Hintergrund: Bruderkrieg in Palästina

Für fast drei Monate schien sich die Lage im Gazastreifen beruhigt zu haben. DieEinheitsregierung aus den beiden verfeindeten Parteien Fatah und Hamas regierte zusammen.

Am Anfang der Woche war es jedoch mit dem „friedlichen Beisammensein“ der beiden Gruppen vorbei. Die Hamas übernahm binnen drei Tagen die Kontrolle über den Gazastreifen.

National wie international stieß diese Offensive auf heftige Kritikund Unverständnis. Palästinenserpräsident Abbas löste als Reaktion auf den Gewaltausbruch die Einheitsregierung auf, entließ den der Hamas angehörenden PräsidentenHanija und ernannte den bisherigen Finanzminister Salam Fajad zum neunen Präsidenten der Notstandregierung. Fajad gilt weit über die Grenzen seines Landes hinaus als professionell undzuverlässig. Dass der Saubermann, der schon unter Arafat gegen Korruption und für eine Anerkennung Israels gekämpft hat, eine kommende Neuwahl gewinnen wird, ist aber mehr alsunwahrscheinlich. Zu groß sind die Unterschiede seiner Ansichten zur Mehrheit der Palästinenser.

Nach der Entlassung von Ismail Hanija als Ministerpräsidenten erklärte die Hamas, dass sie sich der Entscheidung von Mahmud Abbas nicht beugen werde und die Regierung fortsetzen werde. Um diese Aussage zu bekräftigen, nahmen sie kurz darauf den Sitz des Präsidenten in Gaza Stadt ein.

Ein maskierter Mann auf dem Sessel von noch Staatspräsidenten Abbas, den Telefonhörer am Ohr, Gewehr im Anschlag. Das Bild soll der ganzen Welt zeigen: Hier regiert ab jetzt die Hamas. Der im syrischen Exil lebende Hamas-Führer Chalid Maschaal erklärt: „Was in Gaza passiert ist, ist eine Notmaßnahme, um mit einem Staat umzugehen, der sich jedem aufzwingen wollte.“ so Maschaal während einer Pressekonferenz. „Wir wurden zu dieser Notmaßnahme gezwungen. Wir wollten das nicht, aber wir wurden dazu gezwungen.“ Gleichzeitig bot er Abbas eine Zusammenarbeit an. Andere hochrangige Hamas Politiker prangerten die Notstandsverordnungen als „Staatsstreich gegen die Legalität“ an. Die Ernennung von Fajad zum neuen Präsidenten verstoße gegen „alle palästinensischen Gesetze“.

International reagierten Europa und die USA empört über die Machtübernahme der Hamas und stärkten Mahmud Abbas den Rücken. Seine Entscheidungen, die Regierung aufzulösen, waren vollkommen legitim. Gleichzeitig erklärten sie, die Zahlungen an die Palästinenser vorerst nicht einzustellen. Die Arabische Liga äußerte sich ähnlich. Sie forderte die beiden Parteien auf, so schnell wie möglich zu einer gemeinsamen Entscheidung und Regierung zurück zu kommen. Sonst sei „die Palästinenser-Frage begraben“, sagte der saudi-arabische Außenminister Prinz Saud al-Faisal in Kairo. „Mit ihrem internen Kampf haben die palästinensischen Brüder einen Traum Israels erfüllt“.

Hintergründe: Warum sich Fatah und Hamas so hassen

Um zu verstehen, warum sich Hamas und Fatah bekriegen muss man einige Jahrzehnte zurückblicken: Fast 40 Jahre lang war die Fatah die mächtigste und lange Zeit auch die einzige politische Kraft der Palästinenser. In den Augen der Hamas hat sie jedoch jämmerlich versagt. Insbesondere in den 90er Jahren, als es unter Arafat einen Friedensprozess gab, der nur eine teilweise Autonomie unter Weiterführung der israelischen Besatzung versprach (Osloer Abkommen im Jahre 1994).

Die Fatah dominierte zu dieser Zeit das Straßenbild. Unbeliebte Hamas Anhänger wurden gejagt und in den Gefängnissen zum Teil gefoltert. Die Führungsriege der Fatah lebte nach westlichem Vorbild, hatte Geld und baute moderne Häuser. Sie fuhren westliche Autos und ließen es sich überhaupt gut gehen. Der Hass der meisten Hamas Anhänger ist auf diese Erfahrungen in diesen Jahren zurückzuführen. Die Hamas lehnte alles ab, wofür die Fatah stand. Damals und heute geht es um die Macht, um die Entscheidungsgewalt und um die Frage wie und vor allem mit welchen Methoden ein Palästinenser Staat errichtet werden kann.

Als im November 2004 PLO-Chef Arafat starb, gab es zwei Wahlen. Einmal 2005, wo Mahmud Abbas zum neuen Staatspräsidenten gewählt wurde und einmal 2006, als das Parlament gewählt wurde. Diesmal durfte die Hamas an den Wahlen Teilnehmen – mit der Zustimmung Israels. Bei dieser Wahl dominierte klar die Hamas. Das Problem bei der ganzen Sache war nun, dass es zwei verfeindete Machtzentren gab. Und beide konnten sich darauf berufen, legitim gewählt worden zu sein.

Nach den Wahlen erkannte Abbas diese nur sehr zögerlich an. Der Westen unterstütze ihn dabei. Mit der Hamas wollte man gar nicht reden. Zahlungen sollten wenn dann nur an Abbas fließen. Das Resultat war, dass der Lebensstandard in den Palästinensergebieten rapide sank. Abhilfe würde es nur geben, wenn die Fatah in die direkte Regierung einbezogen würde, erklärten die USA im Winter 2006. Die Ereignisse der folgenden Monate wurden von einem der Hamas nahe stehenden Verwaltungschef im Gazasteifen, Mousa Hamad aus Beit Hanun, so geschildert: „Die größte Schwierigkeit mit der neuen Regierung ist, dass die Hamas-Regierung von den Menschen gewählt worden ist und dass nun von den Menschen verlangt wird, von außen eine neue Regierung zu bilden. Das kommt nicht von innen!“

Im Februar wurde dann die neue „Regierung der nationalen Einheit“ gebildet. Dort sollte dann zusammenwachsen, was nicht zusammenpasst. Als die Sanktionen weiter in Kraft blieben war es für die Hamas aus und vorbei. Aus ihrer Sicht hatte die Fatah ihr Koalitionsversprechen nicht eingehalten. Somit gab es keinen Grund mehr, die verhassten Fatah länger an ihrer politischen Seite zu tolerieren. Das vorläufige Ende vom Lied haben wir nun die vergangene Woche betrachten können.

Steckbrief Hamas
  • Radikal-islamische Palästinenserorganisation
  • Hohes Ansehen in der Bevölkerung als Wohltätigkeitsorganisation mit Schulen, Krankenhäusern und Arbeitsvermittlung
  • Größte und einflussreichste islamische Bewegung in den Palästinensergebieten, seit März 2006 an der Regierung
  • Ziel: Gewaltsame Errichtung eines islamischen Staates Palästina
  • Lehnt Zwei-Staaten-Lösung und Friedensverhandlungen mit Israel ab
  • Name steht für „Bewegung des islamischen Widerstands“
  • Gründer: Scheich Ahmed Jassin (1936 oder 1938-2004)
Steckbrief Fatah
  • Eher gemäßigte Palästinenserorganisation, rivalisiert mit der radikal-islamischen Hamas
  • Gilt vielen Palästinensern als korrupt
  • Stärkste Kraft innerhalb der Dachorganisation PLO, stellt seit 2005 mit Machmud Abbas den Präsidenten der Autonomiebehörde
  • Ziel: Gründung eines unabhängigen Palästinenserstaates
  • Setzt seit Oslo-Vereinbarungen von 1993 auf Verhandlungen mit Israel
  • Name: Arabische Abkürzung für Palästinensische Befreiungsbewegung
  • Gründer: Jassir Arafat (1929-2004)
Weitere Hintergrundinformationen zum Nahostkonflikt an sich findet ihr hier

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