Eine Reihe, die Legende wurde – Teil 1
Eigentlich sollte diese Kolumne nur von „Gothic 3“ handeln, da ein einfacher Retro-Artikel jedoch schon wieder zu Retro ist, bekommt ihr gleich die komplette Saga vor den Latz geknallt! Von „Gothic“ 1 bis 3 werde ich alles Nennenswerte in diesen Artikel einfließen lassen und versuchen, euch die Reihe näher zu bringen.
Lasst die Spiele beginnen!
„Gothic“ war bei seinem Release etwas ganz Besonderes. Es war ein Rollenspiel mit nur einem vorgegebenen Charakter, ohne anfängliche Charaktererschaffung. Die Klasse wurde erst im Spielverlauf gewählt, was wiederum davon abhing, welcher der untereinander konkurrierenden Fraktionen sich der Spieler anschließen wollte. Auch die Geschichte entwickelte sich nur Schritt für Schritt, wodurch es immer wieder zu unerwarteten Wendungen und Überraschungen kam. Zwar war das Ziel, aus der Barriere auszubrechen, von Anfang an bekannt, aber wie man so schön sagt: Der Weg ist das Ziel!
Die Parteien
In „Gothic“ nimmt man die Rolle eines Sträflings an, der auf eine Gefängnisinsel geworfen wird, welche von einer magischen Barriere umgeben ist und auf der die Insassen die Macht an sich gerissen haben. Natürlich sind sie sich nicht einig darüber, wie sie mit dieser neu erlangten, wenn auch begrenzten Freiheit umgehen sollen. Aufgeteilt haben sie sich schließlich in drei Parteien: Da gibt es das sogenannte „alte Lager“, welches wie die Made im Speck lebt, da die Gefangenen Erze abbauen und diese gegen diverse Waren und Güter eintauschen. Dann existiert das „neue Lager“, dessen Magier sich die Sprengung der Barriere zum Ziel gesetzt haben, was sie mit dem abgebauten Erz bewerkstelligen wollen. Zu guter Letzt gibt es noch die Sumpfbruderschaft, welche ihrerseits Drogen anbaut und einem neuen Gott huldigt.
In genau diesen Ameisenhaufen wird der Held geworfen und muss sich dort zurechtfinden. Gesteuert wird per Verfolgerkamera über die Schulter. Bevor wir aber richtig starten können, bekommt unser namenloser Held erst einmal eine aufs Maul. Und zwar von anderen Sträflingen. Das nenne ich einen gelungenen Einstand!
Atmosphäre, dick wie Butter!
Zum Glück ist die zweite Begegnung etwas freundlicher – und so nimmt das Abenteuer seinen Lauf. Zentral sind dabei die oben angesprochenen Lager, jedes für sich ein Unikat. Das alte Lager ist beispielsweise eine Burg mit teilweise eingestürzten Elementen, in deren Hof diverse Holzhütten errichtet worden sind. Korrupte Wachen erpressen hier Schutzgeld und schwache Gefangene werden zur Arbeit „überredet“. Im Gegensatz dazu haben sich die Magier des neuen Lagers eine riesige Höhle als Domizil angeeignet, an deren Wände Steinhäuser errichtet wurden. Zudem wird das neue Lager von verschiedenen Banditen und Söldnern unterstützt. Im Sumpflager, das in Bäume gebaut wurde, herrschen Gurus, deren gesamte Organisation von den anderen als „Sektenspinner“ bezeichnet wird.
Bis hierhin mag es nicht so ungewöhnlich erscheinen, die Umsetzung des Ganzen jedoch ist ein Traum. Die Musik passt immer zur jeweiligen Umgebung – eine Eigenart von „Gothic“, die auch in den anderen beiden Teilen konstant beibehalten wurde. Die Menschen gehen in „Gothic“ einem zu ihrem Charakter passenden Tagesablauf nach. Beispielsweise predigen die Gurus im Sumpflager, die Novizen sitzen abends an Wasserpfeifen, während im alten Lager ein Koch für die Mannschaft das Essen zubereitet, irgendjemand auf einer Laute klimpert und die Wachen patrouillieren. „Gothic“ zeigt uns hier einige der lebendigsten und interessantesten Orte der Spielgeschichte, was nicht zuletzt durch die zahlreichen NPCs ermöglicht wurde, denen scheinbar Leben eingehaucht wurde. Dazu kommt eine Detailverliebtheit, welche sich durch die gesamte Geschichte zieht.
Auf die Story an sich möchte ich hier nicht näher eingehen, denn wer „Gothic“ schon gespielt hat, kennt und liebt sie und denjenigen, welche es noch nicht gespielt haben, es aber aufgrund dieses Artikels natürlich noch tun werden, möchte ich nicht vorgreifen, daher nur so viel: Die Welt von „Gothic“ ist voll von Überraschungen, Wendungen und einer Menge interessanter Personen. Insbesondere die Hauptfiguren wachsen einem im Spielverlauf zunehmend ans Herz. Doch auch die Nebencharaktere sind wunderbar dargestellt und so führt das ein oder andere Gespräch mit diesen NPCs zu einem nicht enden wollenden Lachflash.
Zwischenfazit
„Gothic“ hatte und hat Legendenpotenzial. Mir ist bisher kein Rollenspiel – oder Computerspiel im Allgemeinen – mit einer derartigen Welt, witzigen Gesprächen und einer endlos erscheinenden Detailverliebtheit untergekommen. Neue, alte Helden braucht das Land!
Wie es weitergeht
Legendäre Helden in Rollenspielen haben es wirklich nicht leicht: Kaum hat man das ultimative Böse vom Erdboden verbannt und damit unwiderruflich die Welt gerettet, wird man schon in das nächste Abenteuer geworfen. Genau das hat der Dämonenbeschwörer Xardas mit uns gemacht und erklärt uns prompt nach unserem Erwachen in seinem Turm, dass sich in der Zwischenzeit eine riesige Orkarmee formiert hat und im Mienental darauf wartet, von uns in Grund und Boden gestampft zu werden. Dumm nur, dass wir im Augenblick noch viel zu schwach dafür sind und wir uns deshalb erst einmal darauf beschränken den Paladinen in Khorinis bescheid zu geben.
Wir tragen nicht umsonst den Titel „Namenloser Held“, was so viel bedeutet wie: Kein Schwein kennt uns und niemand hat auch nur die leiseste Ahnung, welche Heldentaten wir vollbracht haben. Kurz gesagt müssen wir also wieder bei null anfangen und in Khorinis versuchen, zu einem angesehenen Helden zu werden.
Wie im Vorgänger hat man in „Gothic II“ wieder die Auswahl zwischen verschiedenen Fraktionen, denen man sich anschließen kann. Natürlich ist das nicht so einfach, wie es aussieht und kann für einen Neueinsteiger der Reihe schnell frustrierend wirken, denn in der freien Welt von „Gothic“ kann auch ein kleiner Fehltritt das Aus bei einer der Parteien bedeuten. Lobet den Herrn, dass es Quicksave gibt, denn diese Funktion hat wohl nicht nur mir von Zeit zu Zeit den Allerwertesten gerettet.
Sobald man sich dann jedoch einer Gilde angeschlossen und sich damit den Einstieg in das Spiel verschafft hat, eröffnet sich auch in „Gothic II „eine wirklich überwältigende Welt, in der man sich nahezu frei bewegen kann und in der wohl hinter jeder Ecke ein Abenteuer auf uns wartet.
Die Quests sind wieder abwechslungsreich gestaltet und mitunter auch nicht ganz einfach zu bestehen. So sind schweißtreibende Kämpfe oder zahllose Konversationen mit Einheimischen Pflichtprogramm, um der Lösung auf die Schliche zu kommen. Die vor allem zu Spielbeginn langen Gespräche mit den NPCs, welche den Zocker anfänglich zu überrollen drohen, sind der wunderbaren Atmosphäre jedoch in keinem Falle abträglich, meiner Meinung nach fördern sie diese sogar, denn das Script der Dialoge wirkt keinesfalls gekünstelt oder aufgesetzt.
Auch an dieser Stelle spiegelt sich die Freiheit der „Gothic“-Reihe wieder: Jede Entscheidung, die wir im Zuge einer Konversation treffen, beeinflusst die Meinung der Figuren über uns, was sich wiederum auf unsere Fortschritte bei den einzelnen Gruppen auswirkt. Dabei muss gesagt werden: Nahezu jedes Gespräch mit einem NPC ist ein Schmankerl für sich. Es lohnt sich also – wie schon im Vorgänger – die Dialoge nicht einfach wegzuklicken!
Die Steuerung
Die Steuerung ist mit der in „Gothic“ nahezu identisch, was Neulingen einen noch schwereren Einstieg verschafft. So ist es keine Seltenheit, dass man gleich am Anfang des Spiels von Goblins zerstückelt wird oder sich einfach selbst mit einem falschen Tastendruck in einen Abgrund wirft.
Zwischenfazit, die Zweite
„Gothic II“ kommt nicht ganz an den Vorgänger heran, ist meiner Meinung nach aber dennoch eine gelungene Fortsetzung. Vor allem die begnadeten Dialoge mit den NPCs, die liebevoll gestaltete und frei zugängliche Welt sowie der Flair der Reihe selbst machen „Gothic II“ zu einem Spielerlebnis, das wohl kaum einer missen möchte.
Vorschau auf Teil 2:
In Teil 2 erwartet euch die Welt von „Gothic“ 3. Von der Wüste Varant, über Myrthana bis hin nach Nordmar wird unsere Reise gehen. Dazu stellen wir uns der Frage: War „Gothic“ 3 ein gutes „Gothic“, oder der Anfang vom Ende? Bleibt dran und bringt eure Meinung zum Thema in den Kommentarboxen mit ein!