Madsen in Köln 30.09.2006

Neues Album, Zeit auf Tour zu gehen. Das sehen die Jungs von Madsen genauso und laden einzum festlichen Beisammensein, in größeren Hallen, bei teureren Eintrittspreisen und mit viel mehr Haaren im Gesicht. Grund genug einem Konzert beizuwohnen um zu berichten. Live, in Farbe,direkt aus der Szene, die sich dieses Mal Charts nennt.

„Sebastian, heirate mich!“

Versteht eigentlich noch jemand die Logik deutscher Autobahnbaustellen? Viertausendsechshundertdreiundfünzig – der Theatralik halber einfach mal ausgeschrieben – Kilometer Absperrung, auf denen zehn Meter für Baustellenarbeiten genutzt werden und wir haben auch noch Wochenende. Bedeutet, man fährt mit siebenundsechzig Kilometern pro Stunde an diesem Stillleben der Baustellenkunst vorbei und muss sich ein wenig seelisch auf den Abend vorbereiten, was ohne so manchen freigelegten Bierbauch eines fleißigen Arbeiters schwer fällt. Da muss man durch und hält am Motto des Abends fest: Wendland trifft Domstadt. Die fünf Jungs von Madsen werden zu Kölnern, für ein paar Stunden und das auch noch in einer der schwitzigsten, der kleinen großen Konzerthallen Kölns – dem Bürgerhaus Stollwerck.

Im Vorfeld des Konzertes verlief alles sehr ruhig, also wenig Werbung in Funk und Print, Ausverkauf-Status erst ein paar Tage vor dem Konzert und eine wenig hochrangige Vorband. Um so überraschender dann das Bild, das sich einem gibt, wenn man noch hoch motiviert mit einem Getränk in der Hand im kleinen Café, das im Bürgerhaus Stollwerck integriert ist, sitzt und, dank der breiten Glasfront, freies Bild auf das wartende Publikum in der Eingangshalle hat. Sind hier irgendwo Schuhe im Sonderangebot? Werden vielleicht Johnny Depp Nacktposter gratis herausgegeben oder warum ist der Anteil der Zuschauer, die unter ihren Madsen-Shirts Brüste verstecken, so hoch? Natürlich lässt man diese anfänglichen Zweifel direkt fallen, schließlich ist die Musik wichtig, nicht das Publikum. Bitte einmal an diesem Satz festhalten, ihn noch einmal lesen und im Gedächtnis behalten. Ich werde gleich noch einmal darauf zurückkommen.

Überspringen wir also die Tatsache, dass man mit der Quersumme aller Chucks-Schuhpaare, ausgezahlt in Euro, das deutsche Schuldenloch ausfüllen könnte und kommen direkt zur „wenig hochrangigen Vorband“ Very. Eigentlich dürfte man dieser Band als investigativer Musikjournalist, aufgrund des Namens, keinen Respekt zollen. Da hat man sich schon im Vorfeld mehrere Stunden mit so mancher bekannten Suchmaschine herumgeschlagen, mit dem bescheidenen Ergebnis, dass eine Stuttgarter Agentur große Kunst mit einem nervigen Klingelton betrieben hat. Keine Fragen bitte! Bleibt also nichts anderes übrig als in den Topf des ersten Eindrucks zu greifen und die Musik, ohne vorherige Hörprobe, auf sich wirken lassen. Ein paar Songs geht es gut, doch dann verheddert sich die Band im Einheitsbrei obwohl Henry, der Sänger, ein respektables Gesangsvolumen besitzt. Macht aber nichts, schließlich sind wir, also der hier schreibende Protagonist und der dreckige Rest, hier um von einer anderen Band zu berichten.

„Pünktlich“, mit fünfzehn Minuten Verspätung, betreten Madsen die Bühne und was sich von diesem Moment an die nächsten neunzig Minuten abspielt, ist eine Situation, in der ich mich komplett neu finden muss. – Herr Hamann, auch Clickclickdecker genannt, hat einen Song geschrieben, der mich für die restlichen Absätze begleiten wird: „Wer erklärt mir wie das hier funktioniert.“ Kurz gesagt: „hier meine Rezension: Ich versteh jetzt gar nichts mehr!“ – Die Hitsingle „Immer mehr“ knallt in den Raum und nun wird klar, wieso man sich niemals zwischen eine Frau und ein Sonderangebot, das in diesem Fall Sänger Sebastian (siehe Bild) ist, stellen sollte. Hysterisches Gemenge in der Mitte, mit dem Drang zu Bühne, unterlegt mit einem Gesang von hunderten weiblichen Jugendlichen. In der gesamten Halle entsteht ein Geruchsgemisch aus Jungpunkpogo-Schweiß und Östrogenen, die ihren Höhepunkt in einem selbstgebastelten „Sebastian, heirate mich„-Schild finden.

Ich erinnere an meinen oben genannten Satz. Die Musik ist wichtig, nicht das Publikum. In diesem Fall leider nicht. Ich gebe gerne zu, dass ich Madsen wegen ihres ersten Albums in den Himmel hebe, weil es spitzenmäßig ist und ich eigentlich dachte, dass meine Euphorie für diese Songs jegliche Störung ausblenden lässt. Funktioniert leider nicht, obwohl die Setliste eigentlich keine Wünsche offen lassen dürfte. Ein guter Mix aus altem und neuem Material, das sich live sogar sehr viel besser anhört, als auf Platten. Leider kann ich nicht mitfeiern, wenn hinter mir zwei Mädchen darüber diskutieren, ob sie nicht noch weiter nach vorne drängen sollte, „weil man hier gar nicht von der Bühne gesehen werden kann„. Spätestens zu diesem Moment wird klar, dass Madsen zum Tokio Hotel der fertigpubertierten weiblichen Gymnasiumgeneration geworden sind. Einfach so, von jetzt auf gleich, ohne mich zu fragen.

„Wir könnten uns in fünf Jahren vorm Standesamt treffen und danach gucken wir immer zusammen „Verbotene Liebe, sagt Sebastian, nachdem er den Heiratsantrag entdeckt hat. Wenigstens nehmen sie ihr Lage mit viel schwarzem Humor hin, schließlich wollen sie auch nur Platten verkaufen. Ich nehme lieber meinen Hut, weine den alten Zeiten hinterher, wie man das eben mit steigendem Alter so tut und freue mich auf das gute alte Debütalbum der fünf Jungs aus dem Land der Castortransporte, das im CD-Regal steht und mir immer noch ein treuer Begleiter ist. Raus aus Köln, ab in die Gewohnheit mit einem dezenten Maß Weiblichkeit an meiner Seite. Die ideale Mischung.

Surfempfehlung: Madsen

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