Game0ver 12/2011: Hilfe, mein Drache fliegt rückwärts!

Game0verIn unserer heutigen Games-Kolumne befasst sich Sebastian nicht nur mit den gravierenden Problemen der PS3-Version des Rollenspiel-Hits „The Elder Scrolls V: Skyrim“, sondern nimmt auch die gängige Patch-Politik samt ihren Verfehlungen und Vorurteilen genauer unter die Lupe.

„Rimlag“. Für viele PS3-Spieler, die sich Bethesdas neues Rollenspiel-Epos „The Elder Scrolls V: Skyrim“ zugelegt haben, ist dieser kryptische Name Programm. Alle, die bisher nichts davon gehört haben oder auf einer anderen Plattform zocken, möchte ich kurz erleuchten.

„The Elder Scrolls V: Skyrim“ ist ein sehr zeitintensives Spiel. Will man wenigstens einen Großteil des Spiels mit seinen verzweigten Nebenquests, Hunderten Locations und Massen an liebevoll umgesetzten Details sehen, muss man schon 80 bis 100 Stunden Zeitaufwand einplanen. Genau dieser Umstand wurde, in Kombination mit der Sammelwut vieler Gamer, der PS3-Version des Spiels zum Verhängnis.

Fauler Zauber? Nein, „Rimlag“!

Nach einigen Stunden in Himmelsrand beginnt die Performance auf der Sony-Konsole nämlich erheblich einzubrechen. Daumenkinoartige Spielszenen sind die Folge. Dass Immersion und Spielspaß dadurch massiv abnehmen und aufwendige Kämpfe durch Bildraten von teilweise unter zehn Frames pro Sekunde zur Qual werden, muss ich wohl nicht näher ausführen.

Doch was ist der Grund für dieses Problem? PS3-Besitzer und Redakteure zahlreicher Online-Magazine, die sich seit Wochen mit dem Thema beschäftigen, geben der enormen Datenmenge die Schuld, die das Spiel produziert. Denn je länger man in Himmelsrand unterwegs ist, je mehr Quests man erfüllt und je mehr Loot man sammelt – kurzum, je mehr man mit der Spielwelt interagiert – desto größer wird der gespeicherte Spielstand auf der Festplatte. Gemäß ihrer Theorie existiert in der Programmierung ein Memory Leak, das den ohnehin stark begrenzten RAM der PS3 mit „Müll“ füllt, statt ihn in regelmäßigen Abständen, z.B. beim Verlassen eines Gebietes, von allen für die aktuelle Situation unnötigen Daten (wie der Position von kilometerweit entfernten Gegenständen, Texturen, lebenden und toten NPCs, …) zu reinigen. Irgendwann kann die PS3 immer weniger Daten in den RAM aufnehmen und greift stattdessen auf die Festplatte zurück, die aber deutlich längere Zugriffszeiten hat, was wiederum die Hänger im oben gezeigten Video verursacht.

Bethesda hat sich dazu zwar nicht geäußert, aber vor ein paar Tagen immerhin einen Patch veröffentlicht, der dieses Problem adressieren soll. Seine Veröffentlichung trieb Fans jedoch erst recht auf die Barrikaden: Nicht genug, dass plötzlich Resistenzen (wie Schutz vor Kälte, Feuer oder Krankheiten) nicht mehr funktionieren (was aber ein allgemeines Problem ist, das auf allen Plattformen hineingepatcht wurde) und Drachen rückwärts fliegen, auch sein Einfluss auf die Performance ist nur bedingt positiv. Zwar wurde die Framerate tatsächlich besser, wie Eurogamer herausgefunden hat, allerdings crasht das Spiel nun gelegentlich ohne Fehlermeldung und schickt den verdutzten Spieler zurück aufs XMB, was vorher niemals passiert ist.

Ich Opfer!

Ich bin ein Opfer. Das meine ich nicht beleidigend. Ich habe mir kurz nach der Veröffentlichung von „Skyrim“ die PS3-Version gekauft, obwohl ich auch über eine Xbox 360 und einen potenten PC verfüge. Meine Beweggründe waren simpel: PC-Versionen von Bethesda sind in der Regel noch unspielbarer als ihr Konsolen-Pendant (quod erat demonstrandum) und die Xbox 360-Version hatte einen Texture-Streaming-Bug, der eine Installation auf die Festplatte zur Reduzierung des extremen Lüfterlärms des Microsoft-Systems ausschloss. Die PS3-Versionen war daher für mich nicht nur aus technischer Sicht die logischste Wahl, sie war zufälligerweise auch billiger als die Xbox 360-Version. Sehr gut!

Ironischerweise kamen genau einen Tag, nachdem ich „Skyrim“ gekauft hatte, erste Meldungen über „Rimlag“ auf. Perfekt. Wenig später verkaufte ich die PS3-Version und besorgte mir – Lautstärke des Laufwerks hin oder her – die Xbox 360-Version. Stunden und Stunden meiner Freizeit in ein Spiel zu stecken, das am Ende nicht einmal funktioniert, war mir eindeutig zu dumm.

Ich frage mich: Wie kann ein derartiger Game-Breaker wie „Rimlag“ übersehen werden? Waren Bethesdas interne Tester lauter Speedrunner? Gab es überhaupt eine Qualitätssicherung? Bethesda versuchte schon vor Release, die Fans zu beschwichtigen, und meinte, „Skyrim“ sei ein sehr großes Spiel, weshalb mit Bugs gerechnet werden müsse – könnte man gelten lassen, würden nicht wesentlich kleinere und linearere Spiele oftmals auch unter einer Käferplage leiden.

Diese Woche habe ich „Call of Juarez: The Cartel“ durchgespielt. Obwohl es von etlichen Kollegen in Reviews zerrissen wurde und sich Techland aufgrund der stereotypen Darstellung bestimmter Ethnien auch Vorwürfen von Rassismus ausgesetzt sah, hatte ich meinen Spaß damit und würde es auch weiterempfehlen, hätte es nicht mehr Bugs als ein Straßenköter. Der Höhepunkt: Unverwundbarkeit gegen (fast) alles.

Das Argument des Spielumfangs kann für Entwickler also keine Absolution sein – schließlich zahlt der Konsument eine erhebliche Summe für ihr Produkt. Der jüngste Patch ist übrigens nicht einmal der erste für „Skyrim“, denn Bethesda veröffentlichte rechtzeitig am 11. November einen umfangreichen Day-1-Patch. Wer weiß, wie das Spiel in seinem Ursprungszustand wohl ausgesehen hat?

Patcht du noch oder spielst du schon?

Für alle, die mit dem Fachjargon nicht vertraut sind: Ein Day-1-Patch erscheint entweder vor oder direkt am Veröffentlichungstag des Spiels, für das er bestimmt ist, und ermöglicht Entwicklern, Release-Termine einzuhalten, aber trotzdem bereits an bekannten Problemen ihres Produktes zu arbeiten. Wer meint, die Qualitätssicherung sollte eigentlich im Zuge der Entwicklung, also vor Veröffentlichung geschehen, der irrt – Day-1-Patches, ursprünglich als Ausnahme bezeichnet, sind heute alltägliche Praxis. Die AAA-Titel, die heute ohne Day-1-Patch auskommen, sind – ob auf PC oder Konsole – längst zur Minderheit geworden.

Wer heutzutage seine Konsole oder seinen Gamer-PC nicht am Internet hängen hat, ist praktisch aufgeschmissen. Ohne Patches geht in der interaktiven Unterhaltung gar nichts mehr. Sehr oft schon habe ich das Argument gehört, dass die Patch-Flut erst mit der großflächigen Verfügbarkeit von Breitband-Internet losgebrochen ist. Hersteller würden sich auf diese Möglichkeit der Nachbesserung mittlerweile zu sehr verlassen, weshalb die Einhaltung von Release-Terminen höhere Priorität hätte als durchgängige Qualitätssicherung. Immer wieder heißt es, dass sich Entwickler und Publisher derartige Fauxpas „früher“ niemals hätten erlauben können, da sie von der Gaming-Community bei lebendigem Leib gevierteilt worden wären. Richtig?

Falsch. Wie so oft spielt auch bei diesem Thema die romantische Verklärung der Vergangenheit eine tragende Rolle. Denn Spiele, die bis zum Anschlag verbuggt waren, gab es auch in der „guten, alten Zeit“ in Hülle und Fülle.

Früher war gar nichts besser

Als Musterbeispiel möchte ich einen Titel herausgreifen, der noch aktuell genug ist, dass ihn selbst jüngere Leser noch kennen könnten: „True Crime: New York City“ (2005), ein Sandbox-Spiel, das sich vor allem durch seine zahlreichen Bugs und Glitches von der Masse der „GTA“-Klone abhob. Ihr seid gerade in einer Mission und auf der Flucht vor der Polizei, plötzlich fängt euer Wagen grundlos Feuer und explodiert – in „True Crime: New York City“ keine Seltenheit. Dagegen sind omnipräsente Clipping-Fehler, wie sie im folgenden Video zu sehen sind, geradezu harmlos.

Hier begann nun die Problemspirale. Auf den „alten“ Konsolen war die Bereitstellung eines Patches für die Masse an Problemen nicht möglich, weshalb Publisher Activision nur zwei Möglichkeiten hatte: Entweder, man initiiert eine großflächige Rückrufaktion, die schlechte PR bringt und Millionen Dollar kostet, oder man ignoriert das Problem und sitzt den Ansturm der wütenden Kundschaft aus. Ratet mal, wozu sich Bobby Kotick und Co. entschlossen haben. Die PC-Version, die immerhin hätte gepatcht werden können, erhielt bei dieser Gelegenheit auch keinen weiteren Support mehr – geteiltes Leid ist schließlich halbes Leid, und Konsoleros sollen sich schließlich nicht benachteiligt vorkommen.

Und die Moral von der Geschicht?

Ich könnte nun noch viele andere „Klassiker“ aufzählen, die auch vor zehn Jahren schon ihr Studio nicht ohne großen Patch-Bedarf verlassen haben – darunter auch Titel wie „Shenmue“ (1999), wo das Geld für eine durchgängige Qualitätssicherung definitiv vorhanden war. Patches waren „damals“ nicht deshalb seltener, weil Spiele „perfekter“, sondern, weil sie technisch wesentlich simpler aufgebaut waren. Wieder einmal zeigt sich: Nostalgie ist ein schleichendes Gift.

Sind Patches also böse und ein Zeichen von Nachlässigkeit? Sicher nicht – jedenfalls lässt sich das pauschal nicht festmachen. Was von vielen vergessen wird: Patches sind nicht Ursache, sondern Konsequenz eines viel größeren Problems: der einschneidenden Wirkung von Release-Dates.

Videospiele sind inzwischen mehrere Millionen Dollar schwer – Geld, das sie durch Millionenabsätze auch wieder generieren. Die Ankündigung des Sequels einer bekannten Spielereihe ist daher immer ein Drahtseilakt. Fährt der Entwickler das Spiel gegen die Wand, ist er zumindest finanziell schwer angeschlagen, in manchen Fällen gleich ganz erledigt. Release-Termine können ein Studio zwar nicht in dieser Form vernichten, aber stark zu dessen Aufstieg oder Fall beitragen.

Als Take 2 „Grand Theft Auto IV“ angekündigt hat, stieg ihr Aktienkurs schlagartig. Als das Spiel termingerecht veröffentlicht und erwartungsgemäß ein Megaseller wurde, stieg er noch deutlich weiter. Man stelle sich vor, was geschehen wäre, hätte Take 2 das Spiel in letzter Minute verschoben: Ihr Kurs wäre zweifellos gefallen, ihre Vertriebspartner und ihre Gläubiger wären nervös geworden – und wie die aktuelle Finanzkrise zeigt, sind nervöse Gläubiger nie etwas Gutes. Im Wiederholungsfall hätte Take 2 das Schicksal von 3D Realms oder JoWooD teilen können – und all das (nicht nur, aber teilweise) wegen der Verschiebung eines Release-Termins.

Ich sage nicht, dass die „When It’s Done“-Haltung die ultima ratio ist (siehe „Duke Nukem Forever“), aber zu strikte Deadlines schaden Gamern und Entwicklern – jedenfalls, wenn sie nicht eingehalten werden – gleichermaßen. Von daher ist mir eine zweijährige Verschiebung, wie es Rockstar bei „Max Payne 3“ gemacht hat, lieber als ein technisch instabiles „Skyrim“, das unbedingt am „magischen“ Datum 11.11.2011 aus dem Haus gescheucht werden musste – egal, in welchem Zustand.

Was lernen wir daraus? Patches, so lästig sie auch sein mögen, sind nicht die Geißel der Menschheit – vielmehr ist es häufig Druck von außen, der Entwickler dazu zwingt, unfertige Spiele auf die Welt loszulassen, die ohne allfällige Patches noch schlimmer wären. Denkt nächstes Mal daran, wenn ihr in Internet-Foren herumflennt, weil der Release eures aktuellen „Most Wanted“-Spiels nach hinten verschoben wurde – genau diese gewonnene Zeit ist es nämlich, die den Unterschied zwischen unbeschwertem Spiele-Genuß und einem „Rimlag“-Desaster ausmachen kann.

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