Review: Driver San Francisco (Xbox 360)

„Driver“ überflügelt sich selbst

Hardcore-Fans der „Driver“-Marke wollen weinen. John Tanner liegt im Koma, die Story wird abgespaceter und einen Mehrspielermodus gibt es jetzt auch. Das Schöne daran: Diese erschreckend klingenden Aspekte machen „Driver San Francisco“ mehr zum Renner als jeden seiner Vorgänger. Wir weinen vor Glück.

Was bisher geschah:

Seit Ende der 90er-Jahre fahren Millionen Spieler in diversen „Driver“-Spielen als Undercover-Cop John Tanner durch amerikanische Großstädte, um das Verbrechen von innen heraus zu bekämpfen. Dabei orientiert sich die Serie liebend gerne am Stil klassischer Auto-Actionserien der 60er und 70er: Alles begann mit einem für mich damals grausam schweren Fahrtest in einer Tiefgarage, mit dem angehende Untergrund-Kuriere beweisen mussten, dass sie der oder die Richtige für den Job sind – oder bereit waren, lange und ausdauernd zu üben. Wer das zu anstrengend fand, startete einfach direkt entspannt mimt freiem Fahren ohne Missionen – dem Spielmodus, der „Driver“ berühmt gemacht hat. Ein Spieler, ein Auto und eine große 3D-Stadt mit zahlreichen Straßen, die erforscht werden wollten. Keine Aufgaben, keine Ziele. Die Masse hat es geliebt. Dann folgten „Driver 2“ und „Driv3r“, in denen aus dem Auto ausgestiegen und später sogar durch die Weltgeschichte geballert werden durfte. Sicher, auch diese Spiele haben Fans gefunden, aber bei „Driver“ denkt der Durchschnitt eher weniger an Schießereien – und das liegt nicht nur daran, dass es die im ersten Teil nicht gab.

Auftritt „Driver San Francisco“. Hier ist der Name wieder Programm und das Auto euer ständiger Begleiter während Fußgänger nur noch dazu da sind, aus dem Weg zu springen. Und wie ebenfalls dezent angedeutet wird, geht es wieder an die Ostküste. San Francisco, das im ersten „Driver“ gefühlt fünf Straßen groß war, ist in der vergangenen Dekade scheinbar ordentlich gewachsen und nun ein gigantischer Spielplatz für Autofanatiker. Dass der Schauplatz nicht wechselt, ist Serien-untypisch, aber der Umfang ist mit vier großen Gebieten auch so mehr als genug für endlose Spazierfahrten und bietet mit einem vielseitigen Stadtbild ausreichend Abwechslung. Aber nur weil es zurück zu den Wurzeln geht, ist nicht alles wieder plötzlich wie 1998. Auch „Driver San Francisco“ bietet Neuerungen, die auf der einen Seite krass und drastisch sind, sich auf der anderen aber wunderbar in den Spielfluss einfügen, sich konsequent anbieten und das klassische Konzept bereichern, aber von skeptischen Hardcore-Fans nicht genutzt werden müssen.

Shift happens

Die zentrale Neuerung heißt Shift und ermöglicht es euch, zu fast jeder Zeit in fast jedes andere Fahrzeug zu wechseln. Diese Funktion bietet neue Herangehensweisen an altbekannte Modi wie die klassische Flucht vor Polizei oder anderen Verfolgern und gleichzeitig auch Möglichkeiten für ganz neue Herausforderungen wie etwa ein Team-Rennen, bei dem ihr abwechselnd beide Autos steuern müsst, um Platz eins und zwei zu sichern. Wer auf Shift verzichten und lieber klassisch spielen möchte, kann das in den meisten Situationen, aber selbst im freien Fahren ist es schon super, dass man sich den verbeidüsenden Dodge einfach schnappen kann, ohne erst den Fahrer aus seinem Sitz prügeln zu müssen. Und auch ab von diesem sehr vielseitigen Feature muss „Driver San Francisco“ sich nicht verstecken. Bedenkt man nämlich, dass ihr im Grunde die ganze Zeit nur Auto fahrt und das auf Dauer ziemlich repetitiv (und damit für viele auch recht langweilig) wird, fällt auf, wie vielseitig das Spiel mit dieser einen Tätigkeit umgeht. Natürlich gibt es die Klassiker wie Rennen gegen andere Wagen oder die Zeit, Verfolgungsjagten als Jäger oder Gejagter und natürlich auch das unauffällige Beschatten. Aber genauso sind Zerstörungsfahrten – Checkpunktfahren nach Maß – oder Stuntaufgaben dabei. Wenn ihr keine komplette Abneigung gegen Autos habt, wird euch in „Driver San Francisco“ auf jeden Fall nicht langweilig.

Und auch Fans der realen Krimistorys von „Driver“ dürfen beim Gedanken an Shift entspannen. Tanner hat diese Fähigkeit nur, weil er im Prolog einen Unfall hat und das Gros der Geschichte von „Driver San Francisco“ im Koma erlebt – mit Träumen kann man alles erklären. Und gerade für kleine Minigeschichten bietet Shift ganz neue Möglichkeiten, denn nur durch diese Fähigkeit erlebt ihr sie überhaupt. Ihr springt etwa immer wieder in den Wagen zweier asiatischer Studenten, die sich durch illegale Rennen ihr Studium finanzieren wollen und erlebt deren Entwicklung und Geschichte mit. Oder ihr landet neben einer unbegeisterten Dame, die möchte, dass ihr Gatte sich zwischen ihr und seinem Wagen entscheidet.

Während gerade die zahlreichen Kommentare eurer Mitfahrer dem Spiel charmantes und witziges Flair geben, sind es aber eben diese Mitfahrer, die die Hauptgeschichte behindern. Die ist nur knapp 15 Missionen lang und wurde dankenswerterweise nicht direkt gestreckt, indem unnötig mehr dazu gedichtet wurde – dafür aber indirekt. Vor jeder Story-Mission müsst ihr nämlich zwei sogenannte Premium-Missionen erfüllen, in denen ihr Menschen wie den Studenten mit eurer Shift-Fähigkeit und vor allem euren fahrerischen Fähigkeiten helft. Erst danach wird der nächste Teil der Geschichte freigeschaltet. Das nervt, wenn man allem voran wissen will, wie sich der Konflikt zwischen Tanner und seinem Erzrivalen Charles Jericho entwickelt. Die anderen Missionen hätten auch einfach optionale Aufgaben mit höherer Wichtigkeit und besseren Belohnungen sein können, die man je nach Laune auch erst nach der Hauptgeschichte erledigt.

Viel zu tun in San Francisco

Zusätzliche Inhalte neben der Geschichte gibt es allerdings auch so schon reichlich. In der gesamten Stadt sind zahlreiche Minimissionen ohne Geschichte verteilt, die euch einerseits fordern und euch eure Ergebnisse auf weltweiten Ranglisten platzieren lassen, andererseits mit Willenskraft versorgen, der Währung von „Driver San Francisco“. Starten könnt ihr diese Herausforderungen direkt aus eurem Auto heraus oder – und das ist für die, die gerade mit freiem Fahren nicht viel anfangen können, sehr angenehm – per Shift. Auf dieses könnt ihr euch rasend schnell durch die Stadt bewegen und ausgelassene Missionen anfliegen. Mit Willenskraft könnt ihr euch dann Werkstätten, Fahrzeuge – die ihr dafür aber erst freischalten müsst – und eine Handvoll Upgrades kaufen – von denen ihr ebenfalls die meisten erst freischalten müsst. Das erhöht dann gleichzeitig auch euer Grundeinkommen, was dafür sorgt, dass konsequente Sammler später im Spiel mit dem Einkaufen nicht mehr ansatzweise hinterher kommen.

Während das dann recht überflüssig wirkt, ist es aber schön zu sehen, dass auch früh im Spiel schon ordentliche Autos für die eigene Garage verfügbar sind, die auch bei verbesserungswürdigen Fahrleistungen gekauft werden können. Damit könnt ihr dann jederzeit aus euren Garagen herausfahren und die Stadt unsicher machen. Mein persönlicher Favorit unter den Zusatzinhalten sind die Missionen, die ihr mit versteckten Filmrollen freischaltet. Für jeweils zehn davon gibt es einen neuen Auftrag, der euch in der Zeit zurück versetzt. Hier heißt es dann, in der gleichen, aber doch irgendwie anderen Stadt klassische Aufträge erledigen – ohne diesen neumodischen Shift-Kram, den die Jungspunde benutzen, versteht sich.

Früher war alles charmanter

Besonders bei den Film-Missionen, aber auch an vielen anderen Ecken wie den Zwischensequenzen fällt wieder auf, wie sehr „Driver“ auf frühere Filme und Serien anspielt, in denen Verfolgungsjagten ebenfalls zentrales Storyelement sind. Die Kameraeinstellungen etwa betonen auch entspannte Situationen wie das einfache Anfahren immer etwas länger und stärker, als heute üblich. Das hat Charme und trägt trotz der alternativen Geschichte den Charakter der Serie würdig weiter. Noch genialer als solche kleinen Details macht das aber der Soundtrack. Der spricht nicht nur jeden Geschmack an, sondern transportiert auch noch perfekt das Flair vom Cruisen an der Ostküste. „Queens of the Stone Age“ und „Black Rebel Motorcycle Club“ treffen da auf „Funkadelic“, „The Prodigy“, „Beastie Boys“ und viele, viele mehr. Für diesen Mix würde ich das Autoradio jederzeit aus lassen.

Grafisch wirkt San Francisco ein bisschen klinisch, aber definitiv stimmig. Ich bin über ein paar Glitches gestolpert, aber nichts weltbewegendes, was das Spiel in irgendeiner Form beeinträchtigt oder gar schlechter machen würde. Passanten verschwinden manchmal einfach so, mal ist ein geskriptetes Verfolgerfahrzeug erst geladen worden, als die Position schon sichtbar war und auch im Überflug waren in Ausnahmefällen nicht alle Details sofort da, wo sie sein sollten. Kein Weltuntergang, aber gefundener Fraß für Perfektionisten.

Aus dem Weg, hier kommt die K.I.

Was mich aber mehr als einmal zur Weißglut gebracht hat, ist die teilweise fragwürdige Fahrer-K.I. Dass Polizeiwagen mit allen Mitteln versuchen, mich zu stoppen und ich daher gnadenlos gerammt werde, ist klar, aber würde ein ziviler Fahrer die eigene Gesundheit aus Langeweile derart riskieren? Auf der Schnellstraße werde ich als Geisterfahrer oder sogar nach einem Crash zwar immer fröhlich angehupt, aber stehen bleibt deshalb niemand. Stattdessen kicken mich die Omis in ihrem Trabbi entspannt weiter über die Piste. Das macht es nicht nur extrem schwierig, irgendwann wieder normal weiterfahren zu können, sondern ist auch so dermaßen unrealistisch, dass es sich mir einfach nicht erschließen will, warum das so sein muss. Noch härter fällt das in Rennen gegen künstliche Gegner auf. Die rammen ohne Rücksicht auf Verluste, selbst wenn sie davon einen extremen Nachteil haben und einen dicken Unfall bauen. Es scheint fast so, als wäre das Spielerauto für sie unsichtbar – wenn es auf der Ideallinie steht, wird einfach versucht, durch zu fahren. Das ist nervig, unlogisch und für einen höheren Schwierigkeitsgrad unnötig, da hätten andere Effekte mehr geholfen. Warum also ist die K.I. so aggressiv? Die Frage werdet ihr mir nicht beantworten können, aber zum Glück besteht das Spiel nicht nur aus solchen Rennen, das macht diesen einen größeren Makel leichter erträglich. Immerhin ist die Fahrphysik ordentlich, sodass es bei allem Ärger immer eine gute Chance gibt, die K.I.-Konkurrenz einfach Staub fressen zu lassen.

Mehrspielermodus

Vier Spiele hat es gedauert, aber endlich müsst ihr nicht mehr allein durch die Straßen von „Driver“ zuckeln. Wenn ihr dieses entspannte Glück mit anderen teilen wollt, kann das ganz unterschiedlich aussehen. Auf geteiltem Bildschirm könnt ihr tatsächlich zu zweit frei fahren und stressfrei San Francisco erkunden, da das aber wenig spektakulär ist, hat Entwicklerstudio Ubisoft Reflections noch mehr für euch parat. Kooperativ dürft ihr vor der Polizei flüchten, Angreifer abwehren oder Fahrzeuge verfolgen, aber auch gegeneinander wird gefahren. Das beschränkt sich aber nicht auf den lokalen Mehrspielermodus für zwei, sondern geht genauso und mit noch mehr Modi auch online. Hier gibt es dann alles von normalen Rennen und solchen mit Shift bis hin zu „Capture the Flag“ und „Tag“. Die Möglichkeiten sind vielseitig und auch hier werden die neuen Funktionen aktiv und vielseitig mit eingebunden. Dabei gibt es sogar Kräfte, die eigens für den Mehrspielermodus entwickelt wurden. All das ist mit dem derzeit üblichen Level-System verbunden, das euch unter anderem mehr Autos für die Modi zur Verfügung stellt, wenn ihr aufsteigt. Wer lieber in  Gruppen unterwegs ist, hat hier mit seinen 40 Stufen auf jeden Fall auch ordentlich zu tun.

Fazit

Die Zeiten des einfachen Untergrund-Kuriers John Tanner sind vorbei. Jetzt dreht der Undercover-Cop in San Francisco ein zweites Mal auf und feiert mit innovativen und gut eingebauten Funktionen die Freiheit der Stadt. „Driver San Francisco“ beeindruckt durch die Vielseitigkeit, die es als einfaches Fahr-Spiel im Angebot hat und präsentiert sie dabei einmal mehr im charmanten Actionfilm-Stil mit grandiosem Soundtrack. Die Hauptstory mag dabei nicht allzu lang – wenn auch unterhaltsam – sein, aber für Langzeitspaß sorgen hier dann neben dem freien Fahren auch zahlreiche Herausforderungen, Online-Ranglisten und der neu eingeführte Mehrspielermodus. Wer das erste „Driver“ mochte oder als Rennspielfan mal eine Alternative sucht, sollte hier auf jeden Fall zuschlagen.

Bilder:
Pressearchiv © Ubisoft

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