St. Petersburg (ddp). Russlands Raumfahrt macht sich in dietropischen Gefilde Südamerikas auf. Die ersten beiden «Sojus-ST»-Trägerraketen sind am Samstag mit der MS «Colibri» unter Kapitän Dominique Puget von St.Petersburg auf den Seeweg zum europäischen Weltraumbahnhof Kourou in Französisch-Guyana gebracht worden. In 20 weiße Container verpackt, schippern sie jetzt zwei Wochen lang überdie Ost- und Nordsee, den Ärmelkanal und den Atlantik zum Zielhafen Kourou.
Doch nicht das schöne Wetter lockt die Russen ins ferne Ausland, sondern die ökonomischen Vorteile von Kourou. Durch die stärkere natürliche Erdbeschleunigung am Äquator kanndie «Sojus-ST» bis zu einer Tonne mehr Nutzlast als zuhause in Baikonur ins All hieven. Allerdings musste der Träger dafür «europäisiert» und auchtropentauglich gemacht werden. So erhielt er eine französische Sicherheitsapparatur, mit der die Triebwerke bei Kursabweichungen per Hand von der Erde aus abgeschaltet werden können.
Dass die Russen so ein automatisches System an Bord haben, ließ die Betreibergesellschaft Arianespace nicht gelten. Sie verwies darauf, dass die Europarakete «Ariane 5» notfalls perKnopdruck sogar gespengt werden kann. Auch mussten die vier Seitenblöcke der «Sojus-ST» mit Flutventeilen ausgestattet werden, damit sie schnell im Atlantik versinken, wenn sieausgebrannt sind, und so den Schiffsverkehr nicht gefährden. Eine dritte Anforderung bestand in der Montage von Radarsensoren für die exakte Flugbahnkontrolle.
Obwohl die Russen über reiche Erfahrungen mit Starts bei 40 Grad minus oder 40 Grad plus haben, mussten sie ihre Kourou-Version auf die ungewohnten tropischen Bedingungen umstellen. Die hoheLuftfeuchtigkeit, die nicht selten zur Vereisung der Tanks führt, die großen Temperaturschwankungen, der enorme Salzgehalt der Luft und die aggressiven Insekten waren die Hauptprobleme.Zudem mussten sie als neues Element ihrer Startrampe, die sie aus der Heimat mitgebracht haben, einen geschlossenen Bedienungsturm bauen.
Er ist erforderlich, um die empfindliche Rakete, wenn sie auf der Rampe steht, auch bei tropischem Regen startklar machen zu können. Dieser Turm bereitet den russischen Spezialisten allerdingsnoch Kopfzerbrechen. Der Chef der Moskauer Raumfahrtagentur Roskosmos, Anatoli Perminow, will deshalb persönlich dafür bürgen, dass er zum Jahresende einsatzbereit ist.
Das neue russische «Kosmodrom unter Palmen» ist gemeinsam von der Europäischen Weltraumorganisation ESA, der Europäischen Union (EU) und Arianespace finanziert worden. DieGesamtkosten belaufen sich nach den neuesten Berechnungen auf 405 Millionen Euro. Deutschland ist mit rund sechs Prozent beteiligt. Die Russen steuern kein Geld, sondern die technischenAusrüstungen im Wert von 121 Millionen Euro für die Startrampe bei.
Grundlage des Projekts ist ein russisch-französisches Regierungsabkommen von 2003 zur Stationierung der «Sojus-ST» im «Raumfahrtzentrum Guyana» (Centre Spatial Guyanais -CSG). Nach Einschätzung von Roskosmos eröffnet das Programm «Sojus im CSG» Russland und der Europäischen Union «neue Horizonte» bei der Erschließung desWeltraums. Russland erhalte so die «potenzielle Möglichkeit», Starts direkt am Äquator durchzuführen, und Europa dafür die «sicherste Mittelklasse-Rakete derWelt».
Perminows Stellvertreter Viktor Remischewski sagte der Nachrichtenagentur ddp in St. Petersburg, der Träger sei in den vergangenen über 50 Jahren schon 1749 Mal bemannt und unbemanntgestartet. Die Zuverlässigkeitsquote betrage «sagenhafte 99,8 Prozent». Er hoffe, dass sich daran auch in Kourou nichts ändere.
Der Chef von Arianespace, Jean-Ives Le Gall, sprach von einem «historischen Tag» für Europa. Russland sei bei dem Geschäft ein «außerordentlich soliderPartner». Bisher seien 14 Raketen bei den «Progress»-Werken in Samara an der Wolga bestellt und Verträge über 20 Satelliten mit Kunden weltweit abgeschlossen worden. DerErststart sei für das zweite Semester 2010 geplant. Es handle sich dabei um einen britischen Fernmeldesatelliten auf einer indischen Plattform. Schon bald sollen von hier vier«Sojus-ST» pro Jahr ins All geschossen werden, von denen jede 70 Millionen Euro koste.
Im Februar 2007 war der Grundstein für den Startplatz gelegt worden. Dabei wurde symbolisch ein 20 Kilogramm schwerer Stein aus der Rampe in Baikonur mit eingebaut, von der «Sputnik1» 1957 und Juri Gagarin 1961 gestartet waren. Als Erstes musste ein 149 mal 123 Meter messender Abgaskanal in den Felsen gesprengt werden, über dem in 30 Metern Höhe der Starttischmit einem Loch thront, in das die Rakete «eingehängt» wird.
Russland verspricht sich von Kourou eine Stärkung seiner Stellung als Weltmarktführer bei kommerziellen Satellitenstarts. Mehr noch: Es will Monopolist bei Nutzlasten von drei Tonnen in dengeostationären Orbit werden. Die Europäer ihrerseits festigen ihre Position auf dem hart umkämpften Markt dadurch, dass der russische Träger eine schmerzliche Angebotslückezwischen der schweren «Ariane»- und der leichten «VEGA»-Rakete schließt, was wiederum den Kundenkreis erheblich erweitert.
(ddp)