Neue Rollenspiele braucht das Land
Ein Königreich in Trümmern, eine hübsche Prinzessin in Not und ein Ritter in glänzender Rüstung, der das düstere Schicksal abzuwenden versucht. All dies sind eigentlich perfekte Vorraussetzungen für ein zünftiges Abenteuer. Ob „White Knight Chronicles II“ aber tatsächlich einen Ritterschlag verdient, erfahrt ihr in unserem Review.
Bereits seit Juni 2011 können europäische Zocker das Rollenspiel aus dem Hause Level-5 exklusiv für die PlayStation 3 käuflich erwerben. Viel Resonanz hat der Titel in den etablierten Gamer-Medien jedoch nicht erhalten. In Japan ist „White Knight Chronicles II“ auch schon lange abgefrühstückt. Dort erschien es nämlich bereit ein knappes Jahr früher. Der Lokalisation sei Dank musste der Rest der Welt stolze elf Monate lang warten. Nun ist es jedoch an der Zeit, sich das Ganze einmal genauer anzuschauen.
Ohne den Vorgänger geht nichts
Normalerweise müsste man nun zuerst einmal erklären, worum es in „White Knight Chronicles II“ geht. Dies ist allerdings nicht so einfach – weshalb, dazu später mehr. Stattdessen machen wir erst einen Schlenker zum Vorgänger.
Der erste Teil der Serie beginnt im beschaulichen Königreich Balandor. Nachdem ihr euren eigenen Charakter erstellt habt, landet ihr in einem kleinen Weingeschäft und werdet dem 17-jährigen Lehrling Leonard an die Seite gestellt. Ihr sollt gerade eine Lieferung an den Hof des Königs bringen, als ihr Zeuge eines Attentats auf den Monarchen werdet.
Im Chaos, das dabei entsteht, flieht ihr zusammen mit der Prinzessin und weiteren Personen, die sich mit euch spontan verbünden. Ihr gelangt in verborgene Räume unterhalb der Hauptstadt, wo ihr auf eine mysteriöse, überdimensionale Ritterrüstung stoßt. Als ihr an diesem Ort umzingelt werdet und dem sicheren Tod in die Augen schaut, wird eine geheimnisvolle Macht freigesetzt, die es eurem Freund Leonard erlaubt, Macht über die Rüstung zu erlangen und damit die unbekannten Feinde in die Flucht zu schlagen.
Im Verlauf des ersten Teils erfahrt ihr mehr über die Rüstung, die Leonard fortan in Kämpfen für euch beschwören kann, und lernt zudem weitere Ritter, oder „Knights“, wie sie im Spiel genannt werden, kennen. Zusammen mit Leonard und seinen Freunden versucht ihr, das Königreich gegen die dunkle Gefahr zu verteidigen. Dabei werden manche Fragen gelöst, jedoch nicht alle. Deswegen gibt es diesen zweiten Teil.
Und genau das ist zugleich dessen größte Stärke und Schwäche. Sobald ihr „White Knight Chronicles II“ startet, seid ihr mittendrin. Mitten in der Story, mitten in der Schlacht und ausgestattet mit Charakteren auf Level 35, sofern ihr keine Spielstände aus dem ersten Teil besitzt. Ihr bekommt nichts erklärt und habt nicht einmal eine Hilfe-Datei im Spiel zur Verfügung.
Zwei zum Preis von Einem
Klingt nach einem Desaster? Nicht ganz. Denn das Sahnestück von „White Knight Chronicles II“ ist der erste Teil, den ihr ohne einen Cent gratis dazu bekommt! Mit angepasster Grafik, angepasster Steuerung und der Möglichkeit, beide Spiele praktisch in einem Rutsch durchspielen zu können.
Wenn wir hier also von „White Knight Chronicles II“ sprechen, dann meinen wir praktisch beide Teile, die sich weder in Gameplay, Grafik noch in irgendeiner anderen Form unterscheiden und sich eigentlich zu einem großen Spiel verbinden. Das Sequel alleine zu bewerten macht deshalb keinen Sinn, ist es doch damit sozusagen ein Addon, das ohne den Vorgänger keinen Spaß macht.
So, nun nochmal kurz in Erinnerung gerufen: Es handelt sich hierbei um ein Rollenspiel für die PS3. Zudem wurde es in Japan entwickelt, was man an vielen Ecken über die übliche Folklore zu spüren bekommt. Die Charaktere und die Story sind für westliche Verhältnisse manchmal ein wenig abgedreht, auch das Gameplay und die zahlreichen Cutscenes können ihre Herkunft nicht verleugnen. Damit muss man sich identifizieren oder sich zumindest ein Stück weit darauf einlassen können, wenn man das Spiel bewerten möchte.
Zu schwer macht es dies einem aber trotzdem nicht und die Lokalisation ist im Übrigen sehr gelungen und kreativ. Dies bezieht sich allerdings einzig auf die Menüs und Texte. Die Sprachausgabe ist in Englisch – überzeugt jedoch ebenfalls.
Bahnbrechendes sucht man vergebens
„White Knight Chronicles II“ erfindet das Rollenspielgenre nicht neu. Ihr habt Charaktere, die ihr mit Items ausstattet, Personen in der Stadt, die ihr ansprechen könnt und die üblichen Quests neben einer Hauptstory. Auch einen Online-Modus gibt es. Dieser hat aber keinen wirklichen Spielgehalt und ermöglicht es euch lediglich, mit euren Freunden einige minder interessante Quests zu erledigen.
Besondere Aufmerksamkeit verdient das Kampfsystem, denn logischerweise müsst ihr so manchem üblen Monster ordentlich eins auf die Nase geben, bis ihr an das Spielende gelangt. Es handelt sich hierbei eigentlich um Echtzeitkämpfe, allerdings habt ihr nach jedem Angriff einen deutlich spürbaren Cooldown von mehreren Sekunden, bevor ihr eure nächste Attacke starten könnt. Dies gibt in der Regel eurem Gegner genug Zeit, seinerseits eine Attacke zu starten und so fühlt sich das Ganze eher rundenbasiert an.
Eure Attacken wählt ihr aus Aktionsleisten aus, die ihr euch nach eigener Laune zusammenstellen könnt. Mit jedem Level-Up erhaltet ihr Erfahrungspunkte, die ihr in verschiedenen Skill-Trees ausgeben könnt. Von Magier bis Bögenschütze und Heiler ist das Übliche vertreten, ohne dass ihr euch jedoch auf eine Richtung spezialisieren müsst. Theoretisch könnt ihr einer Person von allem etwas beibringen, mehr Sinn macht es jedoch, verschiedene Experten auszubilden.
Treue Weggefährten
Je nach Situation und Story-Abschnitt seid ihr mit bis zu sechs verschiedenen Personen unterwegs. Immer dabei sind jedoch Leonard, seine gute Freundin Yulie, der Reisende Eldore, sowie natürlich eure eigene Figur. Ein weiterer Pluspunkt: Ihr könnt zu jeder Zeit jede Figur spielen und nach euren Vorlieben ausrüsten.
Aus unerfindlichen Gründen ruinieren sich jedoch die Entwickler dieses Prinzip, indem sie nicht mehr als drei aktive Charaktere pro Gruppe zulassen, mit denen ihr kämpfen könnt. Ihr könnt zwar jederzeit außerhalb von Kämpfen die Mitglieder durchrotieren, mindestens einer sitzt aber immer „auf der Bank“. Das ist nicht nur ärgerlich, weil die Bankdrücker weniger Erfahrungspunkte als der Rest bekommen, sondern führt mitunter zu abenteuerlichen Situation. Nämlich dann, wenn ihr zum Beispiel den Hauptcharakter Leonard aussortiert habt und dann unerwartet in einen Bosskampf stolpert.
Leonard ist über große Strecken die einzige Figur, die sich in einen der mächtigen Ritter verwandeln kann und rettet euch damit so manches Mal das Leben. Er wird nicht zwangsläufig benötigt, macht solche entscheidenden Kämpfe aber deutlich einfacher.
Tritt er einmal in Aktion, kann man sich ein leichtes Grinsen nicht verkneifen. Ihr müsst allerdings erst eine gewisse Anzahl an so genannten „Action Chips“ sammeln, bevor ihr den weißen Ritter aktivieren könnt. Alternativ können diese auch für verheerende Kombo-Angriffe genutzt werden (bei allen Protagonisten), bei Leonard hingegen machen diese aufgrund seiner deutlich beeindruckenderen Doppelrolle nur wenig Sinn.
Den Monstern auf die Mütze geben
Bei jeder Verwandlung erscheint in bester „Power Rangers“-Manier eine dramatische Animation, in der Leonhard seine geheimnisvolle Formel murmelt, bevor er sich unter viel Getöse in den weißen Ritter verwandelt. Dies wirkt am imposantesten, wenn eure restliche Gruppe schon über den Jordan gegangen ist, und ihr euren letzten Action Chip gerade so sammeln konntet, bevor auch Leonard das Zeitliche gesegnet hättet.
Nicht jedem mag dieses übertrieben japanische „Digimon“-Gehabe liegen, „White Knight Chronicles II“ gibt sich allerdings Mühe, den Bogen nicht zu überspannen und erreicht durchgehend einen guten Spagat zwischen kindlicher Spielfreude und ernsten Anklängen.
Was den Entwicklern ebenfalls gut gelang, ist die Liebe zum Detail und die abwechslungsreiche Landschaft. Wenngleich die Grafik nicht das Beeindruckendste am Spiel ist, so macht sie auch nicht viel verkehrt und liefert mitunter beeindruckende Szenerien. Von dunklen Höhlen über hitzeflimmernde Wüsten bishin zu versmogten Städten ist alles dabei.
Mängel lassen sich nicht verstecken
So gut der Eindruck bis hierhin war, „White Knight Chronicles II“ gelingt nicht alles und es gibt das ein oder andere Manko, was den Spielspaß mitunter deutlich trübt. Der Soundtrack gehört nicht zu den Besten in diesem Genre und auch wenn das Hauptmenü noch in einer imposanten Art und Weise akustisch dargeboten wird, im späteren Spielverlauf ist davon nicht mehr viel zu hören.
Genau genommen kennt das Spiel beispielsweise nur eine Kampfmelodie. Diese erinnert stark an vergangene Game Boy-Zeiten und spätestens wenn ihr zum hundertsten Mal das Gefühl habt, dass gerade vor euch „ein wildes Pikachu aufgetaucht ist“, geht es einem doch arg auf die Nerven. Zudem bin ich mir ziemlich sicher, in einer der Hochebenen eine freie Interpretation des Scorpions-Mauerrüttlers „Wind Of Change“ vorgesetzt bekommen zu haben. Vielleicht waren es auch nur die endlos-monotonen Höhlengänge, die mir dieses Hirngespinst in den Kopf gesetzt haben.
Diese sind nämlich ein weiteres großes Manko, genau genommen das allgemeine Level-Design. Jede neue Stadt muss über ein Areal erreicht werden, welches ihr ladet, sobald ihr die momentane Örtlichkeit verlasst. Ist das Anfangsgebiet noch weit verzweigt und ermöglicht euch die Illusion einer halb-freien Welt, durchquert ihr teilweise Bereiche, die an Unverschämtheit nicht zu überbieten sind.
Wahnwitziges Level-Design
Höhepunkt dieser gezielten Spielzeit-Streckung war ein Canyon mit verschiedenen Fels-„Inseln“. Diese können durch überdimensionale Löwenzahn-Blüten erreicht werden, mit denen ihr von einer zur nächsten gleitet. Was nach einer charmanten und kinderfreundlichen Art von Teleportern klingt, entpuppte sich als „das Grauen von WKC2“.
Dieser Canyon hat mehr als 15 Inseln mit unterschiedlichen Höhenstufen und mitunter mehrfachen Anflugpunkten pro Löwenzahn. Je nachdem, wohin der Wind bläst, werdet ihr entweder zu der einen oder zu der anderen Insel getragen. Macht euch keine Hoffnung, das die Windrichtung von alleine wechselt. Das geschieht erst, wenn ihr eine Route über drei andere Inseln genommen habt und erneut am Ausgangspunkt angekommen seid.
Auf diese Art und Weise tingelt ihr mehr als eine Stunde lang von Insel zu Insel, metzelt euch durch wahre Gegnermassen, bis ihr schließlich absolut jedes Plateau mindestens einmal besucht habt. Erst dann bläst der Wind am entscheidenden Löwenzahn zum lang ersehnten Ausgang.
Dieses Prinzip findet nicht bloß einmal Anwendung. Auch in Höhlen-Systemen oder in Ruinen dürft ihr euch sicher sein, dass ihr auf eurem Weg durch jeden einzelnen Raum gelotst werdet, bevor ihr den Ausgang seht. Sei es, dass ihr Schalter in mehreren Stockwerken nacheinander umlegen müsst oder über Teleport-Plattformen durch ein halbes dutzend Räume reist, die ihrerseits wieder mehrere mögliche Teleporter anbieten, von denen absolut jeder identisch aussieht. Dies sind teilweise nette Denkaufgaben, zumeist aber dreiste Zeitklauerei.
Immer das Gleiche
Erschwerend hinzu kommt eine verschwindend geringe Respawn-Zeit der Monster, die ihr bereits getötet habt. Ohne gemessen zu haben, liegt diese irgendwo zwischen fünf und zehn Minuten. Wenn ihr also einen Schlüssel aus einer entlegenen Kammer eingesammelt habt, weil die Haupttür natürlich ohne nicht zu öffnen war, werdet ihr auf dem Rückweg höchstwahrscheinlich die selben Monster erneut erledigen müssen, die ihr vor kurzem bereits ins Jenseits befördert habt. Spaß macht das nicht.
Die Vielfalt der Monster lässt ebenfalls zu wünschen übrig. Viele Modelle werden unter verschiedenen Namen mehrfach benutzt, so dass es insgesamt nicht mehr als 20 wirklich verschiedene sein können. Einige mehr hätten dem Spiel gut getan.
Ein weiteres Manko ist das bereits eingangs erwähnte Kampfsystem. Bedingt durch die sehr weitreichenden Kampfgebiete, den sehr kurzen Respawnzeiten und die irreführende Wegfindung, müsst ihr über den Verlauf des Spiels eine stattliche Anzahl an Monstern erledigen.
Das mehr oder weniger rundenbasierte Angreifen lässt die Kämpfe zäh wirken und nutzt sich nach einiger Zeit schnell ab. Man drückt den X-Knopf, wartet, bis sich der Kreis auf dem Bildschirm füllt, drückt erneut den X-Kopf, der Kreis füllt sich erneut und so weiter. Ein Hack-&-Slay-Prinzip hätte wahre Wunder gewirkt und das Spiel teilweise deutlich spannender gemacht.
Eigene Spielfigur überflüssig
Zu guter Letzt gehen wir auf unseren eigenen Charakter ein. Ihr werdet damit leben müssen, das euer virtuelles Ego über die gesamte Spielzeit keine einzige Silbe von sich gibt. Eine aus mehreren Vorlagen wählbare Kampfstimme für den gelegentlich Ächzer und Schrei, wenn ihr getroffen werdet, ist das Einzige, was euch Level-5 an die Hand gibt.
Tatsächlich bietet die Charaktererstellung ein großes Maß an Identifikationsmöglichkeit mit eurer Figur. Das Tragische ist jedoch, dass sie für die Geschichte praktisch keine Relevanz hat. Ihr müsst sie theoretisch kein einziges Mal einsetzen.
Leonard hat die Rolle des weißen Ritters, seine Freundin Yulie ist das clevere Mädchen, was ihn von Kindesbeinen an kennt, Eldore ist der mysteriöse Reisende mit der Reibeisen-Stimme, aber ihr werdet nie etwas anderes als die Aushilfe aus dem Weinladen sein, die aus unbekannten Gründen der Gruppe hinterher gedackelt ist. Immerhin seid ihr in den Sequenzen neben den Stars zu sehen…
Fazit
„White Knight Chronicles II“ macht vieles richtig, einen Ritterschlag unter den Rollenspielen verdient es sich aber nicht. Dafür ist es über viele Strecken zu dröge, zu altbacken und ohne wirklich strahlende Momente. Was ihr bekommt, ist ein gutes Rollenspiel, das euch lange beschäftigt. Erst nach 25 Spielstunden war der erste Teil durchgespielt, nach 35 Stunden noch nicht einmal ein Viertel des zweiten Teils erreicht. Es ist die gute Story mit vielen unvorhergesehenen Wendungen, die euch euch zum Weiterspielen animiert. Die schöne Landschaft und die liebenswerten Charaktere gehören auch dazu – abgesehen von eurem eigenen Laufburschen natürlich, der scheinbar nur mitgekommen ist, weil er nichts Besseres zu tun hatte. Wer Rollenspiele mag, wird mit „White Knight Chronicles II“ keine Enttäuschung erleben. Alle anderen verpassen nichts, wenn sie an diesem Spiel vorbei gehen.
Bilder:
(c) Sony Computer Entertainment Europe
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