Review: I Am Alive (Xbox 360)

„Alive“? Wohl eher eine Totgeburt.

Am heutigen Mittwoch erscheint „I Am Alive“ nach dreijähriger Entwicklungszeit als Download auf Xbox Live Arcade. In unserem – ausnahmsweise zeitnahen – Review verraten wir euch, ob das Endzeit-Adventure von Ubisoft den stattlichen Preis von 1.200 Microsoft Points wert ist.

Die Rahmenhandlung von „I Am Alive“ ist schnell erzählt: Ihr begebt euch auf die Odyssee in eure Heimatstadt Haventon, nachdem die USA oder vielleicht der gesamte Planet von einer gewaltigen Naturkatastrophe heimgesucht wurde, um nach Spuren eurer Familie zu suchen. Was und wieso es passiert ist, erfahrt ihr im Zuge der hauchdünnen und sichtlich von prominenten Katastrophenfilmen inspirierten Handlung ebenso wenig, wie den Namen eures Helden.

Hoch hinaus

Was ihr hingegen wissen müsst: Das Landschaftsbild der einst pulsierenden Metropole wurde durch zahlreiche Erdbeben stark in Mitleidenschaft gezogen. Straßen und Häuser sind zerstört, was zahlreiche Gebiete unzugänglich macht. An der freien Fortbewegung werden Überlebende außerdem von einer dicken Staubwolke gehindert, die sich über die Stadt ausgebreitet hat und in der ihr binnen weniger Sekunden erstickt. Um zurück nach Hause zu kommen, müsst ihr also flexibel sein.

Ein zentrales Gameplay-Element von „I Am Alive“ ist das Klettern. Um durch die zerstörte Stadt zu gelangen, müsst ihr flink sein – und schnell: Klettern strengt euch nämlich an und verbracht Kraft, was ihr, in Form der Ausdauer-Leiste, stets im Hinterkopf behalten müsst. Auch andere Aktionen, wie Sprinten, Springen oder Kämpfen, kosten Ausdauer. Glücklicherweise hält eure postapokalyptische Umwelt Goodies wie Nahrung, Medizin oder Kamera-Batterien (= Extra-Leben) für euch bereit.

I Am Alive
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Bei euren Streifzügen durch Haventon begegnet ihr immer wieder weiteren Überlebenden, die euch um Hilfe bitten. Ihr müsst ihnen Items besorgen, die sie brauchen – im Tausch winkt ein weiteres Extra-Leben. Allerdings sind euch nicht alle Personen, die ihr trefft, freundlich gesonnen. Marodierende Banden machen die verfallenen Straßen unsicher und zwingen euch dazu, euer Leben mit Waffengewalt zu verteidigen. Andere Überlebende wollen einfach von euch in Ruhe gelassen werden und tun euch nichts, solange ihr sie nicht provoziert. Dass die niederträchtigsten Seiten der Menschheit, kaum geht die Welt unter, zum Vorschein kommen, trägt zur dichten und düsteren Endzeit-Atmosphäre bei, die „I Am Alive“ gekonnt vermittelt.

Harte Landung

Ja, „I Am Alive“ ist wirklich atmosphärisch – doch hier enden die Lobgesänge. So toll nämlich die Atmosphäre geworden ist, so furchtbar wurde das eigentliche Gameplay.

I Am Alive
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Erster Kritikpunkt: Auf jegliche Differenzierung beim Ausdauer-Konsum eurer Aktionen wurde verzichtet. Ihr kommt somit in die kuriose Situation, dass das Hochklettern einer gewöhnlichen Leiter den Protagonisten genauso auslaugt wie das Entlanghangeln an einem Balken im 20. Stockwerk eines Wolkenkratzers oder das Ringen mit einem kräftigen Gegner. Dieser Umstand ist aber halb so wild, da man jederzeit Nahrung zu sich nehmen kann, um Ausdauer zu regenerieren – auch in der Staubwolke. Inwieweit der Verzehr einer Dose eingelegter Früchte dem Erstickungstod vorbeugen kann, wissen wohl nur die Entwickler. Normalerweise würde mich ein solches Detail nicht stören, aber wenn „I Am Alive“ schon einen Tick realistischer als andere Action-Adventures sein möchte, hätte dieser Kurs auch konsequent verfolgt werden müssen.

Ein weiterer Beitrag zum allgemein hohen Frustfaktor ist das Checkpoint-System. Nicht genug, dass Checkpoints gefühlte Kilometer voneinander entfernt liegen, sie werden auch nicht gespeichert, wenn ihr das Spiel verlasst. „I Am Alive“ ist somit keine gute Wahl für den kleinen Spielehunger zwischendurch, da ein Level, je nach eurem Geschick, durchaus 30 bis 45 Minuten dauern kann und ihr, wenn ihr das Levelende nicht erreicht, später wieder von vorn anfangen müsst. Dasselbe Schicksal blüht euch, wenn ihr sterbt. Und ihr werdet sterben. Sehr oft.

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Konfrontationsscheu

Wenn ihr euch nicht in der Staubwolke verlauft oder beim Klettern den falschen Weg einschlagt und irgendwann abstürzt, sind es meist die Kämpfe mit anderen Überlebenden, die euch das Leben kosten. Das Kampfsystem ist nämlich derart unausgereift, dass man schreien möchte.

Zum einen könnt ihr mit eurer Pistole, für die ihr ohnehin kaum Munition findet, nicht frei zielen, sondern seid auf die „Gnade“ einer sehr rudimentären Auto-Aim-Funktion angewiesen. Dies ist vor allem deshalb ein extremer Fauxpas, weil der erste Schuss häufig eure einzige Chance ist, euch bewaffneter Widersacher zu entledigen. Gelingt es euch nicht, Feinde, die ebenfalls Schusswaffen tragen, mit dem ersten Treffer kampfunfähig zu machen, braucht ihr euch gar nicht länger abmühen – ihr werdet von ihnen gnadenlos zusammengeschossen.

Zum anderen ist es nicht möglich, mit der Machete mehrere Kontrahenten in Schach zu halten, da ihr sie in einen QTE-Zweikampf verwickeln müsst und mit eurer Klinge nicht frei durch die Gegend fuchteln könnt. Mit anderen Worten: Während ihr mit einem Gegner beschäftigt seid, kriegt ihr von allen anderen aufs Maul. Denn in „I Am Alive“ werdet ihr – natürlich – ausschließlich von Gruppen aus zwei bis sechs Unholden angegriffen. Zwar gibt es hier einen psychologischen „Kniff“ – erledigt man die harten Knochen zuerst, ergeben sich deren Mitstreiter – jedoch ist es relativ unbequem, die „Tough Guys“ ausfindig zu machen, während der bewaffnete Rest auf einen schießt.

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Auch technisch kann „I Am Alive“ nicht überzeugen. Grafisch wäre es mit einem kleinen Downgrade der zugegebenermaßen hübschen Lichteffekte sicher auch auf der Wii möglich gewesen: Niedrig aufgelöste Umgebungstexturen und Charaktermodelle wirken lieblos und die optische Depression wird durch einen omnipräsenten Graufilter noch verstärkt. Zusätzlich wurden Objekte in der Ferne mittels Unschärfe-Effekt geblurrt, was bei einem Spiel, das vom Klettern auf hohe Objekte lebt, das visuelle Todesurteil ist. Der Sound ist dagegen halbwegs okay, wenngleich die Panik-Melodie, die jedes Mal einsetzt, wenn der Ausdauer-Balken unter 50 Prozent fällt, sehr schnell nervt.

Fazit, Sebastian Meinke

Aus meiner Sicht ist „I Am Alive“ selbst eine Naturkatastrophe. Kein einziges Gameplay-Element wirkt zur Gänze ausgereift und man fragt sich während des Spielens wiederholt, wohin die drei Jahre Entwicklungszeit geflossen sind. Daran kann auch die gelungene und dichte Endzeit-Atmosphäre nichts ändern. Wer nicht masochistisch veranlagt ist, macht um diesen Download einen weiten Bogen.

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