Ein Tag bei „Rock im Park“

Vor einer Woche verwandelte das Festival „Rock im Park“ das Zeppelinfeld inNürnberg in einen Hexenkessel. RauteMusik war für euch vor Ort und berichtet in einem Resümee über wetterfeste Briten, Rapper im Regen und einen 60-jährigenMülltouristen.

Wenn für Axel Jöemägi der Tag beginnt, ist es ruhig. Die meisten seiner Nachbarn schlafen noch, oder sitzen mit tiefen Augenringen in Campingstühlen vor ihrenWochenend-Behausungen. Der Konzertmarathon vom Vortag hat seine Spuren hinterlassen. Dabei war gestern erst Freitag, also nur der Auftakt für drei Tage Rockmusik, Exzess und Anarchie – „Rock imPark“ eben.

Deutsche Bands enttäuschen weitestgehend

Doch dieser Auftakt war kein seichtes Intro. Am Freitagabend sorgten die Toten Hosen für einen fulminanten Einstieg in das Festivalwochenende. Routiniert und gnadenlos trieben sie das Publikuman den Rand der Erschöpfung. Die Alt-Punker aus Düsseldorf beherrschen eben ihr Handwerk – auch wenn bei der glatt geschliffenen Show und dem auf Hochglanz produziertem Sound der Punk etwasauf der Strecke bleibt.

Weniger glatt, sondern vielmehr holprig und improvisatorisch verlief zuvor derAuftritt der Sportfreunde Stiller. Die Blödel-Rocker aus München konnten mit ihren Fußball-Opern keinen Zugang zum Publikum herstellen. Zwischen musikalisch hochkarätigen,internationalen Künstlern ist eben mehr nötig, als ein eingängiger Refrain und ein Text, der einen beim ersten Hören vielleicht schmunzeln lässt. Handwerkliches Könnenetwa, und eine Präsenz, die die gesamte Bühne einnimmt. Aber immerhin gab es für das Trio aus Bayern dann doch noch tosenden Applaus – als sie „Seven NationArmy“ von den White Stripes anstimmten.

Für einen rasanten Endspurt am Auftakt-Freitag sorgten die experimentierfreudigen Queens of the Stone Age und schließlich die Metall-Band Dimmu Borgir. Kein Wunder also, dass einige vonHerrn Jöemägis Nachbarn am Samstagmorgen noch verschlafen und eher gedämpft wirken.

Herr Jöemägi selber ist nicht in Katerstimmung. Im Gegenteil: Er freut sich auf den Tag und die Eindrücke, die er heute wieder sammeln wird. Der 60-Jährige verbringt ein langesWochenende auf einem städtischen Campingplatz nahe dem Zeppelinfeld in Nürnberg. Knapp fünf Minuten Fußweg trennen ihn von dem Gelände des Musikfestivals.

Die Parzelle gehört eigentlich seinen Eltern, erzählt er. Die sind aber,genau wie die zehn anderen Dauercamper der Anlage, an diesem Wochenende zu Hause geblieben. Die Vorstellung, den Konzertlärm ertragen zu müssen und das Wochenende Zelt an Zelt mitfeierwütigen Jugendlichen zu verbringen, hat sie die Flucht ergreifen lassen. Nicht aber Herrn Jöemägi – ganz im Gegenteil. Er ist sogar extra wegen dem Festival angereist. DieKonzerte besuche er nicht, dafür seien die Karten zu teuer, außerdem interessiere ihn die Musik nicht so sehr. Aber das Drumherum schaue er sich gerne an. „So was muss maneinfach mal gesehen haben!“ Und der Lärm? „Hier auf dem Campingplatz ist es überhaupt nicht laut“, sagt er.

Nasse Füße gehören zu einem Festival dazu

Tatsächlich ist es auch am zweiten Tag der Veranstaltung auf dem Platz ruhig -und sauber. Es scheint, als zöge die Anlage Gäste an, die sich neben Konzertbesuch und Dauerfete auch etwas Komfort und Ruhe wünschen. „Hier habe ich eine saubereDusche und kann in Ruhe schlafen“, erklärt die 22-jährige Michaela aus Albstadt. Sie hat sich gemeinsam mit ihren Freunden einen bungalowähnlichen Container gemietet. Nochwährend sie erzählt, dass man auf dem Festivalgelände im Schlamm erstickt, sobald etwas Regen fällt, beginnt es am Horizont zu blitzen. Kurz darauf setzen Gewitter und starkerRegen ein. Michaela stört das nicht. Sie und ihre Freunde sitzen das Unwetter unter ihrem Vordach einfach aus.

Auf dem Festivalgelände dagegen geht es hektisch zu. Konzertbesucher hasten eilig zurück zu ihren Zelten. Es gilt die Zelte zu stabilisieren, Lebensmittel vor den Wassermassen in Sicherheitzu bringen, oder im schlimmsten Fall schlicht zu retten, was noch zu retten ist.

Alex, Stefan und Bernie kommen zu spät. Der Regen hat den Raum zwischen ihrenkreisförmig aufgestellten Zelten in einen Teich verwandelt. Knöcheltief stehen die Drei ratlos im Wasser. Der Versuch das Wasser mit einer Blechbüchse wegzuschöpfen, stellt sichschnell als unbrauchbar heraus. Alex sieht es aber gelassen. „Das gehört nun mal zum Festival dazu“, erklärt er. Außerdem seien die Zelte von innen ja nochtrocken. Auf die Frage, was passiere, wenn Wasser ins Zelt eindringt, zuckt er nur mit den Schultern. „Dann zieh ich halt ins Verpflegungszelt“, sagt er und lacht. Danachmacht er sich wieder auf den Weg zu den Bühnen, ändern kann er ja nun sowieso nichts mehr.

Auf den richtigen Ton kommt es an

Unterdessen lässt The Streets Wort-Akrobat Mike Skinner seine Fans den Regenvergessen. Der wetterfeste Brite manövriert sie gekonnt durch die Wassermassen und genießt anschließend das buchstäbliche Bad im Erfolg. Rap im Regen zelebrierte anschließendauch das Hamburger MC-Trio Fettes Brot. Leider zeigten die drei Rapper eine weit weniger mitreißende Show als zuvor ihr Kollege aus Großbritannien und so blieb die Darbietung der Brote eherMagerkost.

Als am Abend die Sonne wieder durchbricht haben, auch die Letzten auf dem Campingplatzihren Kater auskuriert und machen sich langsam auf den Weg zu den Bühnen. Herr Jöemägi sitz unter seinem Vorzelt und beobachtet wie der Strom von Musikfans an ihm vorbeizieht.Tagsüber ist er während der Sonnenperioden mit dem Rad das Festivalgelände abgefahren – zumindest die Bereiche, die ohne Eintrittskarte zugänglich sind. Er hat Spaß daran,das Geschehen zu beobachten und zu sehen, wie die jungen Leute feiern. Immerhin ist er selber ein „Altrocker“, wie er schmunzelnd zugibt. Vor etwa 35 Jahren war er selber auf dem Gelände beieinem Festival. Damals spielten Santana, Chicago und Brian Adams.

Probleme mit den Jugendlichen habe er keine. Es komme nur darauf an, den richtigen Tonzu treffen – und eine Portion Humor mitzubringen. Außerdem unterschätze man die Festivalbesucher oft. Natürlich gäbe es die, die nur kommen um drei Tage lang die Sau rauszulassenund das seien dann traurigerweise auch die, über die die Nachrichten berichten. Was weniger gesehen würde ist, dass das ganze Festival auch eine sehr internationale Veranstaltung sei.„Viele der jungen Leute kommen aus dem Ausland und nutzen die Gelegenheit, um sich auch die Stadt anzusehen“, erklärt Jöemägi. „Ich war heutebei dem schlechten Wetter selbst in der Stadt und habe da einige Festivalbesucher gesehen – die erkennt man ja!“

3000 Einsätze – von Hitzeschlag bis zur Unterkühlung

Auf dem Festivalgelände pulsiert inzwischen das Leben. Die sintflutartigenRegenfälle am Nachmittag haben die Wege und Plätze vor und um die Bühnen herum in ein Schlammfeld verwandelt. Knöcheltiefe Pfützen überschwemmen die Zugangswege.Zwischen den endlosen Alleen aus Fress-Buden und Bierständen sind tausende Festival-Fans auf der Suche nach irgendetwas: Ein Mädchen mit roten Haaren sucht verzweifelt nach ihrem zweitenSchuh. Versicherungsvertreter Marc, in ein modisches Hasenkostüm gekleidet, sucht nach einem liebestollen „Bunny“ – und hunderte volltrunkener Jugendlicher nach ihremVerstand. Während der drei exzessiven Festival-Tage kommen die Sanitäts- und Polizeikräfte auf rund 3000 Einsätze: Vom Zeckenbiss über Hitzschlag bis zur Unterkühlungreicht die Palette.

Langsam wird es dunkel auf dem Zeppelinfeld in Nürnberg. Der Platz vor derCenterstage ist gerammelt voll. Scheinwerfergewitter und lautes Sirenengeheul kündigen den diesjährigen Headliner an: Rage Against The Machine. Unter den Menschenmassen ist die Spannunggeradezu greifbar. Ein unaufhörlicher Puls drückt sich Richtung Bühne. Um einen herum ist der beschleunigte Atem aufgeregter Fans zu hören. Unbewusst verfällt man dieserelektrisierenden Spannung bis sich einem die Nackenhaare aufstellen.

Ein würdiger Auftritt für einen Headliner

Als die Crossover-Helden aus Kalifornien die Bühne betreten und die ersten Akkordeanschlagen, gibt es kein Halten mehr. Wie eine riesige Welle rollt die sich entladende Spannung bis in die letzten Reihen über die Festivalwiese hinweg. Lead-Gitarrist Tom Morello bearbeitet mitchirurgischer Präzision seine Saiten, während Sänger Zack de la Rocha mit wütender Stimme seine Texte in die Masse schreit. Diese Mischung aus musikalischer Präzision undentfesselter Wut verfehlt nicht seine subkutane Wirkung: Das Publikum schreit und tanzt sich mit der Band in Rage, bis dicke Dampfschwaden über den Köpfen des kochenden Mobs schweben. Nachanderthalb Stunden verneigen sich die Musiker vor ihrem Publikum. Ein würdiger Auftritt für einen Headliner.

Nach den Konzerten kehrt auch auf dem Zeltplatz von Herrn Jöemägi langsamRuhe ein. Grüppchenweise kommen die Konzertbesucher zurück und verkriechen sich zumeist sofort in ihren Zelten. Der zweite Tag hat wieder an den Kräften gezehrt. Und die gilt es zuschonen: Morgen steht das große Finale mit der Metallegende von Metallica auf dem Programm. Für Herrn Jöemiäi dauert das Festival sogar noch einen Tag länger. „Ich mache am Montag noch mal eine Tour über die Zeltplätze“, sagt er und grinst. „Es ist nicht zu glauben, was da alles liegen bleibt!“ Mit seinem“Mülltourismus-Tag“ endet dann auch für ihn ein langes Wochenende voller unvergesslicher Eindrücke. „Eigentlich sollten wir Nürnberger alle dankbar sein für,Rock im Park'“, sagt Jöemägi. „Jede andere Stadt würde sich die Finger nach so einem Festival lecken.“

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