Review: Yakuza 4 (PS3)


Obwohl die Lage in Japan zur Zeit alles andere als rosig ist, vermittelt zumindest ein Spiel feinstes Asia-Flair und zeigt eine Version von Tokio, in der die Welt noch in Ordnung ist – oberflächlich zumindest. Die Geschichte rund um Japans Unterwelt geht nun auch bei uns weiter.

Was bisher geschah

Für alle, die mit der „Yakuza“-Reihe nicht vertraut sind, folgt nun eine kurze Zusammenfassung.

Die „Yakuza“-Franchise (im Original „Ryu ga Gotoku“, dt. „Einem Drachen gleich“) schlug in Japan wie eine Bombe ein. Ihre Popularität stellte im Land der aufgehenden Sonne sogar die von „Grand Theft Auto IV“ in den Schatten: Das PlayStation 3 exklusive „Yakuza 3“ wanderte öfter über die japanischen Ladentheken als Rockstar Games‘ preisgekröntes Gangster-Epos für alle Systeme zusammen. Außerhalb Asiens war das genaue Gegenteil der Fall. Die ersten beiden „Yakuza“-Teile (auf der PlayStation 2) floppten, weshalb SEGA ursprünglich nicht im Sinn hatte, weitere Ableger in unseren Gefilden zu veröffentlichen. Auf Nachdruck der Fans erhielt „Yakuza 3“ letztes Jahr schließlich doch eine Chance, sich im Westen zu behaupten. Diesmal ging die Rechnung auf: Das Nischenprodukt erzielte auf den westlichen Märkten solide Verkaufszahlen, die SEGAs eigene Erwartungen übertrafen. Die logische Konsequenz: Der bereits Anfang 2010 in Japan erschienene vierte Teil kommt ebenfalls zu uns. Genau jetzt.

Das Leben hat es nicht gut mit Kazuma Kiryu gemeint. Nachdem seine Eltern schon früh durch Yakuza ermordet wurden, geriet er als Jugendlicher in die Fänge des Tojo Clans, des im fiktiven Tokioter Stadtteil Kamurocho dominanten Gangster-Syndikats, wo er wegen seiner Verlässlichkeit und Brutalität rasch aufstieg. Um seinen besten Freund zu decken, nahm er die Schuld an der Ermordung des Tojo-Vorsitzenden Dojima auf sich und trat eine zehnjährige Haftstrafe an, um sich – kaum entlassen – auf die Suche nach seiner verschwundenen Jugendliebe zu machen – nur, um am Ende alle zu verlieren, die ihm wichtig waren. Er bekämpfte verfeindete Yakuza-Familien (inklusive seiner eigenen), die chinesischen „Snake Flower“-Triaden und die koreanische Jingweon-Mafia, wodurch er Kamurocho mehrmals vor blutigen Machtkämpfen bewahrte. Als er sein altes Leben hinter sich lassen wollte und ein Waisenhaus in Osaka eröffnete, wurde er in eine explosive Verschwörung rund um den internationalen Waffenschmugglerring „Black Monday“ hineingezogen, den er erfolgreich zerschlug. Kurz vor seinem wohl verdienten „Happy End“ wurde er aber in Kamurocho auf offener Straße niedergestochen und wäre fast gestorben.

Vier gewinnt

In „Yakuza 4“ geht es jedoch gar nicht um den „Drachen von Dojima“ – jedenfalls nicht direkt. Zum ersten Mal in der Serie kontrolliert der Spieler nämlich nicht mehr nur Kiryu, sondern schlüpft außerdem in die Rolle des Kredithais Shun Akiyama, des Polizisten Masayoshi Tanimura und des verurteilten Todeskandidaten Taiga Saejima.

Alle Protagonisten haben ihren eigenen Kampfstil und interagieren unterschiedlich mit ihrer Umwelt, weshalb sie sich grundlegend anders spielen. So besitzt Akiyama beispielsweise einen Nachtclub, für den junge Frauen auf den Straßen Kamurochos rekrutiert und im „Hostess Manager“ nach Wunsch mit Kleidung und Accessoires ausgestattet oder in Sparten wie Kommunikation, Aussehen und Trivia trainiert werden können, um die Einnahmen in die Höhe zu treiben. Der entflohene Sträfling Saejima hat hingegen andere Probleme, denn das Gesetz ist ihm auf den Fersen. Um außer Sicht der patrouillierenden Polizei zu bleiben, muss er Umwege in Kauf nehmen und kann sich folglich weniger frei als die anderen Charaktere bewegen. Als Cop muss Tanimura wiederum dem Verbrechen Einhalt gebieten und wird regelmäßig via Funk über gemeldete Straftaten informiert, denen er nachgehen kann – natürlich nicht aus reiner Nächstenliebe, da er entweder ein hübsches Schweigegeld von den Tätern oder eine Belohnung von den Opfern zugesteckt bekommt. Er beherrscht außerdem mehrere asiatische Sprachen und kann als einziger mit den zahlreichen Immigranten in Kamurocho kommunizieren. Als Kiryu kommen hauptsächlich Fans der Franchise auf ihre Kosten, da es im Rahmen seiner Nebenmissionen ein Stelldichein mit etlichen alten Bekannten, inklusive dem gefürchteten Attentäter und Serien-Urgestein Jo Amon gibt.

Im Osten kaum Neues

Ansonsten wurde mit Neuerungen allerdings gespart. Das Gameplay lässt sich am besten mit „Shenmue für Erwachsene“ beschreiben – ein Vergleich, der nicht von ungefähr kommt, hatte doch „Yakuza“-Produzent Toshihiro Nagoshi bereits bei „Shenmue“ seine Finger im Spiel. Wieder läuft man durch eine pseudo-offene Spielwelt, deren Grenzen wenig kreativ mit Stoppschildern, Baustellen und Straßensperren abgesteckt wurden, und pendelt entweder im Rahmen der Hauptstory von Event zu Event, erledigt Nebenmissionen oder nutzt die üppigen Freizeitangebote der Stadt.

Das soll aber nicht heißen, es gäbe nichts Neues zu entdecken. Es ist nun auch möglich, die Dächer und den Untergrund beziehungsweise die Kanalisation von Kamurocho zu betreten. Zudem bietet die Stadt jede Menge Freizeitangebote, alle mit unverkennbar japanischem Touch. Ob man lieber aktiv sein und im Batting Center ein paar Bälle schlagen, eine Runde Golf spielen, an den Docks fischen oder den vielen Restaurants und Bars einen Besuch abstatten, sich massieren lassen oder Karaoke machen möchte, hängt einzig von persönlicher Präferenz und der virtuellen Brieftasche ab. Wem das nicht aufregend genug ist, kann im unterirdischen Kolosseum an illegalen Wettbewerben teilnehmen, sich an diversen Glücksspielen versuchen oder eine Hostess besuchen. Für Abwechslung abseits der Missionen ist jedenfalls gesorgt.

Die Nebenmissionen kommen in gewohnt abwechslungsreicher Manier daher. Zwar enden die meisten in einer zünftigen Keilerei, aber die Aufmachung ist variabel genug, um die Motivation, wirklich alles zu machen, was das Spiel hergibt, dauerhaft aufrecht zu erhalten.

Eine äußerst sinnvolle Änderung ist die Möglichkeit, vor Spielende frei zwischen den Protagonisten wechseln und jederzeit all ihre Nebenmissionen absolvieren zu können. Diese waren in den Vorgängern an bestimmte Kapitel gebunden – war das Kapitel vorbei, konnten noch ausstehende Aufträge nicht mehr absolviert werden. Dies spart dem Spieler viel Frust, sollte er eine Mission übersehen und nicht rechtzeitig gespeichert haben. Da manche Nebenaufgaben an eine bestimmte Tageszeit (Tag, Abend, Nacht) gebunden sind, lässt sich diese ebenfalls frei regulieren.

Die technische Umsetzung von „Yakuza 4“ ist ein zweischneidiges Schwert. Die Grafik wurde etwas aufgebohrt, Umgebungstexturen wirken schärfer und das Kantenflimmern wurde gegenüber dem dritten Teil deutlich reduziert. Im Austausch für die angenehmere Optik leidet allerdings die Framerate, wenn in dicht besiedeltem Gebiet gekämpft wird.

Ein Hauch von „Last Gen“ stellt sich außerdem dadurch ein, dass sich die Größe des begehbaren Areals seit dem 2005 erschienenen ersten Serienteil quasi überhaupt nicht verändert hat, weswegen Kamurocho verglichen mit den mächtigen Metropolen eines „Grand Theft Auto“ oder „Assassin’s Creed“ recht überschaubar wirkt. Das ist zwar nicht weiter tragisch und durchaus verschmerzbar, entspricht aber einfach nicht dem, was man von aktuellen Konsolenspielen sonst gewohnt ist. Die Spielwelt von „Yakuza 4“ ist sogar kleiner als die des Vorgängers, da man dort zumindest alternierend in Kamurocho und Okinawa unterwegs sein konnte, was nun, bis auf ein (sehr) kurzes Intermezzo, nicht mehr der Fall ist.

Die visuelle Aufmachung des virtuellen Tokio kann sich hingegen sehen lassen und zeugt von viel Liebe zum Detail: Obwohl Kamurocho in der Realität nicht existiert, waren die Entwickler offensichtlich bemüht, dem Spieler einen möglichst authentischen Eindruck des Rotlicht-Milieus der japanischen Hauptstadt zu geben. Vor allem bei Nacht ist das Meer aus Neonschildern malerisch und lädt zu Erkundungstouren ein. Vorausgesetzt, man wird nicht ständig aufgehalten.

Aufs Maul?

Die Bewohner von Kamurocho lassen auch in „Yakuza 4“ wieder leidenschaftlich gern die Fäuste sprechen. Zu oft vielleicht, da man auf dem Weg zum aktuellen Missionsziel, zum nächstbesten Speicherpunkt oder einfach zur nächsten Bar laufend von Straßengangs, hochmütigen Yakuza oder beliebigen Zivilisten attackiert wird, die scheinbar nichts Wichtigeres zu tun haben, als willkürlich Passanten anzupöbeln. Das schreit nach einer Abreibung, weshalb die Entwickler große Sorgfalt in das Kampfsystem gesteckt und es seit Teil eins kontinuierlich verbessert haben. Zwar blieb auch an dieser Stelle großteils alles beim Alten, was aber nur positiv ist. Gekämpft wurde bereits beim Vorgänger flüssig und beinahe reibungslos.

Durch das Kombinieren von leichten und harten Schlägen oder Tritten, Würfen und Ausweichen („Quicksteps“) können Kontrahenten auf vielfältige Art und Weise vermöbelt werden. Häufig lassen sich auch Gegenstände aus der unmittelbaren Umgebung, wie Mülltonnen und Werbetafeln, als Waffen oder Wurfgeschosse einsetzen. Steht man einmal mit dem Rücken zur Wand, ist es ratsam, auf „HEAT“-Moves zurückzugreifen, die nicht nur schmerzhaft anzusehen sind, sondern auch gehörigen Schaden verursachen. Der Zeitpunkt eines solchen Angriffs sollte jedoch gut gewählt sein, da die „HEAT“-Leiste bei Anwendung geleert wird. Durch erfolgreiche Treffer beim Gegner oder den Konsum von Energydrinks kann „HEAT“ allerdings leicht zurückgewonnen werden.

Für die Erfüllung von Missionen, das Besiegen von Gegnern und diverse Freizeitaktivitäten gibt es Erfahrungspunkte, die – ähnlich einem Rollenspiel – dazu verwendet werden können, die körperlichen Fähigkeiten eines Charakters zu verbessern oder neue Techniken zu lernen. In der Vergangenheit war es üblich, in einzelne Skill-Trees – Soul, Tech, Body und Essence – zu investieren. Jede dieser Sparten hatte ihren eigenen Level, durch den wiederum festgelegte Fähigkeiten freigeschaltet wurden. Stattdessen gibt es nun ein allgemeines Levelsystem. Bei jedem Level-Up werden Gesundheit und Essence automatisch erhöht (um wie viel, hängt vom Charakter ab). Zur Erweiterung des Move-Reportuars werden Upgrade-Punkte gutgeschrieben, mit denen gezielt neue Kampftechniken ausgewählt und erlernt werden können.

Obwohl eingangs etwas steif, ist das „Brawlen“ insgesamt ziemlich intuitiv und geht gemeinsam mit den Eigenheiten der vier Hauptfiguren rasch in Fleisch und Blut über – was für einen Großteil aller Spielelemente gilt. Inklusive der Handlung.

Asien für Anfänger

Auch der vierte Lokalaugenschein der dunklen Seite Japans bietet eine Geschichte in bester Tradition bekannter Eastern-Filme mit allem, was dazu gehört: Liebe, Leidenschaft, Romantik, Ehre, Intrige, Verrat, Gier, Rache. Das Mysterium rund um ein blutiges Attentat auf einen Yakuza-Boss im Jahre 1985 wird allmählich gelüftet, ohne den Ausgang durch ungeschicktes Storytelling frühzeitig preis zu geben. Naturgemäß bleiben auch etliche Plot-Twists und ein serientypisch furioses Finale nicht aus, weshalb die Story klares Highlight des Spiels ist.

Erfreulicherweise nahm sich SEGA den Ärger über die schlampige Lokalisierung des Vorgängers (es wurden über 20 Nebenmissionen und das komplette „Hostess Bar“-Feature entfernt, was, laut SEGA, aus Zeit- und Verständnisgründen notwendig war) zu Herzen. In „Yakuza 4“ werden japanische Namen nicht mehr „verwestlicht“, die Hostessen sind wieder mit von der Partie und es fehlen keinerlei Nebenmissionen. Nur ein Quiz namens „Answer x Answer“ wurde entfernt, weil es ausschließlich Fragen zu Japan oder der japanischen Geschichte enthält, die in unseren Breitengraden kaum jemand ohne Wikipedia beantworten könnte – es gibt Schlimmeres.

Auf westliche Augen dürften die Hostess-Bars besonders befremdlich wirken. Dabei geht es nicht – wie mancher beim Wort „Hostess“ glauben mag – um Prostitution. Stattdessen setzt man sich mit den Damen zusammen, isst, trinkt und unterhält sich in ungezwungener Atmosphäre. Das Ziel ist natürlich die Eroberung der exotischen Schönheiten – stellt man sich geschickt an, verlieben sie sich tatsächlich in den Spieler. Gerade dieses Minispiel ist überraschend motivierend, da sich die „unnahbaren“ Hostessen immer weiter öffnen und pikante Details über ihre manchmal gar nicht so glamourösen Leben ans Licht kommen, die wiederum bei Kolumnisten, die an einem „Hostess Guide“ schreiben, zu Geld gemacht werden können.

Bei einem so umfangreichen Spiel stellen sich Serien-Neulinge automatisch die Frage, ob es möglich ist, sich ohne Kenntnis der anderen Serienteile problemlos zurecht zu finden. Obwohl die „Yakuza“-Reihe äußerst storylastig ist, besteht kein Grund zur Sorge. Für die Handlung ist es zwar notwendig, über ein paar Schlüsselereignisse Bescheid zu wissen und Persönlichkeiten wie Kage oder Goro Majima einordnen zu können, dabei hilft jedoch der „Reminisce“-Modus weiter, in dem man die Geschichte der „Yakuza“-Hauptreihe in Form von Video-Zusammenfassungen häppchenweise erzählt bekommt. Auch für das Gameplay ist es nicht notwendig, die Vorgänger gespielt zu haben, da es an ausführlichen Tutorials und jederzeit aufrufbaren Handbüchern („Memos“) nicht mangelt.

Lediglich der englischen Sprache muss man zum Verständnis mächtig sein – wie „Yakuza 3“ ist auch der vierte Teil nicht auf Deutsch verfügbar, sondern bietet lediglich englische Untertitel. Die Sprachausgabe wurde nicht neu vertont, sondern liegt im Originalton (japanisch) vor – glücklicherweise, denn die Sprecher haben sehr gute Arbeit geleistet, weshalb die Synchronisation dem Spiel einen zusätzlichen Atmosphäre-Bonus gibt. Besser hätte eine englische Vertonung kaum werden können.

Fazit, Sebastian Meinke

Die größte Stärke von „Yakuza 4“ ist eindeutig seine Präsentation: Die Charaktere und die sündige Welt von Kamurocho sind glaubwürdig und atmosphärisch stimmig, die Geschichte packend und dramatisch. Umso störender ist es, dass die mittlerweile chronischen Schwächen der Crime-Saga von SEGA wieder nicht in Angriff genommen wurden: Die scheinbar offene Spielwelt ist stark begrenzt, die technische Umsetzung von schwankender Qualität. Zumindest das eintönige Gameplay wurde durch die vier unterschiedlichen Protagonisten aufgelockert. Die „Neuen“ passen samt ihrer Hintergrundgeschichten perfekt in das raue, von Skrupellosigkeit, Blut und Ehre gezeichnete „Yakuza“-Universum, das, vom Ausflug in die Kinderbetreuung in Okinawa im letzten Teil, wieder zur altbekannten Großstadt-Härte zurückgekehrt ist. Für mich ist „Yakuza 4“ trotz seiner Makel ein klarer Anwärter auf den Titel „Spiel des Jahres“. Wer dem japanischen Flair etwas abgewinnen kann und sich von den häufigen, repetitiven Schlägereien nicht abschrecken lässt, sollte unbedingt einen Blick riskieren.

Bilder:
© SEGA Europe, Ltd.

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