Review: Saints Row: The Third (Xbox 360)

Saints Row The Third

GTA hat einen Clown gefrühstückt

Mit „Saints Row: The Third“ treten Volition und THQ nun endlich aus dem Schatten von Rockstars Genre-Giganten „GTA“ und bescheren euch einen so dermaßen abgedrehten Open-World-Gang-Krieg, dass die Grenze zum guten Geschmack ganz entspannt in die Bedeutungslosigkeit gesprengt wird. Hit it, Kanye!

I’m living in the 21st century doin‘ something mean to it

Nach zwei Abenteuern dominieren die 3rd Street Saints nicht nur das gemütliche Stillwater, sondern sind darüber hinaus zu Stars geworden; Banküberfälle sind reine Routine und mit eigenen Klamottenmarken und Energydrinks geht es direkt in Richtung ihres ersten Films. Dass sich die Gang dabei auch in der vage an New York City angelehnten Industriestadt Steelport breit gemacht hat, passt dem hier dominanten Syndicate aber absolut nicht.

Do it better than anybody you ever seen do it

Natürlich bricht ein Bandenkrieg aus, in dem es zuerst nur um die Kontrolle über Steelport, aber auch um Rache und schließlich das blanke Überleben geht, als sich die Regierung einmischt. Allem voran ist das eine klassische und spannende Gangsterstory, aber „Saints Row“ wäre nicht „Saints Row“, wenn es nicht das gewisse Etwas gäbe. Wie im großen Konkurrenten und Vorbild „GTA“ bewegt ihr euch durch eine offene Welt, erledigt Mission oder beschäftigt euch frei nach Laune. Der Unterschied ist hier allerdings der abgedrehte Humor, der entspannt bei überdrehten Waffen wie dem lilanen Knüppeldildo anfängt und in zahllosen derben Missionen und Sprüchen gipfelt. Wo sonst fahrt ihr Tiger spazieren, wo gewinnt ihr Wrestlingmatches mit Kettensägen und wo dürft ihr in einer absolut ethisch korrekten Reality-Show um euer Leben und ein paar Dollar kämpfen?

Screams from the haters got a nice ring to it

Dieser humorvolle Stil spiegelt sich auch in dem ansprechenden Mix aus Comic- und Real-Grafik. Wer gerade den frisch gebackenen „GTA V“-Trailer gesehen hat, mag etwas enttäuscht sein, aber was das Spiel sich an unnötigem Glanz spart, gewinnt es an Charakter: stimmig, überzogen und eben passend zu Charakteren, die brennend auf Quadbikes fahren oder nach einem Hackerduell im 8-Bit-Panzer durch die Straßen cruisen. Dass es außerdem keine glatt gebügelten Zwischensequenzen gibt, hat den Vorteil, dass ihr zu jeder Zeit euren selbsterstellten Charakter in den Videos sehen könnt. Ob der dann wie der Hulk groß, grün und splitternackt (wenn auch verpixelt) oder ein weiblicher Pumper-Pimp ist, überlässt der Charaktereditor euch. Zusammen mit den zahllosen Kostümen sind eurer Fantasie hier kaum Grenzen gesetzt.

I guess every superhero need his theme music

Von seinem eigentlichen Charme ganz abgesehen, punktet „Saints Row: The Third“ aber schon im Startbildschirm durch seine Musik. Dass Kanye Wests „Power“ der perfekte Song ist, steht außer Frage, aber wer feiert bitte nicht darauf ab, wenn Wagners „Ritt der Walküren“ erklingt, sobald ihr euren ersten Helikopter fliegt. Von solchen Perlen abgesehen ist jeder Song im Mix ein Treffer: Digitalism und Deftones, Mötley Crüe und Mozart, Amon Amarth und Ambush. Ergänzt wird das durch witzige Radiomoderatoren, eine tolle Sprachausgabe und ganz vorne dabei Jane Valderama, die Nachrichtenreporterin mit der endlosen Ausdauer, die jede eurer Schandtaten nach einer Mission witzig zusammenfasst.

No one man should have all that power

Das Flair von „Saints Row“ begeistert also definitiv – vorausgesetzt, ihr steht auf solch derben und teilweise auch platten Humor. Das tut nicht jeder und wenn ihr zu dieser Front gehört, bleibt es zwar ein gutes Spiel, setzt sich wohl eher negativ als positiv von der Konkurrenz ab. Seid ihr dagegen begeistert und für jeden Mist zu haben, dürft ihr in vier großen Arealen von Steelport um die Kontrolle kämpfen, indem ihr Gangoperationen findet und ausschaltet, Minispiele gewinnt oder auch einfach Gebäude kauft. All das erhöht euer Einkommen, mit dem ihr dann auf jeder von 50 Respektstufen Upgrades für euch, eure Waffen und eure Homies freischalten könnt. Auf diese Weise werdet ihr gegen Ende des Spiels nahezu unzerstörbar und könnt dann ganz entspannt all das erledigen, was vorher zu happig war – die besonders knackigen Survival-Missionen etwa. Schade ist dabei nur, dass ihr gekaufte Upgrades nicht wieder deaktivieren könnt. Sicher ist es toll, legale Unverwundbarkeits“cheats“ zu haben, aber wenn dadurch nichts mehr eine Herausforderung ist, steht der gemeine Jäger und Sammler vor einem unglücklichen Konflikt.

The clocks tickin‘, I just count the hours

Allerdings dauert es auch wirklich sehr, sehr viele Spielstunden, bis ihr die hohen Ränge erreicht. Wollt ihr vorher nur schnell durch die Hauptstory fetzen, entgeht euch gleich doppelt ein großer Teil von „Saints Row: The Third“. Die Welt hat mit ihren zahlreichen Missionen sehr viel und sehr Vielseitiges zu bieten und nur, wenn ihr euch die Zeit hierfür nehmt, summiert sich euer Respekt und euer Einkommen wirklich so stark, dass ihr dann auch die ganzen Spaßverbesserungen kaufen könnt. Da ihr zu diesem Zeitpunkt dann sicher über 25 Stunden im Spiel seid, ist es für manchen noch nicht einmal so tragisch, dass die letzten Missionen dann umso leichter von der Hand gehen. Irgendwann wollt ihr ja auch wissen, wie die Geschichte endet – und wie das genau passiert, entscheidet ihr an Kernmomenten sogar selbst.

Stop trippin‘, I’m tripping off the power

Das eigentliche Ende splittet sich nur in zwei (derb unterschiedliche) Versionen, von denen ihr coolerweise die zweite direkt im Anschluss an die erste spielen dürft. Aber auf dem Weg dahin werdet ihr auch immer wieder vor Entscheidungen gestellt, die euch unterschiedliche Boni bringen und die Umwelt leicht variieren lassen. Kein großes Feature, aber eine nette Option aus Ganganführersicht.

Till then fuck that, the world’s ours

Was gerade junge „GTA“-Fans vermissen werden, ist die Deckungsfunktion. Weil die fehlt, kann so manches Feuergefecht schnell mal unglücklich laufen und ungeübte 3rd-Person-Shooter-Spieler etwas frustrieren. Da die Steuerung aber an sich Headshot-freundlich und gut von der Hand geht und eure Lebensenergie sich in Feuerpausen recht schnell regeneriert, solltet ihr auch ohne diese Funktion zurecht kommen. Dass ihr dafür zu jeder Zeit einen Fallschirm dabei habt, mit dem ihr eure Penthäuser elegant verlassen könnt, und ihr dank des „Awesome-Buttons“ nicht nur agil Fahrzeuge stehlt, sondern auch elegant umhaut, was euch im Weg steht, gleicht fehlende Deckung ebenfalls actionreich aus.

21st century Schizoid Man

Absolut perfekt ist „Saints Row: The Third“ bei aller Begeisterung leider trotzdem nicht. Allerdings handelt es sich bei seinen Problemen vor allem um nervige Kleinigkeiten, die den Spielspaß nur für einen Moment beharken. Homies finden Autotüren nicht immer so schnell, wie ihr euch das wünschen werdet, kleine Objekte vor eurem Charakter mutieren zu unüberwindbaren Hürden und wann eine Autoexplosion tödlich ist, statt euch nur einen kleinen Kratzer zuzufügen, ist auch nicht immer nachvollziehbar. Davon abgesehen haben sich auch ein paar Bugs eingeschlichen, die vor allem dann nervig sind, wenn sie euren Radar betreffen und etwa Nebenmissionen nicht anzeigen oder andere Markierungen dauerhaft auf dem Bildschirm halten. Da hilft dann leider nur speichern, laden und hoffen. Immerhin ist solcher Ärger schnell vergessen, wenn ihr direkt den nächsten Gangkrieg anzettelt.

Fazit

Für Fans von offenen Welten und 3rd-Person-Action ist „Saints Row: The Third“ ganz klar ein Anwärter auf das Spiel des Jahres. Und auch im direkten Vergleich gewinnt Volition hier eindeutig gegen Rockstar, denn so gut (und alt) „GTA IV“ auch sein mag, wer auf überzogenen Humor steht, bekommt bei „Saints Row“ statt leichter Anspielungen direkt die volle Ladung. Spaß, Action und ein fetter Soundtrack sind hier in eine explosive Mischung gepresst worden, die thematisch eher nicht zum Fest der Liebe passt, aber trotzdem unter jeden Weihnachtsbaum gehört.

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