Review: Deus Ex: Human Revolution (PC)

Schick inszenierter Cyberpunk mit minimalen Makeln

Pneumothorax. Für viele von euch ist das wahrscheinlich ein Fremdwort, für die Medizin der Begriff für Luft im Pleuraspalt und die damit verbundene Einschränkung der Lungenfunktion und für mich der Grund, weshalb ich Adam Jensen um seine Augmentierungen beneide. Und das ist nur einer der vielen großartigen Aspekte von „Deus Ex: Human Revolution“.

Augmentierung ist schon wieder so ein Fremdwort. Es bedeutet Erweiterung und taucht derzeit vor allem im Kontext der Augmented Reality in den Medien auf. Mit der futuristisch-dystopischen Welt von Deus Ex und den hier vorhandenen körperlichen Erweiterungen hat das jedoch nur wenig zu tun. Diese biotechnologischen Augmentierungen sind vielseitig, hoch komplex und für manche sogar die nächste Stufe der Evolution. Kameras direkt im Auge, Sensoren, die Menschen nach Typen sortieren und dann passende Pheromone aussenden, und kugelsichere Haut sind nur ein paar Beispiele dessen, was die Technik bereits 2027 können soll und den Alltag in „Deus Ex: Human Revolution“ ausmacht. Zwar hätte ich vermutlich nicht das Geld dafür, aber im Vergleich zu den zwei Schläuchen, die jetzt gerade in meinem Torso stecken, scheint eine augmentierte und damit widerstandsfähigere Lunge wie eine äußerst angenehme Alternative.

Allerdings ist die Technologie nicht perfekt. Die Erweiterungen werden früher oder später vom Körper abgestoßen und nur die teure Droge Neuropozyne kann das unterdrücken. Wer sich also entscheidet, seine körperlichen Fähigkeiten mechanisch weit über die eines Durchschnittsmenschen heben zu lassen, begibt sich direkt in eine lebenslange Medikamentenabhängigkeit. Damit spalten Augmentierungen die Menschheit mehrfach in neue Kasten: diejenigen, die das Geld haben, mit ihren Leistungen normale Menschen um Welten zu übertreffen, diejenigen, die augmentiert werden, sich Neuropozyne aber nicht leisten können und damit ein Leben voller psychischer und physischer Schmerzen vor sich haben, und natürlich diejenigen, die aus welchen Grund auch immer keine Augmentierungen haben und so im alltäglichen Konkurrenzkampf beständig zurückfallen. Mit diesem ethischen Konflikt um die Frage, was den Mensch zum Menschen macht und ob solche Eingriffe in die Natur vertretbar sind, beschäftigt sich die Geschichte von „Deus Ex: Human Revolution“. Und während diese Diskussion zwar etwas den Input des Protagonisten vermissen lässt, aber dennoch für sich schon sehr spannend ist, ist das Spiel auch ein packender Thriller um Macht, Kontrolle und Verschwörungen.

Anders als ich hatte Adam Jensen nämlich keine Gelegenheit darüber nachzudenken, ob ihm eine Metalllunge – und in seinem Fall noch eine ganze Reihe anderer Augmentierungen – gefallen würden. Er ist Sicherheitschef von Sarif Industries, einem führenden Unternehmen auf dem Bereich der Biotechnologie. Seine Ex-Freundin, die erfolgreiche Forscherin Megan Reed, steht vor einem wissenschaftlichen Durchbruch, der das Neuropozyne-Problem lösen könnte, und soll diesen in Washington präsentieren. Doch noch bevor sie sich auf den Weg machen können, wird das Unternehmen angegriffen und Adam tödlich verletzt. Nur durch eine groß angelegte Operation und die Implementierung zahlreicher Augmentierungen überlebt er. Sechs Monate später nimmt Adam schließlich als neu verschraubter Übermensch seinen Dienst wieder auf und macht sich daran herauszufinden, wer hinter dem Angriff steckt. Diese Geschichte ist von Anfang bis Ende spannend und scheint nur vereinzelt leicht vorhersehbar, präsentiert euch dann aber meist direkt den nächsten Twist. Und selbst wenn ihr frühzeitig erahnt, wie sie sich entwickeln wird, werdet ihr kaum stoppen wollen, diese Entwicklung auch zu verfolgen.

Wirklich drastisch beeinflussen könnt ihr die Story nur am Ende, bis dahin wird sie von den primären Missionen vorangetrieben und von sekundären Aufträgen um eine weitere Ladung Tiefe ergänzt. Die schon im ersten „Deus Ex“ hoch gelobten verschiedenen Herangehensweisen ermöglichen euch aber auch nun, selbst zu entscheiden, wie ihr eine Mission knackt. Eidos Montreal und Square Enix haben das in die vier Säulen Tarnung, Kampf, Hacken und Sozial aufgeteilt, dazu kommt aber definitiv auch noch Erkundung, die jeden dieser Bereiche stark erleichtern kann. Wenn ihr eine Polizeizentrale infiltrieren müsst, steht es euch beispielsweise frei, ein Gespräch am Eingang zu meistern, um euch dann legal im Gebäude bewegen zu können, alternative Eingänge zu finden und unentdeckt zu bleiben oder direkt mit gezückter Waffe die gesamte Besatzung auszuschalten. Egal, wie ihr euch entscheidet, gibt es mehr oder weniger viele Augmentierungen, die euch euren Weg erleichtern werden und die ihr mit der Zeit freischalten könnt – je nach Spielstil früher oder später, da ihr zwar für jede Aktion Erfahrungspunkte bekommt, die Menge aber stark variieren kann. Wer alles nur über den Haufen schießt, braucht sehr viel länger bis zum nächsten Praxispunkt, allerdings ist der Bedarf bei dieser Vorgehensweise auch viel geringer als bei einem unsichtbaren Profihacker.

Und dieses mehrgleisige Fahren funktioniert auch spielerisch. Für eingefleischte Fans der jeweiligen Szene werden sowohl Shooter- als auch Stealth-Part nicht bis ins letzte Detail perfekt erscheinen, aber trotzdem geht das meiste sehr gut von der Hand – kleine Ungereimtheiten etwa bei der Itemverwaltung fallen zwar auf, stören aber das Gesamtbild nur bedingt. Am Kampfsystem könnte man vielleicht kritisieren, dass die Pistole etwas zu mächtig scheint und es außer für den Effekt kaum Grund gibt, sich das Gepäck mit schweren Waffen vollzupumpen. Tragt ihr nämliche dieselbe Pistole die gesamte Spielzeit mit euch herum und verbessert ihr sie besonders mit den seltenen Schadensupgrades, lassen sich alle regulären Feinde mit einem gezielten Kopfschuss ausschalten. Kampfaugmentierungen braucht es da schon fast nicht mehr. Ansonsten funktionieren sie aber sehr vielseitig und gerade, wer gerne nach neuen Wegen sucht, wird mit vielen eher unscheinbaren Erweiterungen seine helle Freude haben. Mal ganz ab davon, dass es auch einfach ziemlich cool ist, sich unsichtbar zu machen, um dann aus dem Nichts zwei Wachen gleichzeitig bewusstlos zu hauen. Unendlich frei seid ihr natürlich trotz aller Vielseitigkeit nicht – weder in den kleineren Einsatzgebieten noch in den großen Stadtarealen wie Detroit. Störend ist das aber nie, denn zu sehen gibt es mehr als genug und wenn ihr wirklich jeden Weg erforscht, seid ihr viele, viele Stunden beschäftigt.

Die Welt von „Deus Ex: Human Revolution“ mag nicht jedermanns Grafikansprüchen gerecht werden, da diese zwar sehr gut, aber doch nicht perfekt ist, aber das ist schnell vergessen, wenn ihr die Ästhetik einmal eingesaugt habt. Sicher, die heftigen Gold-Töne verschrecken den einen oder anderen, aber sie sind absolut stimmig und konsequent umgesetzt. Schon der erste Trailer hat damals die Brücke zu vergangenen Epochen geschlagen und mit diesem Farbschema vertieft Eidos das noch weiter. Ab davon, dass es für sich genommen passt, ist es auch ein schicker Gegenpol zur Cyberpunk-Thematik, die in der Regel nur in kalten, dunklen Farben dargestellt wird. Und nicht nur der Look ist schick, auch das Leben darin. Solang ihr nicht zu lange in der Nähe desselben Nichtspieler-Charakters verweilt, imitiert „Deus Ex“ sehr schön eine belebte Welt voller Menschen. Wenn die dann ihre individuellen Routinen wiederholen, wirkt es leider aber doch wieder sehr unreal. Und während die Umgebungen meist mit dem Auge fürs Detail gestaltet wurden, fallen häufig kopierte Elemente wie Transportkisten und das übertriebene Aufkommen von Lüftungsschächten irgendwann minimal lächerlich auf. Das ist aber nur ein kleines Makel, das von anderen Elementen locker aufgewogen wird. Ein schickes Detail sind etwa geskriptete Gespräche. Sehr häufig könnt ihr einmalige Miniszenen erleben, wenn ihr euch Personen unbemerkt nähert. Das bringt nicht nur Informationen, sondern nicht selten auch vorteilhafte Ausgangssituationen für euch, um diese Personen auszuschalten.

All das ist Teil einer großartigen Inszenierung, die als finaler Schliff vom Soundtrack getragen wird. Der beherrscht es perfekt Spannung, Action und Drama zu vereinen, um euch so bis ins letzte Detail in eurer Rolle als Adam Jensen aufgehen zu lassen. Allerdings ist dieser Bereich auch sehr nah verwandt mit dem größten Schwachpunkt von „Deus Ex: Human Revolution“. Die deutsche Synchronisation ist einmal mehr eine Enttäuschung. Immer wieder kommen unpassende und asynchrone Sprachaufnahmen vor, was in einem derart dialoglastigen Spiel auf Dauer stark stört. Sicher, auch im Englischen gibt es lippensynchrone Ausrutscher, aber die sind selten und die Stimmen passen dafür immerhin perfekt zu den Charakteren. Darum der übliche Tipp: Auf Englisch stellen und im Zweifel Untertitel dazu schalten.

Fazit:

„Deus Ex: Human Revolution“ spielt sich in zahlreichen Aspekten wie eine moderne Neuauflage des ersten Teils. Was in einer Zeit der langweiligen Fortsetzungen klingt wie eine Beleidigung, ist genau das, was Fans sich wünschen: eine spannende Story dick inszeniert und dank zahlreicher Spielmöglichkeiten vielseitig erlebbar. Trotz kleiner Schwächen taucht ihr schon in den ersten Minuten komplett in diese Welt ein und lasst erst wieder los, wenn das Mysterium gelüftet und alle Fragen geklärt sind. Ist die Menschheit bereit dafür? Das entscheidet ihr. Sicher ist auf jeden Fall: Während ich noch warten muss, bis ich meine Lunge augmentieren lassen kann, lebt Adam Jensen die Zukunft schon heute und ist dabei ein grandioser Zeitvertreib. Denn wer Cyberpunk mag, wird „Deus Ex: Human Revolution“ lieben.

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