Bionic Commando für Xbox 360 im Test

Offenbar befindet sich Capcom momentan im Recycling-Fieber: Nach dem Wii-Make Resident EvilArchives ging man noch weiter zurück und grub eine beliebte Franchise der Achtziger Jahre wieder aus: Bionic Commando.


Das neue Bionic Commando ist, trotz des gleichen Titels, kein Remake, sondern ein Sequel zur 1988 erschienenen NES-Version, in der ein cybernetischer Supersoldat gegen die Nazis kämpfte… -zumindest in Japan – im Westen wurden die Nazis durch ein „faschistisches Regime“ ersetzt. Bionic Commando gilt als Klassiker, der Jump’n’Run und Sidescroll-Shooter miteinander vereinte – doch kanndie Kombination eines 21 Jahre alten Gameplay-Konzepts mit der Technik des 21. Jahrhunderts tatsächlich funktionieren?

Undank ist der Welten Lohn

Die Handlung dreht sich um Nathan „RAD“ Spencer (der übrigens von Mike Patton, dem Lead Singer von Faith No More, gesprochen wird), einem von vielen cybernetisch verbesserten „Bionic Commandos“.Nach den Ereignissen des Vorgängers waren Spencer und seine Mitstreiter Helden – aber nicht lange. Mit der Zeit wuchs unter der Bevölkerung die Angst vor ihren übermenschlichenFähigkeiten, weshalb die Regierung ihre einst loyalen Kämpfer betrog und im Rahmen des „Great Bionic Purge“ einsperren und hinrichten ließ. Spencer sollte dieses Schicksal teilen undim Todestrakt seine Exekution erwarten, zuvor schlug jedoch eine Atombombe in der fiktiven US-Großstadt Ascension City ein. Die Mitarbeiter des Tactical Arms and Security Committee (kurzT.A.S.C.) fanden heraus, dass die als terroristische Vereinigung eingestufte Söldnerarmee BioReign, die von rebellischen Bionic Commandos geführt wird, für den Anschlag verantwortlichist und sich nun in den verstrahlten Ruinen von Ascension City verschanzt. Um Feuer mit Feuer zu bekämpfen, wird Spencer die Aussetzung seines Todesurteils angeboten, wenn er für die Leute,von denen er im Stich gelassen wurde, als Aufklärer fungiert. Spencer ist geneigt, abzulehnen, erfährt aber, dass seine vermisste Frau in die Sache verwickelt ist – widerwillig fügter sich und wird über den Luftweg nach Ascension City gebracht – zusammen mit einer verbesserten Version seines bionischen Arms…

„Packende“ Action …

Selbiger ist das entscheidende Spielelement, mit dem sich Bionic Commando von anderen Third Person-Shootern abhebt. Der bionische Arm ist vielseitig einsetzbar, unter anderem zur Fortbewegung. Umgefahrlos durch die zerstörte Stadt mit ihren Kratern und eingefallenen Häusern zu gelangen, schwingt man sich mit dem ausfahrbaren Arm in bester Spider-Man-Manier von Dach zu Dach oderbenutzt ihn, um an Fassaden entlangzulaufen und Geröll aus dem Weg zu räumen. Natürlich ist der Arm auch eine effektive Waffe: Man kann Gegner und Objekte packen und durch die Luftschleudern oder Nahkampf-Attacken mit den Techniken des Greifarms kombinieren. Beim Klettern muss man sich außerdem nicht vor dem Abstürzen fürchten – egal, aus welcher Höhe erfällt, Spencer bleibt unverletzt – gegenteilig ist der freie Fall ein vernichtender Angriff, da sich beim Aufprall eine Schockwelle entfesseln lässt, die mehreren Feinden auf dem Boden denGaraus macht. Zudem ist es möglich, mit dem Arm Relay-Stationen zu hacken, was für das Weiterkommen oftmals wichtig ist (um, beispielsweise, Minenfelder zu deaktivieren). Und: Aufgrundseiner cybernetischen Verbesserung ist Spencer weitgehend strahlungsresistent – allerdings nicht völlig, was im Spiel öfter zu einem Problem wird.

Auf den ersten Blick erweckt Bionic Commando den Eindruck, es gehöre zum Sandbox-Genre, dem ist aber ganz und gar nicht so. Die Stadt mag frei begehbar erscheinen, doch werden die meisten Arealedurch radioaktive Strahlung, die als blauer Nebel dargestellt wird, blockiert, in der Spencer nur wenige Sekunden überleben kann. Das Spiel ist folglich stark linear – mit dem Bildschirmtodstatt Wänden oder sonstigen Begrenzungen. Dies wirkt sich sogar auf den bionischen Arm aus: Man kann keine Oberflächen greifen, die verstrahlt sind – das „Warum“ wäre interessant,schließlich bestehen Häuserfronten trotz Verseuchung aus fester Materie…

… und stählerne Nerven

Beim Spielen fing ich sehr schnell an, die Schweden von Grin für ihre atomaren „Wegweiser“ zu verfluchen. Man merkt nämlich erst dann, ob es möglich ist, sich an einem Objektfestzuhalten, wenn man sich unmittelbar davor befindet (der Cursor wird blau) – macht man aber einen großen Sprung über eine Häuserschlucht und findet im letzten Augenblick heraus,dass der angepeilte Laternenpfahl in blauem Dunst liegt, ist es zu spät – Game Over. Leider ist der nukleare Nebel aus der Ferne häufig nicht erkennbar, weshalb manche Levelabschnitte innerviges „Trial and Error“ ausarten. Außerdem kann man sich auf seine Präsenz nicht immer verlassen: Manchmal erscheint auf dem Bildschirm das Atom-Icon, obwohl kein einziger blauer Fetzenauf dem Screen zu sehen ist, dem gegenüber gibt es Szenen, in denen man mitten in eine blaue Wolke springt und noch „Toll, das war’s“ denkt, einem aber nichts geschieht.


Das Bewegen durch die Stadt an sich stellt die Geduld des Spielers auf eine ähnlich harte Probe. Die Steuerung ist zwar in Ordnung und geht leicht von der Hand, allerdings scheinen die meistenOberflächen in Ascension City aus Eis zu sein, denn Spencer rutscht selbst dann von ihnen hinunter, wenn man den Analog-Stick gar nicht berührt. Beim Schwingen fällt die Zielmechaniknegativ auf: Von Zeit zu Zeit will sich der Cursor einfach nicht blau verfärben, was besonders lästig ist, wenn man von einer inaktiven Miene zur anderen über ein geflutetes Gebietschwingt. Verpasst man eine Miene, weil es, laut Cursor, nicht möglich ist, sich daran festzuhalten, ist man verloren, da Spencer dank seines stählernen Arms nicht schwimmen kann und wieein Stein versinkt. Dies ist vor allem aufgrund der kuriosen Checkpoint-Verteilung ein Problem: Große Durststrecken, in denen gut der halbe Level dazwischen zu liegen scheint, wechseln sich mitSpeicherpunkten im 2-Minuten-Takt ab. Auf höheren Schwierigkeitsgraden ist Frust somit vorprogrammiert.

Aber ich täte Bionic Commando Unrecht, würde ich nur auf seinen Makeln herumreiten. Kommt das Gameplay erst in Fahrt, macht es Spaß – viel Spaß!

Geronimooo!

Wenn beim Herumschwingen und -klettern der Cursor gerade nicht zickt, kommt tatsächlich ein Gefühl von Freiheit und Geschwindigkeit auf, was in einem grundsätzlich linearen Spieläußerst erfrischend ist. Zudem sind Spencers halsbrecherischen Sprünge von hohen Klippen und gigantischen Wolkenkratzern ein echtes Highlight und erinnern stark an dieTodessprünge von Assassin’s Creed. Am Unterhaltsamsten jedoch gestaltet sich der Kampf.

Natürlich kann man Bionic Commando wie jeden anderen Third Person-Shooter spielen und mit einer Hand voll Waffen die BioReign-Söldner über den Haufen schießen – aber wer will dasschon? Stattdessen ist Kreativität gefragt, um sich ihrer effizient zu entledigen. Man kann Objekte und andere Gegner (oder deren Leichen) auf sie werfen, sie bis zum Horizont schleudern, sie imNahkampf bearbeiten oder sich an ihnen abstoßen und im Sprung feuern bzw. Granaten werfen – es gibt genug Variationen aus dem Einsatz von Feuerwaffen, des bionischen Arms und der Umgebung,sodass die Konfrontation mit dem Feind nie langweilig wird.


Technisch gestaltet sich Bionic Commando sehr durchschnittlich. Wie bei allen Titeln, die in letzter Zeit aus dem Hause Grin kamen, leidet es unter Tearing, allerdings weniger stark als seineGefährten. Die Grafik ist zwiespältig – hübsche Lichteffekte überschneiden sich mit detailarmen Textren, hohe und ruckelfreie Weitsicht mit klobigen Charakter-Models. DerSoundtrack ist hingegen durchaus gelungen, passt meist zum Ambiente und ist weniger aufdringlich als in anderen Grin-Spielen. Störend wirken allerdings die häufigen und langen Ladezeiten.Zumindest läuft Bionic Commando stabil, trotzdem verliert jeder irgendwann die Geduld, wenn er pro Bildschirm-Tod und Levelbeginn an die 30 Sekunden warten muss, bis es weiter geht.

Neben der umfangreichen Singleplayer-Kampagne ist auch ein Multiplayer-Modus enthalten, der sich jedoch eher konservativ präsentiert: Hier wird mehr schossen als geschwungen, dabei wird leiderkein so ausgereiftes Shooter-Gameplay wie bei der Konkurrenz geboten. Zwar macht die Kombi aus Deathmatch und Capture the Flag durchaus Spaß, geht aber aufgrund ihres Mangels an Höhepunktenschlicht in der Masse besserer Multiplayer-Titel unter.

Fazit, Lars Haise:

Bionic Commando ist bedenkenlos für all jene empfehlenswert, die etwas abseits des üblichen Shooter-Einheitsbreis suchen. Der neue Teil bleibt dem Prinzip seiner zweidimensionalenVorgänger treu und ist der glänzende Beweis dafür, dass Spielspaß kein Ablaufdatum kennt und sich Capcoms Erfolgsrezept zwei Dekaden später immer noch bewährt. Leiderhalten technische Defizite und konzeptionelle Schwächen Bionic Commando davon ab, ein wahrer Hit zu sein. Ich glaube allerdings, dass wenn selbige in einer möglichen Fortsetzungausgebügelt würden, die klassische Shoot’em Up-Saga wieder als feste Größe im Action-Genre etabliert werden könnte. Dieser erste Versuch macht jedenfalls Lust auf mehr.

Vielen Dank an Capcom für die freundliche Bereitstellung des Rezensionsexemplars!

Bilder:
© Capcom

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