Die Angst vor den Strahlen

Die schrecklichen Meldungen aus dem Land der aufgehenden Sonne reißen nicht ab. Die Grenzwerte für Radioaktivität sind um bis das 10.000-fache überschritten. Wir haben mit RauteMusik-Mitglied Entro gesprochen, der am Tag des Erdbebens in Tokio war.

Leergeräumte Supermärkte und der Kaiser hält eine Ansprache im Fernsehen. Das, was seit zwei Wochen in Japan passiert, wird die Welt wohl noch lange Zeit erschüttern. Die Betreiberfirma des Atomkraftwerks in Fukushima, Tepco, veröffentlicht Zahlen erhöhter Werte, um sie wenig später zu revidieren. Durch die Medien gingen teilweise Meldungen von Messungen, bei denen ein zehn Millionen Mal höherer Wert als erlaubt gemessen wurde. Auch daran liegt es, dass die Regierung mehr und mehr an Glaubwürdigkeit verliert. Viele sind von der mangelnden Transparenz enttäuscht, inzwischen haben 58 Prozent der japanischen Bevölkerung Zweifel an der eigenen Regierung.

Erst am Freitag erschütterte erneut ein Erdbeben der Stärke 6,2 das Land. Bisher wird von 10.000 Toden gesprochen, mehr als 17.000 Menschen gelten als vermisst. Um die geschätzten 300 Milliarden Dollar für den Wiederaufbau aufzutreiben, sind zwei Drittel der Japaner mit Steuererhöhungen einverstanden.

„Dabei wurde mir gleich das unglaubliche Ausmaß der Katastrophe bewusst…“
Andreas

Am Tag des Bebens war RauteMusik-Hörer Andreas, in der Community als „Entro“ unterwegs, vor Ort, der für sein Auslandspraktikum nach Japan zog. Nach den verheerenden Naturkatastrophen floh er, wie viele Deutsche auch, aus dem Land. Obwohl Andreas weitestgehend verschont blieb, hinterließ dieser Tag auch bei ihm eine lebhafte Erinnerung. Wir hatten die Möglichkeit, ihm ein paar Fragen zu stellen.

RauteMusik: Zwei Wochen ist das große Beben nun her, da interessiert die Leute natürlich: Wie hast du das Erdbeben erlebt, was ging dir in diesem Augenblick durch den Kopf?

Andreas: Ich sah an meinem Schreibtisch im dritten Stock wie die erste Welle des Erdbebens unser Gebäude erschütterte. Es begann ziemlich harmlos und wurde immer stärker. Bücherstapel, Bildschirme und schließlich ganze Regale stürzten um. Meine Sekretätin (Japanerin) fing an hysterisch zu schreien und stürmte aus dem Gebäude. Was mich wunderte: sie hatte immer noch Zeit dafür, ihren Computer herunterzufahren. Alle anderen im Gebäude blieben absolut cool und gelassen. Ich dachte, dass sie schon so an die Erdbeben gewohnt waren, da es schon in den Wochen zuvor kleinere Beben gab. Ich verließ mit den anderen Interns das Gebäude, aber viele sind auch im Gebäude geblieben. Jedoch bei der zweiten Welle wurden dann alle aus dem Gebäude geholt. Für mich persönlich war es sehr aufregend ein Erdbeben zu erleben, da es auch mein Erstes war und auch keine großen Schäden in unserer Firma verursacht wurden. In dem Augenblick des Erdbebens war ich eigentlich nur fasziniert und überwältigt von der Kraft und den Ausmaßen einer solchen Naturgewalt.

Hamsterkäufe in Japan


RauteMusik:
Wie war die Situation bei dir, als das große Beben von Freitag vorüber war? Was hast du gemacht und erlebt?

Andreas: Jeder hat als erstes die Seite des Japanischen Erdbeben-Institutes geöffnet und wollte wissen wo das Epizentrum war und wie stark das Erdbeben war. Danach wurden die Nachrichten gecheckt oder die Verwandten und Familien angerufen. Ich selbst habe mich auch darüber informiert und nach einiger Zeit auf dem Parkplatz unserer Firma schickte das Management alle Arbeiter nach Hause. Erstaunlich war, dass dennoch viele zurück an die Arbeit gingen. Ich beschloss mit dem Fahrrad nach Hause zu fahren, wo ich dann erstmal die Nachrichten mit all meinen Hausbewohnern verfolgte. Dabei wurde mir gleich das unglaubliche Ausmaß der Katastrophe bewusst und die Aufregung über das Erdbeben schlug sofort in Entsetzung um. Der ganze Abend wurde dann vor dem Fernseher verbracht.

RauteMusik: Wie würdest du aus deiner Sicht den Umgang der Japaner mit der Katastrophe beschreiben?

Andreas: Die Japaner gehen mit der Situation sehr gelassen um. Jeder geht weiterhin zur Arbeit und liest beziehungsweise schaut täglich die Nachrichten, aber keiner von ihnen ist beunruhigt oder sieht die ganze Situation zu gefährlich oder gar hoffungslos.

RauteMusik: Ist die Furcht vor einer drohenden Kernschmelze groß?

Andreas: Nun, die Kernschmelze ist ja bereits eingetreten, jedoch der „Super-GAU“ noch nicht. Natürlich ist die Furcht eines zweiten Tschernobyl groß, jedoch wird dieser Vergleich nur von den deutschen Medien benutzt. Die Japaner vertrauen sehr strak auf ihre Regierung.

RauteMusik: In den Medien wird immer wieder diskutiert, ob es überhaupt verantwortlich ist, in einer durch Erdbeben gefährdeten Zone Atomkraftwerke zu bauen. Andererseits muss der Energiebedarf gedeckt werden – wie stehst du dazu?

Andreas: Es wird immer nur dann über etwas diskutiert, wenn auch etwas passiert ist. Ob es nun gut oder schlecht ist in solch einer Gegend ein Atomkraftwerk zu bauen, dazu gibt es viele verschiedene Meinungen. Auf der einen Seite hat man ein größeres Risiko, auf der anderen Seite stellt sich die Frage, wie man sonst den immensen Energieverbrauch Japans decken soll. Aus meiner Sicht wäre es natürlich besser, man fände sicherere Methoden Energie zu erzeugen, aber solange diese nicht gefunden sind, werden wir alle im diesem erhöhten Risiko Leben müssen.

Auch Wasser wird wie verrückt gekauft

RauteMusik: Fühlst du dich durch die Medien und die Regierung Japans gut informiert?

Andreas: Wenn es nun rein um die Menge und Qualität der Informationen geht, muss ich das verneinen. Jedoch muss man auch die Beweggründe der japanischen Regierung miteinbeziehen. Da ich via Internet auch die deutsche Berichterstattung erlebt habe, bin ich der Meinung, das vieles in den deutschen Medien gezielt übertrieben wurde, dabei geht es aber mehr um die Einschaltquoten. Wenn ich mir nun solch eine Berichterstattung in Japan vorstellen wurde, bräche dort sofort eine Massenpanik aus. Genau das wollte die japanische Regierung und auch die Medien verhindern. Aber dank dem Internet kann man sich auch anderweitig informieren und sich aus den unterschiedlichen Nachtrichten dann die Infos holen.

RauteMusik:
Hast du das Gefühl, die zugesicherte Hilfe kommt in Japan an?

Andreas: Ja, ich habe sogar ein Foto von Freunden am Flughafen in Narita gesehen, als der THW gerade angekommen ist. Also denke ich, dass die Hilfe zum größten Teil auch ankommt.

RauteMusik: Abschließend noch: Willst du Deutschland oder der Welt noch etwas mitteilen?

Andreas: Ich habe gehört, dass viele Deutsche bereits in den Botschaften anrufen und spenden wollen und auch mit kleinen Geschenken und Kerzen vor den Botschaften ihr Beileid und ihr Mitgefühl ausdrücken. Dieses Mitleiden und diese Hilfbereitschaft bewundere ich. Natürlich hoffe ich, dass auch in anderen Ländern solch ein Engagement zu Helfen besteht, damit nicht nur Japan, sondern auch die ganze Welt diese Katastrophe so schnell wie möglich übersteht.

Quelle: Spiegel.de | Faz.net

Bilder:
(c) Andreas
Cary Bass / Wikimedia.org

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