Von Orient und Okzident: Anno 1404

Anno bleibt Anno. Daraus soll kein Geheimnis gemacht werden, denn es ist naheliegend, dassRelated Designs mit dem vierten Teil der Erfolgsserie nicht plötzlich alles Bekannte über Bord wirft, um in neue Gewässer zu segeln. Aber frischer Wind ist dennoch einigervorhanden.

Über zehn Jahre nach Anno 1602 geht die Wirtschaftssimulation nun in seine vierte Runde und trägt den Spieler dabei auf wunderschön animierten Wellen in das Jahr 1404. In einerStorykampagne um einen kranken Kaiser, für den in einem neuen Dom um Gottes Hilfe gebetet werden soll, und einen Kreuzzug unter dem düsteren Kardinal Lucius gegen die heidnischen Sarazenenbringt das Spiel Anfängern und Serien-Kennern gleichermaßen bei, was ein erfolgreicher Wirtschafter wissen muss. Die Kampagne ist für Letztere zwar auch auf höheremSchwierigkeitsgrad vermutlich erst später wirklich fordernd, aber dennoch ein angenehmer Tutorialersatz, der unterhaltsam in die neuen Technologien und Kniffe von Anno 1404 einführt. DasEndlosspiel bietet dafür gefühlt endlose Möglichkeiten, den Schwierigkeitsgrad perfekt auf das eigene Bedürfnis einzustellen und wird damit für die erfahrenen Anno-Fans dieHauptspielwiese, von der man sich aber zwischendurch mit einem von sechs Szenarien mit besonderen Siegbedingungen erholen kann.

Der Charme des Anno-Universums bleibt dabei ungebrochen und ein schlimmerer Suchtfaktor denn je. Denn schon in den ersten Teilen hat es für Begeisterung gesorgt, einfach nur zu beobachten, wiedie sorgfältig geplanten Wirtschaftssysteme und Handelsrouten ineinander greifen und den Bürgern zu Wohlstand verhelfen. Mit zahlreichen Neuerungen optimiert Anno 1404 dieses Gefühlnun aber noch weiter und bügelt kleine Mäkel der vergangenen Spiele aus.

Mehr Güter, mehr Komplexität und trotzdem ein einfacher Einstieg

Das auch für Einsteiger gut zu durchblickende Bedürfnissystem sorgt mit einigen Über- und weit mehr Unterkategorien für Übersicht und Komplexität gleichermaßen.Neulinge werden nicht direkt von Tabellen und Statistiken überrannt und Fortgeschrittene können sich schnell auf die nun wieder sehr viel anspruchsvolleren Produktionsketten stürzen.Dabei spielt natürlich auch die neue Kultur, der Orient, eine entscheidende Rolle. Denn schon der gemeine Bürger verlangt nach Gewürzen, die es aber im Okzident so nicht gibt. Alsomuss entweder gehandelt oder selbst Hand angelegt werden, was bedeutet, dass man zwei Kulturen gleichzeitig steuern, zwei Bedürfniskreise gleichzeitig am rotieren halten und zwischen den eigenenInseln noch stärker ausgeprägte Handelsrouten anlegen und verwalten muss. Über 60 vielseitige Güter lassen sich schließlich nicht mal eben so auf wenigen Hektar monotonemBoden anbauen und produzieren.

Aber nicht in allen Teilen funktioniert der Orient genauso wie der Okzident, denn in dieses neue Reich kann man nicht einfach einmarschieren. Mit gutem Ruf muss man sich Vertrauen hart verdienen, umdadurch schließlich langsam und mühsam die nötigen Technologien für ein Wirtschaftssystem in der Wüste zu erhalten. Vielseitigkeit und Umdenken sind also noch stärkerStichwort als je zuvor in der Anno-Serie, nicht zuletzt, da mit späterem Spiel neue Produktionslinien auch mit bereits bestehenden in Konflikt treten können und der Spieler seine bis dahinperfekte Struktur leider neu überdenken muss. Das klingt fies, ist aber nur realistisch und sorgt für eine ordentliche Langzeitmotivation – denn wer will denn bitte nicht die perfekteMetropole aufbauen.

Eine andere Erschwerung, die für verstärktes Planen sorgt, ist die Anpassung der Programmierer, dass nicht mehr alle Bürger komplett die Treppe nach oben steigen können. Auch hierwar Realismus das Ziel, denn eine Stadt, die nur aus Adligen besteht, war und ist doch eher die Seltenheit. Für alte Hasen wird es dadurch spannender denn je und Neulinge bekommen trotzkomplexerer Phasen ab Mitte des Spiels sehr gute Einstiegsmöglichkeiten.

Simple Militärsteuerung in Top-Grafik

Genauso wie die Wirtschaft wurde auch das Militär überarbeitet. Schlachten funktionieren nun ganz einfach, indem man Heereslager bewegt und einfach Gruppenbefehle vergibt. KompliziertesRumgewusel ist damit Geschichte und lenkt nicht mehr vom eigentlichen Wirtschaftsfokus des Spiels ab. Und dieser ist extrem gut in Szene gesetzt. Wie schon erwähnt, macht es nicht nurSpaß, die Wirtschaft zum Florieren zu bringen, es ist auch großartig, ihr dabei auch einfach mal ein paar Minuten zuzusehen – oder Stunden. In der authentischen Atmosphäre von Anno1404 kann man als Liebhaber der Zeit problemlos aufgehen.

Denn nicht nur die Musik bleibt jederzeit passend und einnehmend, sondern vor allem die Grafik ist nochmal um einen weiten Sprung besser als in 1701. Im Vergleich zum neusten Teil wirkt jenes Spielschon fast Comic-haft. Aber nicht nur die überall hochgelobte Wasserengine von Anno 1404 ist es, die grafisch so vom Hocker reißt mit den perfekten Spieglungen von Sonne und Schiffen sowieden Killerwalen und Delphinen, sondern das Leben, das man überall im Spiel findet. Sei es der Wind in Segeln und Bäumen, der schlafende Dombauherr, den man für Lord Northburgh findensoll, der Trubel auf den Straßen oder das Turnier vom roten und schwarzen Ritter. Die höchste Zoom-Stufe ist ein detailreiches Geschenk, das den Spieler sein Werk erst wirklich bestaunenlässt. Einzig verwirrend daran ist, dass auf der Straße jederzeit Leben herrscht, aber selbst auf dem größten Schiff kein einziger Matrose, geschweige der Kapitän an Deckzu sehen ist.

Fazit, Jan Steinhauser:

Anno 1404 macht alles richtig. In einer wundervoll designten Welt fördert das Spiel den entspannten Handel und die (meist) friedlichen Lösungsansätze als grandioseWirtschaftssimulation. Es macht weit über die knapp 20 Stunden lange Kampagne hinaus Spaß, sich von Grafik und Musik in diese Welt ziehen zu lassen, so dass man nicht selten den immerwieder unterhaltsamen Hinweis „Alle Achtung, Sie spielen bereits zwei Stunden am Stück“, zu hören bekommt. Selbst bei groben Schnitzern bietet das Spiel häufig Möglichkeiten wieetwa Nebenmissionen an, die helfen, solche auszugleichen. Und als kleinen Bonus gibt es versteckte Achievements, die immer wieder für ein Lachen gut sind, wenn sie aus dem Nichts auftauchen.Frust bleibt aus und der Suchtfaktor greift rasant um sich. Kurz und knapp: Das neue Anno ist größer, schöner und noch besser als seine Vorgänger, was es zu einem der wirklichguten Spiele dieses Jahres macht. Absolute Kaufempfehlung für alle, die die Serie schon mögen, kennenlernen wollen und sonst alle, die gerne siedeln, aufbauen und planen – oder sich einfachgerne ein paar schön animierte Schiffe ansehen wollen.

Für ein wenig Kritik sorgt der Kopierschutz Tagès, der den Spieler Anno grundsätzlich erst einmal nur auf drei verschiedenen Rechnern installieren lässt. Da man die notwendigenRegistrierungen bei einer Deinstallation nicht rückgängig machen kann, muss man sich für die Installation auf einem vierten Rechner nämlich extra an Ubisoft wenden. Außerdemist es schade, dass bisher kein Multiplayer-Modus vorhanden ist. Begründung hierfür ist die Optimierung der Solo-Erfahrung, da Anno vor allem im Einzelspieler-Modus gespielt wird. Es wurdeallerdings bereits angedacht, dass der Mehrspielermodus in einem Addon eingebaut werden könnte.

Vielen Dank an Ubisoft für die freundliche Bereitstellung des Rezensionsexemplars!

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