Stuttgart 21 – Der Widerstand wächst

Seit Wochen rebellieren die Schwaben in Stuttgart gegen das Bahnprojekt Stuttgart 21. Am 10. September demonstrierten knapp 70.000 Menschen gegen das vermeintliche Milliardengrab.

An diesem Freitag waren in Stuttgart sogar gleich zwei große Protestzüge unterwegs. Eigentlich war eine Menschenkette zwischen den Parteizentralen der CDU und der SPD geplant – was allerdings aufgrund der Masse, die sich gegen 19 Uhr in Bewegung setzte, schier unmöglich war. Was als Menschenkette angedacht war, wurde zu einem lautstarken Protestzug ummodelliert. „Lügenpack“, „oben bleiben“, schallte durch die Stuttgarter Innenstadt, begleitet von Trillerpfeifen und sonstigen Dingen, mit denen man sich bemerkbar machen kann.

Die Stuttgarter stehen auf und eine Menge weiterer Menschen aus dem schönen „Musterländle“ haben sich in der Zwischenzeit mit den Bewohnerinnen und Bewohnern der Landeshauptstadt solidarisiert. Organisatoren sprechen von exakt 69.112 Demonstranten, die am 10. September mobilisiert werden konnten – wieder einige Tausend mehr, als noch vor einer Woche. Die Polizei spricht von 35.000, wobei auch deren Angaben – proportional zu den Veranstalterangaben gesehen – wöchentlich steigen. Wie man das Blatt also wendet, egal wem man mehr Glauben schenkt: der Widerstand in Stuttgart und im ganzen Land wächst!

Grube rechnet nach

Keine 24 Stunden nach den Massenprotesten gegen Stuttgart 21 meldete sich auch Rüdiger Grube, Chef der Deutschen Bahn und damit auch Bauherr für das Bahnprojekt, zu Wort. Wieder geht es einmal mehr um die Milliarden schweren Kosten, die das Großprojekt birgt. „Bei Infrastrukturprojekten kann man nie sagen, was am Ende auf Heller und Pfennig herauskommt“, so Grube in einem Interview mit der WirtschaftsWoche. Als Beispiele führte er steigende Sicherheitsstandards im Tunnelbau voran. Im gleichen Zug betonte Grube, dass die Größenordnung beider Projekte – also einerseits die Verlegung des Stuttgarter Kopfbahnhofs in den Untergrund als auch die Neubaustrecke Wendlingen/Ulm – kostenmäßig realistisch sei. Nach aktuellen Berechnungen fielen demnach 4,1 Milliarden Euro für den Umbau des Stuttgarter Hauptbahnhofs an und weitere 2,9 Milliarden Euro für die Neubaustrecke zwischen Wendlingen und Ulm.

Den Demonstranten geht es allerdings nicht nur um die fiskalischen Risiken, die das Großprojekt birgt. Es geht auch um die Veränderung des Stadtbildes und welche Baumaßnahmen hierfür angewandt werden müssen. Mehrere hundert Bäume im Stuttgarter Schloßpark – viele davon einige hundert Jahre alt – müssen für das Prestigeprojekt weichen. Zusätzlich ist während der Bauzeit mit erheblichen Behinderungen im Stadtzentrum, aber auch beim Nah- und Fernverkehr zu rechnen. Was den Schwaben aber am meisten stinkt, ist, dass die Bevölkerung in der Planungsphase nicht angehört und ein versprochener Bürgerentscheid in Stuttgart nicht durchgeführt wurde.

Entsteht eine Demokratiebewegung in Baden-Württemberg?

Baden-Württemberg ist – im Vergleich zu anderen Bundesländern in Deutschland – ein Entwicklungsland, was die direkten Mitbestimmungsmöglichkeiten durch das Volk betrifft. Volksbegehren und daraus resultierende Volksentscheide, wie man sie in Bayern zuletzt in der Frage des Nichtraucherschutzes beobachten konnte, gab es im Ländle in der mehr als 50-jährigen Geschichte noch nicht. Hierzu stellt die Landesverfassung unüberwindbare Hürden auf. Immerhin müssen auf Landesebene beispielsweise nach einem Landtagsbeschluss innerhalb von 14 Tagen ein Sechstel der Bevölkerung einem Volksbegehren zustimmen, ehe es zu einem Entscheid kommt. Dies entspricht derzeit weit mehr als einer Million Unterschriften, die innerhalb dieser kurzen Frist gesammelt werden müssen. Kein Wunder also, dass man selbst nach den entscheidenden Landtagssitzungen zu Stuttgart 21 keine ausreichende Menge an Unterschriften zusammen bekommen konnte.

Stuttgart 21

Bei der Kundgebung am 10. September auf dem Stuttgarter Schloßplatz hörten daher viele Menschen gespannt den Ausführungen von Gerald Häfner, Mitbegründer der Initiative „Mehr Demokratie e. V.“ sowie Mitglied des Europäischen Parlaments, zu, als dieser sich zu seinen „Vorstellungen über Demokratie“ äußerte. Häfner appellierte an die Widerstandsbewegung gegen Stuttgart 21, die Energie nicht verpuffen zu lassen, sondern aus der Bewegung heraus ebenfalls eine Initiative zu schaffen, die sich für eine bürgerfreundlichere Landesverfassung im Hinblick auf Volksentscheide einsetzt. „In einer lebendigen Demokratie gibt es viele Menschen mit unterschiedlichen Schwerpunkten, von denen die Politiker noch viel lernen können“, so Häfner.

Der Schwabenprotest geht weiter. Schon am Montag findet die nächste planmäßige Demonstration statt und auch diese wird wieder mit einem lautstarken „Schwabenstreich“ enden.

Quelle: wiwo.de

Bilder:
(cc) Lars Haise

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