Ein halbes Dorf geht in den Westen

München (ddp-lth). Mit Spielfilmen, Dokumentationenund Shows widmen sich in diesem Jahr nahezu alle Sender dem Thema «20 Jahre Mauerfall». Sat.1 fügt ihnen nun noch einen weiteren Film hinzu: «Böseckendorf – die Nacht, inder ein Dorf verschwand» am Dienstag (22. September, 20.15 Uhr). Dabei handelt es sich um die filmische Umsetzung einer DDR-Flüchtlingsgeschichte – nach einer wahren Begebenheit aus demJahr 1961. Damals flohen 53 Menschen aus dem thüringischen Böseckendorf in den Westen. Aus einem Dorf, das einer Landzunge ähnlich in die BRD hineinragte und von drei Seiten von derinnerdeutschen Grenze umgeben war.

Ein Dorf, das es – so ein Kommentar aus dem Off zu Beginn des Films – «bislang verstanden hat, sich jeder Doktrin erfolgreich zu widersetzen»: Seine Bewohner wollen weder an denFeierlichkeiten zu «12 Jahren DDR» am 7. Oktober 1961 teilnehmen noch an den geplanten Kollektivierungsmaßnahmen – und die FDJ-Hemden hängen die Bauern lieber denVogelscheuchen auf ihren Feldern um, als sie ihren Kindern anzuziehen. Als renitent gelten sie bei der SED-Bezirksleitung in Erfurt, zumal sich offenbar auch noch einer von ihnen – der ominöse«Schleuser» – als Fluchthelfer betätigt.

Um diese latente Bedrohung aus dem Weg zu räumen, wird nach dem Mauerbau, als die Sicherungsmaßnahmen der Grenzanlagen auch um Böseckendorf herum noch einmal verschärft werden,beschlossen: Ein Teil der Bewohner soll zwangsumgesiedelt werden. Die Dörfler erfahren aber von dem Plan und bereiten unter der Ägide ihres Bürgermeisters Manni Lantz (ThureRiefenstein) und dessen Frau Tonia (Anna Loos), die sich dem TV-Publikum schnell als «Schleuser» zu erkennen gibt, ihre Flucht vor.

Dass die Ausrichtung des Films, wie Produzent Michael Souvignier (»Das Wunder von Lengede«, »Contergan«) sagt, nicht von Beginn an eindeutig war, ist dem Endprodukt ein weniganzumerken. Souvignier beschreibt es als «sehr dramatischen Eventfilm», der «mit leichter Hand erzählt ist» und ihn «fast an britische Komödien»erinnere.

Tatsächlich soll bereits der Einstieg, in dem die Böseckendorfer durch den Off-Kommentar mit den Bewohnern des kleinen, gallischen Dorfes aus den «Asterix»-Geschichtenverglichen werden, diese gewisse Leichtigkeit vermitteln. Dramatik und Spannung verspürt der Zuschauer indes erst recht spät, gleichwohl sich Jörg Rausch beim Schreiben der Filmmusikganz offensichtlich bemüht hat, dem «Sat.1 TV Event» mehr als nur einen Anstrich großer, internationaler Produktionen zu geben: Bedrohliches Gepolter, wenn dieSED-Funktionäre um Jutta Marx (Rebecca Immanuel) die Szenerie betreten, herzzerreißendes Violinenspiel, wenn es um Gefühle geht, um Abschiede oder Liebesszenen des ungleichen PaaresManni und Tonia.

Tatsächlich gelingt es den Filmemachern um Regisseur Oliver Dommenget dank einiger unerwarteter Wendungen gegen Ende doch noch, Spannung zu erzeugen – auch wenn der Ausgang des Films klar seinsollte. Dass in dieser Phase die zuvor eher durch ihre Gefühlskälte aufgefallene Genossin Marx die Gelegenheit bekommt, etwas Menschlichkeit zu zeigen, wirkt hingegen eherunglaubwürdig.

Was mit den 14 Böseckendorfer Familien nach ihrer Flucht geschah und wie sich die Situation in dem Dorf entwickelte, schildert im Anschluss an den Film die Dokumentation von Falko Korth undThomas Riedel »Grenzfall Böseckendorf – Flucht in letzter Sekunde« (22.15 Uhr). Darin kommen unter anderem einige Flüchtlinge von damals sowie ein ehemaliger Grenzsoldat zuWort.

(ddp)

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