Game0ver 10/2011: Das Feindbild „Kunde“

Game0ver

Wie Steam, Origin und Co. unser Hobby ruinieren

„Half-Life 2“ hat es 2004 salonfähig gemacht: Die Bindung eines Spiels an den Käufer durch die zwingende Registrierung des Key-Code bei Valves hauseigenem Onlinedienst Steam. Seitdem haben viele andere Firmen, darunter Microsoft und jüngst Electronic Arts, nachgezogen und verstärken zunehmend Entrechtung und Bevormundung ihrer eigenen Kundschaft durch DRM – auf PC und Konsole.

Unding #1: Die Aktivierung

Erinnert ihr euch noch, wie es früher einmal war? Man legte ein Spiel ins Laufwerk, installierte es gegebenenfalls und konnte, sofern keine wichtigen Patches anstanden, gleich spielen? Dieses minimalistisch-einfache Konzept wurde längst durch das „GTA IV“-Modell ersetzt.

Man installiert nicht nur ewig an diesem Spiel (das auf zwei Double-Layer-DVDs gepresst wurde), sondern darf sich anschließend auch noch bei Games for Windows Live und dem Rockstar Social Club anmelden sowie die Software via SecuROM beim Hersteller authentifizieren. Ich habe PC-Spieler erlebt, die über zwei Stunden brauchten, bis sie „GTA IV“ endlich spielen konnten. Liebe Publisher, das kann eindeutig nicht die Ultima Ratio sein! Das alte Sprichwort „Zeit ist Geld“ ist heutzutage wahrer denn je. Denkt ihr wirklich, dass es sich ein passionierter Gamer mit Vollzeit-Job und Familie leisten kann, sich in euren Registrierungs-, Aktivierungs- und Authentifizierungsdschungel einzulesen, wenn er nach Feierabend nur eine Stunde sein Vergnügen haben möchte? Ich bezweifle es. Ich selbst spiele nicht oft auf dem PC, besitze aber trotzdem Konten bei Steam, Games for Windows Live, EA, Relic und Kalypso – bereits das finde ich bedenklich.

Wesentlich bedenklicher ist aber, dass dieses System nun langsam auch auf Konsolen übergreift. Noch hat es jedoch mit gewissen „Logiklücken“ zu kämpfen. Ursprünglich war das Prinzip der Online-Aktivierung, respektive der Accountbindung als Maßnahme gegen Software-Piraterie (und gegen den Gebrauchtmarkt) gedacht. Umso paradoxer erscheint es mir, dass auf den geschlossenen Systemen, die Konsolen nun einmal sind, eine solche Sicherheitsmaßnahme von Nöten ist, da es hier bei weitem nicht so einfach ist wie auf dem PC, Backups zum Laufen zu kriegen. Das Zeitalter der Mod-Chips ist vorbei, ohne einen ziemlich invasiven Firmware-Flash geht nichts mehr. Dieser bewirkt aber zugleich, dass man mit der modifizierten Konsole nach aktuellem Stand nicht online gehen kann, was das Prinzip einer Steamworks-Aktivierung, die auf der PlayStation 3 mit „Portal 2“ (vorerst freiwillig) eingeführt wurde, ad absurdum führt.

Natürlich haben die Hintergründe weder etwas mit Anti-Piraterie, noch mit einem „besseren Service“ für die Spieler zu tun, wie es Valve und Electronic Arts in Interviews gebetsmühlenartig wiederholt haben. Sicher, nun können PC- und PS3-Spieler zusammen zocken, aber, sei’n wir ehrlich, wer möchte als Konsolero schon mit einem PC-Anhänger auf dem gleichen Server sein – gerade bei Genres wie Beat’em Up oder Ego-Shooter? Valve möchte seine Marktmacht ausweiten, das steht fest. Sie könnten über Steam, vorbei an Sony und Microsoft, eigene Gewinne machen (abzüglich eines kleinen „Tributs“) und Publishern Steamworks als Waffe gegen Gebrauchtkäufe anbieten – schließlich ist das große Geld längst nicht mehr auf dem PC zu holen. Der einzige Grund, weshalb sich Microsoft geweigert hat, bei der Geschichte mitzuziehen, ist nicht, weil ihnen die Rechte ihrer Kunden am Herzen liegen, sondern, weil sie den Erlös aus etwaigen DLC- und Games-on-Demand-Verkäufen mit Valve teilen müssten, würden sie Steam auf der Xbox 360 erlauben.

Aber genug von der Aktivierungsfrage, kommen wir zu einem viel wichtigeren Thema.

Unding #2: Ausschaltung des Gebrauchtmarkts

Ich bin weit davon entfernt, ein Sozialist zu sein, aber möchte trotzdem hinterfragen, wieso es im Kapitalismus eigentlich die Regel zu sein scheint, dass große Unternehmen immer alle vernichten wollen, die ihnen auch nur ein kleines Stückchen theoretischen Profit wegnehmen könnten, obwohl sie sich dadurch langfristig unter Umständen selbst schaden. Ich beziehe mich natürlich auf die Attacken großer Publisher und Entwickler auf gebrauchte Spiele. Laut Mike West von den Lionhead Studios („Fable“) ist der Gebrauchtmarkt schädlicher für die Industrie als Software-Piraterie. Bin ich der Einzige, der diese Aussage bar jeglicher Realität findet?

Augenscheinlich ja, denn ich bekam im Zuge von Diskussionen in großen Internet-Foren rund um Themen wie Online-Pässe häufig Kommentare zu Gesicht wie: „Klar tun Gebrauchtkäufer das Gleiche wie Raubkopierer: Der Hersteller sieht für Spiele, die gebraucht gekauft werden, keinen Cent!“ Bereits das ist von Grund auf falsch. Jedes gebrauchte Spiel war irgendwann einmal neu. Demnach muss es einen Erstkäufer gegeben haben, der den vollen Preis dafür hingelegt hat – Publisher und Entwickler bekamen also den ihnen zustehenden Anteil. Von diesem Punkt an haben sie weder rechtlichen, noch moralischen Anspruch darauf, weiteren Profit aus eben diesem Exemplar ihres Spiels zu schlagen – sie wurden bezahlt, das Geschäft ist beendet.

Um, obwohl ihnen juristisch die Hände gebunden sind, gegen den „großen Schaden“ durch Gebrauchtkäufe anzukämpfen, verlassen sich gerade auf dem PC mehr und mehr Publisher auf die Bindung ihrer Produkte an eine Person – den Erstkäufer. Natürlich darf dieser sein Spiel weiterhin verkaufen, doch was bringt das, wenn der Gebrauchtkäufer sie nicht zocken können wird, weil die entsprechenden Key-Codes bereits an ein Online-Konto gebunden wurden? Wird der gesamte Account, an welchen der Key gebunden ist, weiterverkauft, ist das – sollte der Service-Anbieter dahinter kommen – bei vielen Plattformen ein sofortiger Sperrgrund. Der Gebrauchtmarkt wurde also effektiv ausgehebelt.

Was die Publisher aber zu vergessen scheinen: Computer- und Videospiele sind ein Luxusgut, denn es ist Luxus, zwischen 50 und 70 Euro für ein Unterhaltungsprodukt zu zahlen, meist sogar mehrmals im Monat! Welcher Schüler bekommt genug Taschengeld für solch ein Unterfangen? Welcher Student verdient genug? Und ist bei denjenigen, die das Geld haben – Menschen um die 30, die „mitten im Leben“ stehen und inzwischen einen beachtlichen Teil der Spielerschaft ausmachen -, wirklich genug Umsatz zu holen, wenn im Zeitraum Oktober bis Dezember 2011 beispielsweise so viele potenzielle Kracher erscheinen, dass alleine der Online-Modus von „Battlefield 3“ oder die Kampagne von „The Elder Scrolls V: Skyrim“ schon ausreicht, um die knappe Freizeit dieser Leute zu füllen?

Wer, unter diesen Gruppen, hätte die Möglichkeit, bis Jahresende die meisten Spiele kaufen? Im Fall einer gänzlichen Ausschaltung des Gebrauchtmarktes wohl niemand. Denn denen, die Zeit haben, fehlt das Geld, während all jene, die das Geld haben, meist zeitlich sehr eingespannt sind. Dies ist freilich eine Milchmädchenrechnung, allerdings macht es sich die Industrie mit ihrer „Argumentation“ auch nicht schwerer. „Es wurden X Spiele gebraucht gekauft, das ergibt einen möglichen Verlust von Y. Hätten wir aus Y nur Z Prozent Umsatz lukriert, wären wir um XYZ Millionen reicher!“ – ich verweise an dieser Stelle auf Gamestop.

Ich gehöre mit Sicherheit zu den schärfsten Kritikern von Gamestop, aber wie Jim Sterling von Destructoid in einer seiner „Jimquisition“-Episoden richtig bemerkte, sind viele und vor allem junge Menschen auf deren Credit-System angewiesen. Ich war niemals Gamestop-Kunde, sondern besorge mir meine Spiele seit Jahren als (billige) Importversionen, allerdings kenne ich genug Menschen ohne Kreditkarte, die tatsächlich den von Jim beschriebenen Kreislauf leben: Sie besorgen sich einen Titel, spielen ihn durch und tauschen ihn sofort gegen Punkte auf ihrem Gamestop-Konto ein, damit sie bis zum Release ihres nächsten „Must-Have“-Titels genug haben, um diesen für zehn statt für 70 Euro zu kriegen. Wir sprechen hier, wohl gemerkt, von einem nagelneuen Spiel, an dem Publisher und Entwickler wieder verdienen.

Die Spiele-Wirtschaft schießt sich aus meiner Sicht daher selbst ins Knie, wenn sie aufgrund von Milchmädchenrechnungen ihren eigenen Markt nachhaltig schädigt, indem sie Gebrauchtkäufe zu unterbinden versucht. Die Frage ist nur, wann sie das auch kapiert.

Unding #3: Entrechtung der Kunden

Ich hätte in dieser Kolumne ein Manifest darüber schreiben können, dass Steam seine Kunden faktisch enteignet, da der Zugang zu den aktivierten Spielen jederzeit gesperrt oder entzogen werden kann, allerdings möchte ich mich nicht auf die Lizenzdebatte einlassen, die daraus zwangsläufig resultiert. Publisher verkaufen schließlich keine Software, sondern Nutzungslizenzen, die auch bei einem physischen Medium jederzeit entzogen werden können. Zwar wird keine Polizeitruppe bei euch aufmarschieren, um die Software, deren Nutzungsrecht ihr – aus welchen Gründen auch immer – verloren habt, einzukassieren, aber prinzipiell gehört euch keines eurer Spiele. Kein einziges.

Was der Unterschied zu Spielen ist, die an einen Account gebunden werden? Wenn ihr diese Frage zum jetzigen Zeitpunkt immer noch stellen müsst, habt ihr die Kolumne nicht gelesen. Software ohne Accountbindung könnt ihr immer noch verkaufen, indem ihr euer Nutzungsrecht quasi auf eine andere Person übertragt. Der Publisher kann dies zwar in seiner EULA untersagen, doch bleiben wir realistich: Was will er dagegen tun? Was kann er dagegen tun? Gar nichts, weil er nicht weiß, wer gerade vor seinem Produkt sitzt. Außer er sorgt dafür, dass dieses an den Käufer gebunden wird. Damit wären wir beim Status Quo.

Nicht zuletzt sollten vor allem deutsche Gamer sehr vorsichtig sein, wenn sie sich auf Spiele mit Online-Aktivierung einlassen. Vor allem bei Steam trat in den vergangenen Jahren das Problem von regionalen Sperren beziehungsweise Content-Regulierung immer mehr in den Vordergrund.

Vielleicht erinnert sich noch jemand, wie Valve 2005 „über Nacht“ sämtliche Versionen von „Half-Life 2“ und „Counter-Strike: Source“ in Deutschland via Update in den „Low Violence“-Modus versetzt, also nachträglich zensiert hat. Es handelte sich dabei angeblich um einen „Unfall“ – wie diese Erklärung damit zusammenpasst, dass sogar in den FAQs auf der Steam-Website die Zensur mit der Begründung, Beschlüsse der deutschen Bundesregierung hätten diesen Schritt erfordert, geführt wurde, ist mir ein Rätsel. Es hat jedenfalls gezeigt, was über Steam möglich ist – es ist einmal passiert, es könnte wieder passieren. Wie sich Electronic Arts‘ neuer „Origin“-Client in dieser Frage verhält, bleibt abzuwarten.

Viel schlimmer für den Konsumenten ist es aber, wenn man gar nicht zum Spielen kommt, weil das zugehörige DRM die Aktivierung verweigert. Die unzensierten Originalversionen von Titeln wie „Saints Row 2“, „Call of Duty: Modern Warfare 2“ oder „Call of Duty: Black Ops“ können mit einer deutschen IP-Adresse nicht aktiviert werden. Das heißt, ihr könnt die Software, die ihr bezahlt habt, im Endeffekt nicht oder nur mit Methoden, die gegen die AGB von Steam verstoßen, nutzen. Dies geschah, laut den verantwortlichen Publishern, aus Jugendschutzgründen – obwohl kein Paragraph im deutschen Jugendschutzgesetz solche Maßnahmen vorsieht.

Aus meiner Sicht geht zumindest Valve selbst ehrlicher mit dem Thema um. Die meisten asiatischen oder russischen Versionen von Valve-Titeln können in der westlichen Welt beispielsweise nicht aktiviert werden. Dies ist dem Umstand geschuldet, dass Computer- und Videospiele in Russland oder zahlreichen asiatischen Ländern um ein Vielfaches billiger verkauft werden – vor allem, wenn man die Preise auch noch in Euro umrechnet. Es geht also nicht um Jugendschutz, sondern um Profit. Darüber sollte niemand schockiert sein.

Ebenfalls wenig schockierend ist die Tatsache, dass die Eurozone wieder einmal als globale Melkkuh herhalten darf, seit Steam vor drei oder vier Jahre die Währungszonen fixiert hat. Konnte man vorher noch global zu Dollar-Preisen einkaufen, musste man nun, wie man es aus dem Retail-Geschäft gewohnt ist, statt 49,99 Dollar das gleiche in Euro hinlegen. Seither können sich Publisher bei jeder Download-Lizenz, die in Europa zum für PC-Spiele üblichen Preis verkauft wird, über einen Reingewinn von rund 14 Euro freuen. Da keine Kosten für Verpackung oder Logistik anfallen, dürfte der Ertrag allerdings noch deutlich höher sein. Mir ist im Übrigen unklar, wie jemand einen Titel bei Steam, Impulse oder Games for Windows Live kaufen kann, wenn er ihm zum selben Preis (oder gar günstiger) im Laden um die Ecke finden kann – aber das ist eine andere Geschichte.

Fazit?

Heute ist DRM und die schrittweise Abgabe von Rechten, die man als Konsument eigentlich genießt, gerade für PC-Spieler kein Novum mehr, sondern ein simpler Bestandteil ihres Gaming-Alltags. Die Worte „Protest“ und „Boykott“ fallen zwar hier und da immer noch, haben allerdings jegliche Bedeutung verloren, da sie von kaum jemandem wirklich konsequent gelebt werden. Auch die Konsolen konnten nicht ewig verschont bleiben, was die Mehrheit der Gamer aber ebenso wenig zu stören scheint. DRM ist in unserer Gesellschaft angekommen.

Zum Abschluss möchte ich noch etwas Wichtiges anmerken: Mir ist klar, dass Steam und Co. auch als Katalysator für sehr positive Entwicklungen fungiert haben, und durch meine Kritik möchte ich diese Verdiente nicht klein reden. Was wäre die Independent-Szene ohne Steam? Kaum einer würde Titel wie „Zeno Clash“ oder „Amnesia: The Dark Descent“ kennen, wäre sie durch Steam nicht einer Basis von 35 Millionen Menschen verfügbar gemacht worden. Kleine Entwickler, die niemals einen Publishing-Vertrag bekämen, können über Steam etwas Geld verdienen und werden – so geschehen bei „Amnesia: The Dark Descent“ – vielleicht von einem großen Publisher (in diesem Fall THQ) entdeckt. Der Steam-Client an sich ist auch kein „Werk des Teufels“. Was die wenigsten wissen: Ursprünglich begann Steam als System für automatische Updates, damit die Nutzer von Multiplayer-Spielen wie „Counter-Strike“ nicht nach jedem einzelnen Patch in eine Gruppe gespalten wurde, die „up-to-date“ ist und eine andere, die es eben nicht ist. Viele der heutigen DRM-Monster und Gebrauchtmarkt-Vernichter hatten ursprünglich nützliche Ansätze, haben sich durch die Gier einiger weniger aber in ein Geschwür verwandelt hat, dessen Auswüchse von einer kritisch denkenden Vereinigung von Spielern, von Konsumenten, kontrolliert werden müssen. Ansonsten werden unsere Games spätestens dann zu einer reinen Mietware, wenn sich OnLive am Markt durchsetzen sollte.

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