München bereitet sich auf Demjanjuk-Prozess vor

München (ddp-bay). Richter,Staatsanwaltschaft und Verteidigung bereiten sich in München auf einen der größten Prozesse der vergangenen Jahre vor. Der Ukrainer John Demjanjuk soll am 30. November der Beihilfezum Mord in 27 900 Fällen angeklagt werden. Die Staatsanwaltschaft wirft dem 89-Jährigen vor, im Sommer 1943 im polnischen Lager Sobibór Tausende Juden aus den Deportationszügenin die Gaskammern getrieben zu haben.

Zum Prozessauftakt vor dem Münchner Landgericht werden allein 220 Journalisten erwartet, hinzu kommen Prozessbeobachter von Forschungsinstituten, Historiker und natürlich Privatpersonen.Aber nicht nur im Zuschauerraum wird es eng: Bislang beläuft sich die Zahl der Nebenkläger auf rund 40, großteils Angehörige von in Sobibór Ermordeten. Sie allemüssen irgendwie im Verhandlungsraum Platz finden.

Dabei ist es für die Münchner Prozessbeteiligten eher Zufall als ihr Wunsch, sich mit einem der letzten großen Prozesse zur Aufarbeitung des Holocaust zu befassen. Welches deutscheGericht für den Fall Demjanjuk zuständig sei, habe der Bundesgerichtshof zunächst nicht eindeutig feststellen können, erklärt die Sprecherin der Staatsanwaltschaft, BarbaraStockinger. «Es gibt die Vermutung, dass Demjanjuk mal einen Wohnsitz in Feldafing hatte, aber weil das nicht zu klären ist, hat man dem Landgericht den Fall einfachzugewiesen.»

Also lieferten die USA Demjanjuk, der mit seiner Familie bislang in Ohio lebte, im Mai nach München aus. Als Pflichtverteidiger bestellte man Günther Maull. Der 72-Jährige hat durchausErfahrung mit Holocaust-Prozessen: Bereits als Referendar arbeitete er für den Assistenten des berühmten Eichmann-Anwalts Robert Servatius. Allerdings habe er sich um die Verteidigung«nicht gerade gerissen». Allein die Kommunikation mit dem «alten, kranken Mann», wie Maull sagt, ist sehr schwierig. «Wir verständigen uns recht und schlecht aufEnglisch», erklärt der Anwalt. Während der Verhandlung wird man das Sprachproblem zu lösen versuchen. «Wir haben einen Übersetzer für Ukrainisch beantragt»,erklärt Stockinger.

Schon einmal stand Demjanjuk, der in der Ukraine als «Iwan» zur Welt kam, vor Gericht: 1988 wurde er in Jerusalem zum Tode verurteilt, jedoch 1993 wieder freigesprochen, weil Zweifel anseiner Identität blieben. Man hatte ihn für «Iwan den Schrecklichen» gehalten, der in Treblinka die Gaskammern bediente. Mittlerweile scheint die Identität Demjanjuksgeklärt. Laut Anklage geriet er 1942 auf der russischen Halbinsel Krim in deutsche Kriegsgefangenschaft.

Nach nur wenigen Wochen holten ihn SS-Offiziere in das polnische Ausbildungslager Trawniki. «Hier wurden gesunde Kriegsgefangene zum verlängerten Arm der SS ausgebildet»,erklärt die Historikerin Angelika Benz. Demjanjuk ist dann nach Angaben der Ermittler im Frühjahr und Sommer 1943 als Wachmann im Vernichtungslager Sobibór eingesetzt gewesen, wo erlaut Anklage an der Ermordung der vor allem niederländischen Juden teilnahm.

Maull hat Zweifel daran, dass sein Mandant in Sobibór freiwillig handelte. «Was wir hier brauchen, ist der Begriff des ´Notstandes´, nachdem jemand, der zu solchen Handlungengezwungen wurde, auch einen Rechtfertigungsgrund hat.»

Derweil berichtet das Nachrichtenmagazin «Focus», dass die Staatsanwaltschaft im Prozess gegen Demjanjuk ohne lebende Zeitzeugen auskommen muss. Die Ermittler hätten in ihrer Anklage23 Zeugen benannt, darunter fünf aus Russland und der Ukraine. Nun habe sich herausgestellt, dass diese längst verstorben seien. «Die Männer wurden vor 30 Jahren vernommen -teilweise in der Sowjetunion und vielleicht unter Druck. Ob die Aussagen einen Beweiswert haben, ist fraglich», so Maull.

Der Angeklagte selbst schwieg entsprechend dem Rat seines Anwalts bisher zu den Vorwürfen. «Ob er sich jemals äußern wird oder nicht, kann ich noch nicht sagen, das muss derProzessverlauf zeigen», sagt Maull der Nachrichtenagentur ddp. Dass sein Mandant überhaupt etwas von dem großen Interesse an seiner Person mitbekommt, hält Maull fürunwahrscheinlich. «Ich bezweifle, dass er davon etwas merkt, da er ja kaum Englisch und ansonsten nur Ukrainisch kann. Wie soll er da die Zeitungen lesen.»

(ddp)

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