Deutscher Feuerbefehl für NATO-Luftangriff

Kundus/Berlin (ddp). Erstmals hat ein deutscher Offiziereinen Luftangriff der NATO-Truppen in Afghanistan befohlen, bei dem am Freitag Dutzende Personen getötet wurden. Das bestätigte das Verteidigungsministerium in Berlin und wies zugleichafghanische Berichte zurück, wonach dabei unbeteiligte Zivilisten ums Leben kamen. «Nach bisherigen Erkenntnissen sind Unbeteiligte nicht zu Schaden gekommen», sagte einMinisteriumssprecher. Nach seinen Angaben wurden bei dem nächtlichen Luftschlag bei Kundus über 50 «feindliche Kämpfer» getötet.

Den Angaben zufolge hatten in der Nacht zum Freitag Aufständische an einem vorgetäuschten Checkpoint sieben Kilometer südwestlich des Regionalen Wiederaufbauteams (PRT) Kundus gegen1.50 Uhr Ortszeit zwei beladene Tanklastzüge einer Zivilfirma gekapert. Bei der Fahrt in den Unruhedistrikt Chahar Darah waren die Laster bei der Überquerung des Flusses Kundus auf einerSandbank liegengeblieben. Daraufhin wurden sie durch einen Luftangriff zerstört.

«Das ist eine andere Qualität des Einsatzes, als wir sie in der Vergangenheit hatten, insbesondere weil der Gegner taktisch geordnet und in der Kampfweise klug vorgeht», sagte derVorsitzende des Deutschen Bundeswehrverbandes, Ulrich Kirsch. Zugleich sprach er sich angesichts der unterschiedlichen Darstellungen über zivile Opfer dafür aus, den Vorfall gründlichzu untersuchen.

Ein Sprecher von Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) bestätigte, dass der Feuerbefehl vom örtlichen deutschen ISAF-Kommandeur kam. Dieser habe die Luftunterstützungangefordert und den Feuerbefehl erteilt, sagte der Ministeriumssprecher. Er sei sicher, dass der Bundeswehroffizier sich an die Einsatzregeln gehalten habe. Dieser habe den Angriff angeordnet,«weil keine unbeteiligten Zivilpersonen hätten zu Schaden kommen können».

Örtliche Berichte in Afghanistan gingen indes von Dutzenden toten Zivilisten aus. Nach Angaben des Geschäftsführers des Netzwerks Friedenskooperative, Manfred Stenner, könnten derBombardierung mehr als 50 Taliban-Kämpfer sowie etwa 40 Zivilisten zum Opfer gefallen sein. «Sollten sich die bisher spärlichen Informationen über die Kämpfe nach derEntführung der Tanklastzüge in der Nähe von Kundus bestätigen, hat die Bundeswehr ein Massaker zu verantworten», sagte er.

Heftige Kritik kam von der Linken. Jedes zivile Opfer der Kriegsführung der NATO und der Bundeswehr in Afghanistan führe zu einem weiteren Erstarken der Taliban, warnte LinksparteichefOskar Lafontaine. «Die Inkaufnahme ziviler Opfer bei dem von der Bundeswehr in der vergangenen Nacht angeforderten NATO-Luftschlag hat noch einmal vor Augen geführt, dass der Kriegseinsatzder Bundeswehr und der NATO völkerrechtswidrig ist.» Daher müssten die deutschen Soldaten abgezogen werden.

Die Verteidigungsexpertin der Liberalen, Birgit Homburger, wies die Rückzugsforderung zurück. «Lafontaine ist jeder Vorgang recht, um seine alten Forderungen wieder auf den Tisch zubringen. Er schreckt dabei auch vor keiner Vorverurteilung der Bundeswehr zurück.» Zuggleich warnte Homburger vor Spekulationen angesichts einer noch immer völlig unklaren Lage.

Der Grünen-Wehrexperte Winfried Nachtwei wies darauf hin, dass Tanklaster offenbar inzwischen zu den bevorzugten Zielen von Taliban-Attacken gehören. Ende August hatten dieradikal-islamischen Taliban in Südafghanistan einen Tanklaster entführt und als rollende Bombe in das Stadtzentrum gesteuert. Mehr als 45 Menschen starben bei der Detonation. Jedochplädierte Nachtwei für eine bessere Information durch das Ministerium.

Zuvor hatte ein Ministeriumssprecher zwar grundsätzlich den Vorfall bestätigt, aber für Details auf laufende Untersuchungen der NATO verwiesen. Zu Meldungen, dass bei dem Luftschlagein ranghoher Taliban-Führer getötet worden ist, sagte der Sprecher, das sei «nichts, was sich mit unseren Erkenntnissen in Deckung bringen lässt».

(ddp)

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