Review: Lone Survivor (PC)

Zweidimensionaler Horror!

Es gibt nicht viele Reviews von Indie-Games bei RauteMusik, da wir einfach nicht die Kapazitäten haben, jede der zahlreichen Neuerscheinungen auf ihre Qualität hin abzuklopfen. „Lone Survivor“ ist jedoch eine Ausnahme – nicht nur in dieser Hinsicht. Lest nach, warum.

Eines vorweg: Hinter Superflat Games, dem Entwickler von „Lone Survivor“, verbirgt sich kein finanzstarkes Studio mit dutzenden Angestellten, sondern der Programmierer und Musiker Jasper Byrne. Er hat das Spiel im Alleingang fertiggestellt. Vier Jahre hat er in das Projekt investiert – und es hat sich gelohnt.

Allein, allein…

In der Haut des namenlosen „Lone Survivor“ muss der Spieler sein Überleben in einer Stadt sicherstellen, deren Bewohner durch eine mysteriöse Infektion mutiert sind. Sein größter Feind ist allerdings sein eigener Verstand, da er allmählich an den Rand des Wahnsinns gerät. Seine finale Motivation: Weitere Überlebende zu finden, um zumindest nicht alleine sterben zu müssen.

Ihr merkt bereits: „Lone Survivor“ hat einen morbiden, düsteren Unterton, der durch seinen Pixel-Look nicht verniedlicht, sondern eher verstärkt wird. Moment – Pixelgrafik? Keine coole 3D-Engine mit tollen Licht- und Physikeffekten à la „Amnesia: The Dark Descent“? Ganz genau: Bei „Lone Survivor“ handelt es sich um ein 2D-Spiel, das aus der Seitenansicht gespielt wird. Was mich alten Skeptiker am meisten überrascht hat: es funktioniert, und das ziemlich gut!

Lone Survivor
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Das Gameplay ist fast so retro, aber mindestens so zeitlos wie die 16-Bit-Optik: Bei „Lone Survivor“ es handelt sich um ein klassisches Action-Adventure, in dessen Verlauf viel mit Landkarten hantiert wird und etliche kleine, meist itemabhängige Puzzles auf ihre Lösung warten. Doch das ist längst nicht alles.

„Lone Survivor“ ist ein typischer Vertreter des Survival-Horror-Genres – Vorräte und Munition sind knapp, weshalb Kämpfe eher vermieden werden sollten. Dies ist ohne weiteres möglich, geht man geschickt genug vor. Monster können beispielsweise mit verdorbenem Fleisch abgelenkt werden. Habt ihr keines dabei, nutzt ihr die Schatten und versteckt euch in einer dunklen Ecke, während die Mutanten an euch vorbei schlurfen.

Lone Survivor
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Wie bereits erwähnt sind die blutrünstigen Stadtbewohner aber nicht euer größter Feind. Viel wichtiger ist, dass ihr euer körperliches und geistiges Wohlbefinden im Auge behaltet. Ihr müsst regelmäßig essen und schlafen, um fit und bei Sinnen zu bleiben. Vor allem Schlaf spielt beim Kampf um eure Psyche eine kritische Rolle: Ihr könnt im Spiel mehrere Sorten von Pillen konsumieren. Die einen machen euch benommen und sorgen für einen tiefen Schlaf, während dem ihr aber eine Albtraum-Sequenz überleben müsst, die anderen halten euch wach, was sich jedoch auf euren Geisteszustand auswirkt.

Grüße aus Silent Hill

Trefft ihr zwischendurch auf andere Überlebende, werdet ihr schnell merken, dass mit ihnen etwas nicht stimmt, da sie entweder den Ernst der Lage nicht zu erkennen scheinen oder sich andersartig seltsam verhalten. Dies ist nur eines der zahlreichen Elemente, die zeigen, wie sehr Jasper Byrne die „Silent Hill“-Serie mag. Er verehrt sie so sehr, dass er 2008 sogar ein 2D-Demake von „Silent Hill 2“ mit dem klingenden Titel „Soundless Mountain II“ als Freeware veröffentlicht hat. Und das ist gut so.

Lone Survivor
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Genau die Gemeinsamkeiten mit „Silent Hill“ machen „Lone Survivor“ zu einem außergewöhnlichen Indie-Game. Klingt komisch, ist aber so. Das Besondere an „Silent Hill“ waren Präsentation und Atmosphäre. Das Gefühl, einer Welt ausgeliefert zu sein, auf deren eigentümliche Regeln man nur reagieren, über die man aber keine Kontrolle ausüben kann, hat kaum ein anderes Horror-Franchise so gut umgesetzt. Es ist offensichtlich, dass Jasper Byrne verstanden hat, worauf es ankommt, und aus den wenigen Mitteln, die ihm zur Verfügung standen, das atmosphärische Maximum herausgeholt hat. Wer über die Pixelgrafik hinweg sieht und sich auf das Szenario konzentriert, wird vielleicht verstehen, was ich meine.

Wäre ich der Boss eines zahlungskräftigen Entwickler-Studios, würde ich Bryne eine fachgerechte 3D-Umsetzung seines Spiels anbieten. Verdammt, hätte ich bei Konami etwas zu sagen, würde ich ihn zum Produzenten des nächsten „Silent Hill“ machen! Denn auch, wenn mir „Silent Hill: Downpour“ so gut gefiel, dass ich es inzwischen viermal durchgespielt habe – „Lone Survivor“ fängt deutlich mehr vom Geist des klassischen „Silent Hill“ ein. Andererseits wäre „Lone Survivor“ in 3D nicht mehr das Spiel, über das ich hier schreibe. Wie ich letztes Jahr durch „GoldenEye 007“ gelernt habe, sollte man vorsichtig sein, was man sich wünscht.

Lone Survivor
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Einziges Manko für Gamer mit mangelnden Englisch-Kenntnissen: Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist „Lone Survivor“ nicht lokalisiert, also ausschließlich auf Englisch spielbar. Vielleicht folgt mit wachsender Popularität noch eine deutsche Übersetzung – wer weiß.

Fazit, Sebastian Meinke

„Lone Survivor“ ist ein absolutes Highlight und zählt zum Besten, was ich im Bereich Survival Horror je in die Finger bekam. Trotz (oder gerade wegen) seiner schlichten Retro-Grafik verfehlt es seine Wirkung nicht und vermittelt eine herrlich trostlose Atmosphäre, während der Spieler zwischen grausamer Realität und Überhand nehmendem Wahnsinn hin und her pendelt. Wer psychologischen Horror schätzt, sollte unbedingt mehr als einen Blick riskieren.

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