Review: Resident Evil 6 (Xbox 360)

Resident Evil 6

Eines für alle – alles für keinen

Drei Jahre hat es gedauert, bis Capcom das Horror-Urgestein „Resident Evil“ wieder aus der Mottenkiste geholt und der Reihe einen offiziellen 6. Teil spendiert hat. Nach „Resident Evil 5“ hatte ich eigentlich keine besonderen Erwartungen an den Titel – wieso er mich trotzdem enttäuscht hat, erfahrt ihr im folgenden Review.

Super-Schurke Albert Wesker ist tot (und soll es angeblich auch bleiben), die Welt ist gerettet – trotzdem muss es mit „Resident Evil“ irgendwie weitergehen. Für die Story griff Capcom direkt in die Vollen: Anstatt den Ausbruch eines tödlichen Virus, wie es Serientradition ist, auf eine Stadt oder einen Kontinent zu beschränken, geht es diesmal gegen den internationalen Bio-Terrorismus zu Felde. Eine Gruppierung namens „New Umbrella“ benutzt einen neuen Erreger – das C-Virus – um den US-Präsidenten zu töten und, ganz nebenbei, ganz Washington in eine fröhliche Party der Untoten zu verwandeln. Da Zombies aber nicht genug sind, gibt’s einen Szenenwechsel nach Osteuropa, wo Söldner durch den Virus in „J’avo“ – eine Art insektoider Formwandler – mutiert sind. Eine bunte Cast aus Resident-Evil-Allstars darf sich nun der globalen Probleme annehmen – mit viel Bumm-Bumm. Sehr viel.

Rookie oder Veteran?

Die Story ist in drei Kampagnen (und eine Bonus-Kampagne) aufgeteilt. Der Spieler hat die Wahl zwischen drei Zweierteams, die jeweils aus einem Serien-Routinier und einem Newcomer bestehen. Jedes Paar folgt anschließend seinem eigenen Handlungsstrang. Interessant ist, dass sich die drei Kampagnen immer wieder überschneiden. Aus narrativer Sicht kein Novum, aber ein interessanter Ansatz, sofern man online spielt. Kreuzen sich die Wege der sechs Helden in der Kampagne, wird automatisch eine gemeinsame Session mit zufälligen Mitspielern erstellt, die sich in der jeweils anderen Kampagne an der gleichen Stelle befinden – was im Klartext bedeutet, dass ihr regelmäßig mit anderen menschlichen Teams zusammenarbeitet, ehe die Protagonisten wieder getrennte Wege gehen. Grundsätzlich ist das eine tolle, wenn auch einfache Idee, da ihr den Unbekannten, mit deren Seite ihr plötzlich ums Überleben kämpfen müsst, meist ebenso misstraut, wie die Charaktere im Spiel sich einander nicht grün sind.

Überhaupt ist der Drop-in-Coop tadellos implementiert und bietet etliche Konfigurationsmöglichkeiten, inklusive der Definition eines Spielziels (z.B. „Playing for Fun“, „Here for the Story“ oder „Playing for Medals“), um leichter zu den für euch richtigen Partnern zu kommen. Alternativ können euch andere Gamer aber auch das Leben schwer machen und als Monster in eure Session einsteigen – „Left 4 Dead“ lässt grüßen.

Resident Evil 6

Zwischendurch wartet das eine oder andere Rätsel darauf, von euch angepackt zu werden. Obwohl ihr eure grauen Zellen für deren Lösung nicht übermäßig beanspruchen müsst, sind die Puzzles immerhin anspruchsvoller als seinerzeit bei „Resident Evil 5“, das sich meist auf stupides Item-Grinding beschränkte. Trotzdem steht ganz klar Action im Vordergrund. Da ihr euch in zwei der drei Kampagnen mit euren Gegnern auch Schusswechsel liefert, war der Einbau einer entsprechenden Cover-Mechanik notwendig, was dem Ganzen einen Hauch von Deckungs-Shooter verleiht.

Stichwort Deckungs-Shooter: Das zugrunde liegende Gameplay und insbesondere die neue, actionbetonte Steuerung erinnern deutlich an das im vergangenen März veröffentlichte Coop-Spin-off „Resident Evil: Operation Raccoon City“. Allerdings gibt es zwischen den beiden Spielen durchaus grundlegende Unterschiede. Der wohl markanteste: „Operation Raccoon City“ hatte eine durchgängige inhaltliche Linie, die von Slant Six Games halbwegs konsequent verfolgt wurde.

Die vielen Gesichter von Resident Evil

Ich habe lange Zeit kein so schizophrenes Spiel wie „Resident Evil 6“ mehr gesehen. Es wirkt, als hätten sich die Leute bei Capcom auf keinen gemeinsamen Kurs einigen können. Ich kann mir die Staff Meetings fast bildlich vorstellen: Jeder wirft seine Ideen und Vorstellungen in die Runde, es wird gezankt und diskutiert, bis es dem Management zu blöd wird und aus der Chefetage die Weisung kommt, einfach alle Vorschläge irgendwie in das fertige Spiel zu packen. Das Resultat: „Resident Evil 6“ ist ein gewaltiger Kompromiss – und als solcher ein Produkt ohne Seele oder eigene Identität.

Resident Evil 6

Obwohl ich Abwechslung in Spielen üblicherweise schätze (z.B. in Yakuza 4, wo sich die Kapitel der vier Protagonisten auch deutlich unterschieden haben), vermisse ich hier einfach den roten Faden, der die Bestandteile zusammenhält. Den drei Kampagnen fehlt jegliche Harmonie – die starken Abweichungen in Sachen Atmosphäre und Präsentation machen es schwierig, „Resident Evil 6“ als Gesamtwerk zu betrachten. Vor allem Leons Story will so gar nicht zum Rest des Spiels passen. Hier gibt es keine J’avo – gekämpft wird ausschließlich gegen Zombies, die wiederum in keiner anderen Kampagne vorkommen – und die dominante Düsternis liefert einen krassen Kontrast zu den hellen osteuropäischen Städtchen und chinesischen Labors, die von Jake/Sherry beziehungsweise Chris/Pierce besucht werden. Auch in Sachen Gameplay wirkt die Leon-Kampagne seltsam: Da Zombies keine Schusswaffen bedienen können (zumindest nicht gezielt), ist die gesamte Cover-Mechanik mehr oder weniger nutzlos – ein Indiz dafür, dass in „Resident Evil 6“ einfach wild Ideen zusammengeschmissen wurden, ohne sich großartig Gedanken über den Gesamteindruck zu machen.

Der Schwierigkeitsgrad ist genauso unausgewogen, wie er es in „Operation Raccoon City“ war. Manche Abschnitte sind geradezu lächerlich einfach, andere hingegen vor allem dann übermäßig hart, wenn man mit einem KI-Partner unterwegs ist. Denn obwohl euer Computer-Kollege über unendlich Munition zu verfügen scheint, ist er ansonsten keine große Hilfe. Ohne menschlichen Mitstreiter würde ich die Kampagnen auf dem höchsten Schwierigkeitsgrad nicht einmal mit der Kneifzange anfassen, da ich so auf „Normal“ schon genug Probleme hatte.

Resident Evil 6

Milla, we need you!

Auch aus technischer Sicht ist „Resident Evil 6“ eine zwiespältige Angelegenheit. Die Grafik ist nicht High-End, aber immer noch sehr gut; gerade die stimmungsvollen Licht- und Feuereffekte helfen oft bei der atmosphärischen Unterstreichung wichtiger Szenen. Die Ladezeiten sind überraschend kurz und lassen sich durch eine Installation auf die Festplatte eurer Xbox 360 weiter verringern. Leider findet sich derzeit auch der eine oder andere Bug im Spiel. Manchmal sind Gegner, die hinter durchlässigen Objekten (wie Maschendrahtzäunen) stehen, unbesiegbar, ein anderes Mal reagieren sie einfach nicht auf eure Anwesenheit oder laufen an euch vorbei, zudem werden Achievements nicht immer freigeschaltet (ich bekam z.B. die Achievements für das Absolvieren von Level eins und drei von Leons Kampagne, nicht aber jenes für Level zwei).

Immerhin wurde die Präsentation von Capcoms Horror-Shooter sichtlich auf Hochglanz poliert. Bewusst auf episch getrimmte Cutscenes, stimmige Levelgestaltung und ein schönes Sound-Design samt überraschend guter englischer (und weniger guter deutscher) Synchronisation sorgen für eine absolute Top-Inszenierung. Doch gerade dieser Umstand sorgte bei mir für Verwunderung: Ich verstehe nicht, wieso Capcom das Franchise immer noch als Horror-Reihe vermarktet.

Resident Evil 6

Abseits der düsteren Leon-Kampagne ist das Spiel so gruselig wie ein Kindergeburtstag. Statt an gelungenen Genre-Crossovers wie „Dead Space“, wo weder Horror, noch Action zu kurz kommen, orientiert sich „Resident Evil 6“ hinsichtlich Präsentation eher an den völlig jenseitigen Spielfilmen mit Milla Jovovich: Explosionen, krasse Akrobatik-Action und wilde Stunts, wohin man schaut. Angesichts „Resident Evil: Retribution“ könnte sich Paul W. S. Anderson das Schreiben eines neuen Drehbuchs direkt sparen und dieses Spiel mit einer zusätzlichen Rolle für die gute Milla einfach adaptieren – es würde keinem Fan der Filme (sofern es das gibt) auffallen. Nein, ich kritisiere nicht, dass „Resident Evil“ kein Survival Horror mehr ist – darüber bin ich spätestens seit Teil fünf endgültig hinweg -, sondern bedauere, dass die Serie nun endgültig ihr letztes bisschen Charme verloren hat und sich widerstandslos in die Reihe der 0815-Hollywood-Actioner einordnet.

Fazit, Sebastian Meinke

Ist „Resident Evil 6“ nun schwächer als das unterirdisch schlechte „Operation Raccoon City“? Gewiss nicht. Auf diese „Leistung“ braucht Capcom aber nicht stolz zu sein, denn Teil sechs ist eindeutig der bisherige Tiefpunkt der achtteiligen Hauptreihe. Es sieht ganz danach aus, als befände sich „Resident Evil“ nach dem Weggang von Shinji Mikami auf Identitätsfindung – und wurde dabei innerlich zerrissen. Anschließend wurden die Fetzen zu einer Art Michael-Bay-Blockbuster mit Horror-Einschlägen zusammengeflickt, der es allen recht machen will. Sorry, Capcom, aber so wird das nichts – von mir gibt’s keine Kaufempfehlung.

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