Essay: Der RTL-Beitrag zur Gamescom

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Eine ganze Jugend im Fadenkreuz

Die gamescom 2011 ist nun seit einigen Tagen zu Ende. Spiele wie Battlefield 3, der Genre-Konkurrent Call of Duty: Modern Warfare 3 oder auch Diablo 3 zauberten dieses Jahr strahlende Gesichter in die Zockergemeinde. Doch Abseits der Messe sorgte ein Fernsehbeitrag für Empörung. Eine Chronologie der Ereignisse.

Wie alles begann

Mit dieser Reaktion haben die verantwortlichen Redakteure und Chefredakteure vermutlich nicht gerechnet: Eine ganze Generation, fast eine ganze Bewegung entlädt auf einen Schlag ihren gesamten Hass gegen den deutschen Fernsehsender RTL und das Vorabend-Magazin „explosiv“. Unzählige Kommentare, tausende Twitter-, Foren- und Facebookeinträge, sowie mehr als 8.000 offiziell eingegangene Beschwerden bei der Niedersächsischen Landesmedienanstalt (NLM) dokumentieren das Ausmaß der Entrüstung.

Was den Stein ins Rollen brachte, war ein etwa fünfeinhalb Minuten langer Beitrag zur gamescom im bereits erwähnten Format „explosiv“. In diesen fünfeinhalb Minuten nimmt ein Reporterteam die vermeindlich durchschnittlichen Besucher einer Spielemesse einmal genauer unter die Lupe. Mit wenig sachlichen Kommentaren und verzerrten Sichtweisen gelangt man dort zu dem Ergebnis, dass der gewöhnliche männliche gamescom-Besucher weder von Sozialisation mit dem anderen Geschlecht besonders viel versteht, noch es mit der Körperhygiene all zu eng sieht.

Angriff auf die RTL-Website

Die Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten und breiteten sich wie ein Lauffeuer über die sozialen Netzwerke aus. Auf der Videoplattform YouTube luden hunderte Benutzer Antwortvideos hoch und riefen zur Beschwerde bei den Landesmedienanstalten auf. Der ehemalige Jugendsender und die heutige Onlineplattform „GiGa“ antwortete auf den RTL-Beitrag mit einer eigenen Satire, die ihrerseits den Fernsehsender durch den Kakao zog.

Neben den vielen verbalen Protesten blieb auch ein Hacker-Angriff auf die Internetpräsenz von RTL nicht aus. Der Community-Bereich wurde kurzer Hand lahm gelegt, sodass für wenige Minuten nur noch die Nachricht „Gamez“ lesbar war. Der Sender konnte diesen Zwischenfall jedoch nach eigenen Angaben innerhalb von zehn Minuten beheben.

Die Internetaktivisten-Gruppe „Anonymous“, welche in letzter Zeit vermehrt Attacken ähnlicher Art verübt, meldete sich inzwischen zu Wort und stritt eine Verwicklung in diese Tat ab – sie sei mit der Ideologie der Organisation nicht verreinbar. Viel mehr rief Anonymous offen dazu auf, Angriffe auf die Medien sogar zu unterlassen und an Stelle dessen den Leuten lieber durch Aufklärung die Augen zu öffnen.

Landesmedienanstalt erklärt Beitrag für rechtens

Nachdem bei der Niedersächsische Landesmedien mehr als 8.000 offizielle Beschwerden eingingen, prüfte sie den betreffenen Film auf Sittenwidrigkeit und ließ am 26. August in einer Pressemitteilung verlauten, dass es keine Beanstandungen gäbe und der Beitrag zumindest aus juristischer Sicht nicht anfechtbar sei.

Gleich wohl räumte die NLM ein, dass die Empörung über den Beitrag verständlich sei und zudem die „unverblümte Tendenz ärgerlich“, allerdings müsse man in einer freiheitlichen Medienordnung auch solche Meinungen letzten Endes tolerieren und man hoffe, dass die Gamer-Szene dies akzeptiere.

Die Sicht der Betroffenen

Für einen jeden Gamer ist es ein Ärgernis, mit welchem Image die Szene seit jeher kämpfen muss. Spielen sei von vornherein eine Männersache und in erster Linie Zeitvertreib von Computerfreaks und sozial Ausgeschlossenen. Wer es noch nicht ist, der werde über kurz oder lang süchtig, dick und dumm.

Vom Aggressionspotential haben wir noch gar nicht gesprochen. Schließlich fördernten Ego-Shooter und andere Gewaltspieler den „Killer-Faktor“ in jedem Spieler und seien deshalb verantwortlich, für die unzähligen Amokläufe, die die Welt in den vergangenen Jahren bedauerlicherweise erleiden musste.

Ein Beitrag, der in diese Kerbe schlägt, ist gleichzeitig ein Stich ins Herz eines jedes Zockers und aufrichtigen Menschens. Dass die Realität abseits des „explosiv“-Beitrags längst eine andere ist, wird ignoriert. Lieber versucht man mit bewusster Besucherauswahl die Realität zu vertuschen und seine eigenen Ansichten durchzusetzen.

Die Sicht der Verantwortlichen

Als Marktführer unter den privaten Fernsehsendern ist RTL in erster Linie eins: Ein Massenmedien. Es erreicht ein bemerkenswertes großes Publikum mit einem Bildungsgrad, der je nach Tageszeit und Sendung variiert. „Stern TV“ und „Mitten Im Leben“ haben eine unterschiedliche Zielgruppe. Allgemein unterscheidet sich das Publikum zudem von dem der Öffentlich-Rechtlichen. Auch „explosiv“ bedient ein festgelegtes Klientel.

RTL explosiv

Mit dem Vorabend-Magazin „explosiv“, welches direkt nach den Nachrichten und vor der Primetime ausgestrahlt wird, wird ein Übergang zwischen Information und Unterhaltung eingeleitet. Information steht nicht mehr an aller erster Stelle. Menschen die um diese Uhrzeit den Fernseher anschalten, kommen in überwiegender Zahl gerade von der Arbeit und möchten viel lieber unterhalten werden. Das sind sie von diesem Format und dieser Sendezeit gewohnt.

Die Redaktion steht Zockern, sowie jeder anderen sozialen Gruppe in erster Linie unvoreingenommen gegeüber. Sie unterliegt viel mehr der Wirtschaftlichkeit und möchte möglichst interessante Beiträge senden um möglichst hohe Marktanteile zu erzielen. Um dies zu erreichen, versucht man Inhalte und Themen anzusprechen, die das Publikum vermutlich interessieren. Auch die vorherrschende Meinung über das Sendethema wird eingeschätzt und es wird versucht, dieser möglichst nicht zu sehr zu widersprechen, um nicht potenzielle Zuschauer und damit Marktanteile zu vergraulen.

Was lernen wir daraus?

Man darf die Ereignisse der letzten Tage als einen Triumph für die Kultur der Videospiele verbuchen. Der entstandene Protest ist ein Zeichen dafür, wie sehr Videospiele mittlerweile in der Gesellschaft angekommen sind und wie wenig das Bild der RTL-Redaktion mit der Realität übereinstimmt. Die Medien sind ein Spiegel der Gesellschaft und werden sich auf Dauer dieser immer wieder anpassen.

Man darf davon ausgehen, dass die Berichterstattung über die gamescom in Zukunft anders aussehen wird. Über einen Nachruf hat man sich mittlerweile, wenn auch unangemessen knapp, für die Verallgemeinerungen entschuldigt und auch der Redakteur ließ inzwischen verlauten, dass er nicht damit gerechnet hat, dass sein Beitrag eine solche Reaktion hervorrufen würde. Und das meint er vermutlich sogar ernst.

Quelle: Welt Online | Stern Online | PC Games | NLM

Bilder:
(c) RTL.de

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