ordnung. Ihr startet mit zwei Basiswaffen: Einem klassischen Maschinengewehr und einer Energiewaffe. Zwischen den beiden wechselt ihr für den Rest des Spiels hin und her. Was im ersten Moment etwas langweilig klingt, ist Grundlage für eine sehr futuristische Abwandlung der vielerseits verhassten Beschränkung auf zwei, maximal vier Waffen. Denn jedes Gewehr hat fünf verschiedene Modi, die ihr mit der Zeit freischalten könnt. Habt ihr mehr als einen aktiviert, könnt ihr nach Anwahl der passenden Waffe frei wechseln. Das Maschinengewehr wird so zu Shotgun oder Raketenwerfer, während eure Plasmawaffe sich unter anderem in eine Railgun verwandelt oder elektrische Granaten abfeuert. Dass sich manche der Modi mehr ähneln, als notwendig gewesen wäre, stört dabei nicht.
Nano, die neuen Erfahrungspunkte
Munitionsmanagment wird durch dieses duale System angenehm einfach und das Kampfsystem hat ordentlich Tempo, ohne einseitig zu werden. Auch später wechselt ihr mit Sicherheit noch ständig zwischen den Waffen und Modi, um jede Situation perfekt zu meistern. Und für jeden Modus könnt ihr dann auch noch einen alternativen Feuermodus freischalten. Dafür benutzt ihr Nano, das ihr durch Abschüsse erhaltet oder versteckt in Kisten findet. Im Grunde ist das allerdings nur ein anderer Name für Erfahrungspunkte, denn ihr sammelt so lange, bis ihr genug für einen neuen Trainingspunkt habt. Egal, wie es heißt, es funktioniert, und so seid ihr frei darin, welche Waffen ihr wann erhalten wollt. Daneben gibt es dann auch noch diverse Rüstungsupgrades, die euch euer Leben passiv erleichtern. Und das ist auch bitter nötig, denn wenn Flying Wild Hog einen Schwierigkeitsgrad „schwer“ nennen, meinen die das wörtlich.
Der coolste Aspekt an diesem Upgrade-System ist aber, wie sehr es atmosphärisch zum Spiel passt. Die Terminals sind extrem futuristisch designt und lassen sich sogar aus dem normalen Fluss heraus bedienen, da das Menü direkt in der Spielwelt aufgeht und dort dann schwebt, während ihr euch dreidimensional darum herum bewegen könnt. Und dass die Waffen sich für jeden Modus auffällig verändern, sticht mir auch nach vielen Stunden noch immer positiv ins Auge. Es sind solche Details, die eine Spielwelt stimmig machen – ganz gleich, wie konfus die Story dahinter ist.
Tonnen sind zum Sprengen da
Umgekehrt ist ein zentrales Element des Spiels die zerstörbare Umwelt. Überall findet ihr Gegenstände, die entweder explodieren oder ihr Umfeld in ein kleines Gewitter tauchen. Das ist nützlich im Kampf gegen die Maschinen, auf Dauer wirkt es aber doch etwas einseitig, dass es nur zwei Arten dieser Geräte gibt, die aber dann auch wirklich überall auftauchen. Immerhin sorgt diese Massenpräsenz dafür, dass ihr versteckte Schätze auch mal übersehen werdet, weil ihr eine bestimmte Kiste nicht gesprengt habt. Das macht das Suchen und Ausprobieren gleich wieder spannender. Und so komisch die Massenpräsenz von Explosivfässern auch sein mag, so witzig ist es doch, dumme Robotern damit in die Luft zu jagen.
Der einzige größere Kritikpunkt ist die Länge des Spiels. Steigt ihr als unerfahrener Spieler auf schwerem Schwierigkeitsgrad oder höher ein, besteht eine gute Chance, dass ihr euch dumme Upgrades kauft und dann ewig an knackigen Situationen sitzt. Solltet ihr durch solche Entscheidungen aber nicht dauernd sterben, seid ihr nach wenigen Stunden mit den sieben Kapiteln durch. Wiederspielwert ist für Perfektionisten sicherlich da, da ihr im Ex-Modus mit allen Upgrades von vorne anfangen dürft, um auch die letzten Geheimnisse zu lüften und vielleicht irgendwann alle Waffen und Verbesserungen freizuschalten, aber fordernder oder spannender wird es dadurch nicht mehr. Und auch die Highscore-Jagd – jedes Kapitel wird am Ende mit Punkten bewertet – kann nur extrem Begeisterte bei Stange halten.
Fazit
Man merkt sehr positiv, dass einige Mitglieder von Flying Wild Hog früher bei CD Projekt Red, dem Entwicklerteam von „The Witcher 2“, gearbeitet haben. Denn auch „Hard Reset“ besticht durch seine Grafikpracht, seine stimmige Atmosphäre und seinen knackigen Schwierigkeitsgrad. Wer Bock auf eine schicke und moderne Neuauflage klassischer Shooter-Action hat, ist hier genau richtig. Die konfuse Geschichte ist dabei ein eher oberflächlicher Kritikpunkt. In „Serious Sam“ schert sich auch niemand um die Story und bei „Hard Reset“ darf man wenigstens hoffen, dass sie irgendwann vielleicht noch erklärt wird. Immerhin trägt das auch zum Wiederspielwert bei, denn nur, wer sich die Zusammenhänge mehrmals gibt, steigt da vielleicht durch. Auf jeden Fall ist „Hard Reset“ trotz mancher Macken ein würdiges Erstlingswerk und steht komplett zu Recht im Rampenlicht der PC-Gemeinde.
Schlagworte: CD Projekt Red, City Interactive, Cyberpunk, Flying Wild Hog, Hard Reset, PC, People Can Fly, Shooter