Es hätte klappen können…
Ein neues „Silent Hill“, für einen Handheld, ohne Horror, dafür mit „Diablo“-Gameplay – das kann eigentlich nur schief gehen, oder? Wie gut, schlecht und vor allem anders das erste „Silent Hill“ von WayForward Technologies geworden ist, verrät euch unser Review.
Die Story von „Book of Memories“ ist schnell erzählt: Als eines von fünf US-High-School-Klischees bekommt ihr von dem aus „Silent Hill: Downpour“ bekannten Briefträger Howard das namensgebende „Book of Memories“, in dem all eure Erinnerungen niedergeschrieben sind. Vor dem Einschlafen verspürt ihr plötzlich Lust, den Text des Buches umzuschreiben und Szenen eures Lebens, die weniger toll verlaufen sind, zu korrigieren. In der folgenden Nacht durchlebt ihr einen Albtraum in der „Otherworld“ von Silent Hill, in welchem ihr sowohl euren Wunsch, die Vergangenheit zu ändern, wahr machen als auch rasch euer Leben verlieren könnt.
Welcome to Silent … Hill?!
Entgegen meiner kleinen Einführung gehört „Silent Hill: Book of Memories“ nicht dem Survival-Horror-Genre an. Genauer gesagt hat es mit Horror überhaupt gar nichts zu tun. Vielmehr handelt es sich um einen Dungeon Crawler Marke „Diablo“: Aus der Topdown-Perspektive erforscht ihr 26 verwinkelte und zunehmend gefährlicher werdende Dungeons, während ihr euch allerhand Gegner aus dem „Silent Hill“-Universum erwehrt. Im Kampf könnt ihr euch einer Vielzahl an Waffen aus eurer Umgebung, wie Küchenmesser, Stahlrohre und Äxte, aber auch Pistolen, Assault Rifles und exotischer Fundstücke wie Morgensternen bedienen. Allerdings halten eure Waffen nicht für immer – nach ein paar Hieben oder Schüssen geben die meisten den Geist auf. Zwar könnt ihr sie rechtzeitig mit dem richtigen Werkzeug reparieren, trotzdem müsst ihr euch während eures Abenteuers darauf einstellen, häufig die Waffe – und damit die Kampfstrategie – zu wechseln.
Erledigte Feinde lassen Erinnerungsfragmente zurück, die ihr bei Howard, der neben dem Austragen von Briefen scheinbar eine Ladenkette inmitten von Silent Hills höllischer „Otherworld“ betreibt, gegen nützliche Items tauschen könnt. Das Besiegen von Monstern hat allerdings noch wichtigere Folgen. Es gibt drei verschiedene Gegnertypen in „Book of Memories“: Licht, Blut und Stahl. Tötet ihr Gegner, die dem Licht- oder Blut-Typus angehören, erhaltet ihr eine kleine Menge des jeweils gegenteiligen Elements, die euren Karma-Meter beeinflussen. Tendiert euer Karma mehr in Richtung Blut, bekommt ihr Zugriff auf vernichtende schwarze Magie, während ein Licht-Charakter Schutz- und Heilungszauber meistern kann. Stahl-Typen beeinflussen euer Karma nicht, sind also neutral. Nebenbei gibt es für gewonnene Kämpfe natürlich auch die obligatorischen Erfahrungspunkte, die euren Charakter aufleveln lassen und dadurch stärker machen.
Obwohl die Konfrontationen mit Silent Hills makaberen Kreaturen klarer Gameplay-Mittelpunkt sind, kommen auch Rätsel und Erkundung nicht zu kurz. Die meisten Puzzles können nicht gelöst werden, solange ihr nicht bestimmte Items gefunden habt, die zu seiner Aktivierung notwendig sind. Diese sind – natürlich – über das halbe Level verstreut und laden euch somit nicht nur zum Erforschen der „Otherworld“ ein, sondern zwingen euch regelrecht dazu.
Gemeinsam statt einsam
Die Ausrichtung eures Charakters ist eine der Kernaufgaben in „Book of Memories“. Der Hintergrund: Wie „Diablo“ ist auch „Book of Memories“ kein Titel, der sich an einsame Wölfe richtet. Der Online-Coop ist somit klarer Mittelpunkt des Spiels – hier ist Party-Bildung und gemeinsames Erkunden gefragt. Ich empfehle euch dringend, die „Otherworld“ möglichst im Team zu erkunden, da die Dungeons schnell äußerst hässlich werden. Der Schwierigkeitsgrad diskriminiert Einzelspieler gnadenlos, was für gehörigen Frust sorgen kann, wenn keine Internet-Anbindung verfügbar ist.
Ironischerweise ist dies das größte Problem von „Book of Memories“. Das neue Dungeon-Crawler-Gameplay eignet sich an und für sich hervorragend für unterwegs, da man zwischendurch fünf oder zehn Minuten zocken kann, sich aber nicht auf die atmosphärisch-emotionale Achterbahnfahrt einzulassen braucht, die „Silent Hill“ üblicherweise ausmacht. Leider wird dieses Prinzip durch den starken Fokus auf Multiplayer völlig unterwandert. Zwar ist es durchaus möglich, „Book of Memories“ im Alleingang durchzuspielen, aber man muss eine große Portion Geduld mitbringen. Kooperativ kommt ihr jedenfalls deutlich schneller und bequemer voran.
Was mir als „Silent Hill“-Fan sauer aufstieß, war übrigens nicht der Wechsel des Genres. Zwar handelt es sich bei „Book of Memories“ um einen klaren Fall von Etikettenschwindel, da es mit „Silent Hill“ hinsichtlich Präsentation, Story oder Atmosphäre nichts zu tun hat, trotzdem ist der Fanboy-Shitstorm, der den Entwicklern aktuell um die Ohren fliegt, nicht ganz gerechtfertigt. So toll ich „Origins“ und (mit Abstrichen) „Shattered Memories“ auf der PSP auch fand, ich habe sie letztlich nur in meinen eigenen vier Wänden gespielt. Das widerspricht aber dem Zweck eines Handhelds. Ein gutes Handheld-Spiel kann gerne atmosphärisch dicht sein und eine tolle Story erzählen, muss aber auch unterwegs spielbar sein, ohne dass dadurch die komplette Spielerfahrung den Bach runter geht. „Book of Memories“ mag kein vollwertiges Mitglied der Silent Hill“-Familie sein, aber es liefert im Rahmen des Franchise definitiv das beste Erlebnis für unterwegs. Irritierender als den Genre-Schwenk empfand ich hingegen die völlige Einfallslosigkeit bei der Umsetzung des vielfältigen und immer noch starken „Silent Hill“-Szenarios – insbesondere das scham- und kopflose Monster-Recycling.
Der Vita-Ableger bietet ein regelrechtes Stelldichein von Kreaturen aus der gesamten Saga. Neben den obligatorischen Krankenschwestern und Pyramid Head sind beispielsweise auch der Butcher aus „Silent Hill: Origins“, Schism aus „Silent Hill: Homecoming“ und der Boogeyman aus dem jüngst erschienenen „Silent Hill: Downpour“ dabei. „Silent Hill“ ist eine Serie, die großen Wert auf Symbolik legt, und obwohl „Book of Memories“ abgesehen von Titel und Design nichts mit „Silent Hill“ zu tun hat, ist die Art, wie hier einfach wahllos alle Gegnertypen, die von den Entwicklern als „cool“ genug erachtet wurden, dem Spieler (erneut) vorgesetzt werden, geradezu armselig. Die 26 Levels enthalten nicht einen völlig neuen Feind, stattdessen wurde Wiederverwertung in großem Stil betrieben. Serien-Neulinge dürfte das nicht stören, ich hingegen war immer aufs Neue genervt, wenn mir ein neuer alter Widersacher vorgesetzt wurde. Selbst vor den Air Screamern aus dem ersten „Silent Hill“ wurde nicht haltgemacht – dachten die Entwickler etwa, das sei guter Fan-Service?
Die Vergangenheit lässt grüßen
Was hingegen selbst Neulinge auf die Palme bringen dürfte, ist das stellenweise grauenvolle Leveldesign. Je größer der Dungeon, desto mehr Zeit verbringt ihr mit ziellosem Umhergerenne. Was online zumindest halbwegs erträglich ist, da man sich mit seinen Kameraden absprechen oder nebenbei via Voice Chat wenigstens Zeit totschlagen kann, verkommt im Singleplayer gelegentlich zur zähen Geduldsprobe.
In Sachen Umsetzung wird das schwache Leveldesign nur durch die veraltete Technik übertroffen. „Silent Hill: Book of Memories“ hätte mit ein paar Downgrades in Sachen Lichteffekte und Texturauflösung ebenso gut ein PSP-Spiel sein können. Sonys kleines Technikwunder kann wesentlich mehr. Leider gerieten auch die Ladezeiten relativ lang, was die Geduld der Spieler zusätzlich strapaziert. Immerhin wurden die Touchscreens des Handheld mittels kleiner, aber effektiver Gesten sinnvoll genutzt. Die Steuerung funktioniert allgemein gut – dadurch lassen sich sonstige Defizite leichter verschmerzen.
Ein nettes Atmosphäre-Plus ist außerdem der Soundtrack. Wie bei „Silent Hill: Downpour“ stammt die Musik vollständig aus der Feder von Daniel Licht. Obwohl ich nur ein weiteres Mal betonen kann, dass Licht kein Ersatz für Akira Yamaoka ist, heben (oder senken, je nach Situation) seine Kompositionen die Stimmung und helfen, wenigstens ein bisschen „Silent Hill“-Flair ins Spiel zu tragen.
Fazit, Sebastian Meinke
Unabhängig davon, was man über den „Silent Hill“-Etikettenschwindel denkt, hätte „Silent Hill: Book of Memories“ das Zeug gehabt, ein „Big Player“ im nach wie vor spärlichen Line-Up der Vita zu werden. Durch den zu starken Fokus auf Online-Coop und das zähe, monotone Leveldesign zieht es den Einzelspieler jedoch direkt hinab in die Gameplay-Hölle. Während geduldige Naturen den durchdachten Mix aus RPG und Hack’n’Slay irgendwann zu schätzen lernen, werden sich die meisten Interessenten, fürchte ich, schnell abwenden. Das ist schade, aber nicht unverdient. Um einer Enttäuschung vorzubeugen, checkt unbedingt ein paar „Let’s Play“ eures Vertrauens, ehe ihr über einen Kauf nachdenkt.
Schlagworte: Action, Book of Memories, Coop, Daniel Licht, Diablo, Handheld, Horror, konami, kooperativ, Otherworld, Playstation, PlayStation Vita, Review, silent hill, Sony, Vita