72.000 Unterschriften hat die vermutlich erfolgreichste Petition der Bundesrepublik in nursieben Tagen gesammelt. Damit wurde mehr als fünf Wochen vor Fristende nicht nur die wichtige 50.000er Hürde genommen, sondern diese sogar überschritten. Eine wichtige Botschaft, diees zu verbreiten gilt.
Stand ist Montagabend, 20 Uhr. Am vergangenen Montag wurde nach positiver Prüfung die Petition von Franziska Heine online gestellt. Aber mit ihrer Forderung, dass „der Deutsche Bundestag die Änderung des Telemediengesetzes nach demGesetzentwurf des Bundeskabinetts vom 22.4.09 ablehnen“ möge, ist sie alles andere als allein.
Bereits nach wenigen Stunden haben sich die von uns
am Montag erwähnten ersten 7.000 User gefunden, die ebenfalls
„das geplante Vorgehen, Internetseiten vom BKA indizieren & von den Providern sperren zu lassen, für undurchsichtig & unkontrollierbar“ halten,
„da die ‚Sperrlisten‘ weder einsehbar sind noch genau festgelegt ist, nach welchen Kriterien Webseiten auf die Liste gesetzt werden.“
Petition hält Einzug in die Medien
Aber nicht nur Internetaffine „sehen darin eine Gefährdung des Grundrechtes auf Informationsfreiheit.“ Besonders kurz vor Wochenende, als sich die Petiton der für das Quorum wichtigen Stichzahl von 50.000 Unterschriften näherte, diese erreichte und überschritt, wuchs auch außerhalb des Internets die Berichtfreudigkeit.
Zum Quorum sei kurz erklärt, dass es sich dabei um die Beratung des Petitionsausschusses über Petitionen handelt, die binnen drei Wochen 50.000 Unterschriften sammeln können. Bedeutsam ist dabei auch, dass der Petent selbst zu dieser Beratung eingeladen wird und Rederecht erhält. Da diese Petition die Stimmen bekommen hat, verschwindet sie also im Gegenteil zum Antrags-Gros nicht in den Unendlichkeiten des deutschen Verwaltungsapparates.
Gemischte Meinung im Bundestag
Während die Petition angelaufen ist, ging gleichzeitig der
Gesetzesentwurf in die erste Lesung und wurde dort von sechs der zehn sprechenden Stimmen, die allesamt für SPD oder CDU/CSU auftraten, für tendenziell gut befunden, während die beiden aufgetretenen FDPler und jeweils ein Politiker der Linken und der Grünen sich absolut gegen den Entwurf in seiner derzeitigen Form ausgesprochen haben.
Dabei ist natürlich, wie immer in dieser Debatte, zu betonen, dass keine der kritischen Stimmen im Entferntesten Kinderpornografie verteidigen wollte, sondern dass alle vier, genau wie das Meer von Kritikern sonst, die nutzlosen Methoden, den beschränkten Effekt und die kritisch verteilten Kompetenzen bemängelten.
Summe aller zehn war, dass Kinderpornografie eines der schrecklichsten Verbrechen sei und man die Vertreiber am besten vom Netz nehmen sollte, während aber die sechs Für-Stimmen die Kritikpunkte beispielsweise als Verschwörungstheorie abtaten oder auf Formulierungen im Entwurf klopften, blendeten sie förmlich aus, was eigentlich von den Bürgern bemängelt wurde.
„Einfach mal in den Gesetzesentwurf gucken“
Die
CDU-Politikerin Michaela Noll antwortete auf die kürzlich gemachte Aussage von Grünen-Politiker Volker Beck, die Kampagne sei an Populismus kaum zu überbieten und methodisch wirkungslos, mit Phrasen, deren Inhalt kaum zu erahnen war. Viel wichtiger aber war ihre Betonung dessen, dass im Entwurf explizit stünde, eine Ausweitung auf weitere Inhalte sei nicht geplant. Überzogen
„riet sie den Bedenkensträgern, einfach mal in den Gesetzesentwurf zu kucken.“
Der Punkt, der dahingehend aber die „Bedenkensträger“ besonders aktiv aufmerksam gemacht hat, ist nicht einmal die mögliche Willkür des BKA, da dieses nach Entwurf alleiniges Kontrollgremium wäre, sondern vielmehr der Ruf diverser Politiker, noch bevor das Gesetz verabschiedet wurde, es auf andere „gefährliche Inhalte“ auszuweiten. SPD-Mann Jürgen Büssow hatte so beispielsweise die Idee, Glücksspiele zu verbieten.
Aber nicht nur, dass Frau Noll eine Nullrede geschwungen hat, versuchte sie dann auch noch ihren Argumenten besonders Gewicht zu verleihen, indem sie sich als Familienpolitikerin darstellte und sich darauf berief, dass es „im Tatort Internet die Kinder seien, die oftmals von den Eltern und nahen Verwandten gequält würden“.
Das große Geld – oder doch nicht?
Es ist aber bekannt, dass – entgegen mancher Familienministerin-Meinung –
kein großes Geld mit diesen Filmen gemacht und sie nicht für das Internet produziert werden. Zwei Aussagen also, die ohne Zusammenhang sind, werden verzweifelt in einen solchen gesetzt. Und der Schluss, dass man durch Abschottung die Umsätze senken, die Industrie zurücktreiben und final Kinder schützen könnte, wird durch mangelnde Existenz von Umsätzen und Industrie leider auch nichtig.
Aber das Beispiel der CDU-Politikerin ist damit noch nicht ausgereizt. Denn wie auch ihr Kollege
Ingo Wellenreuter brachte sie mit besonderer Emotionalität das Thema auf den Tisch, dass in anderen europäischen Ländern doch auch diese Methoden angewandt und vor allem akzeptiert würden. Dass sie auch dort nicht funktionieren, blendete sie jedoch hervorragend aus.
Nahezu die gesamte Pro-Gemeinschaft aus CDU/CSU und SPD warf den deutschen Bürgern vor, nicht so wie unter anderem die Schweden einfach in einen Zensurapparat zu rennen. Es wurde hinterfragt, warum man sich denn beschwere, wenn verlangt würde mit offenen Augen ins Messer zu rennen – denn die anderen täten es ja auch.
Michaela Noll wird vermutlich noch am gleichen Tag einem ihrer Kinder auf „aber die anderen dürfen auch…“ mit „wenn die anderen vom Berg springen, springst du dann auch“ geantwortet haben. Und die Ironie ist ihr vermutlich nicht einmal aufgefallen.
Gemeinsam klein macht groß
Aber sie ist, wie schon erwähnt, nur ein Beispiel für ähnlich stagnierende Argumentation. Halb am Thema vorbei, antworten die Pro-Sprecher mit Seitenhieben gegen ihre Kritiker – politisch und bürgerlich gleichermaßen – aber überzeugen konnten sie nicht im Entferntesten.
Andererseits betonten die Gegenstimmen geschlossen alles, was auch Datenschützer, Internetexperten und Petitionsunterzeichner allesamt kritisieren. Der Bürger hat also sehr wohl Stimmen im Bundestag, die ihn vertreten.
Aber selber kann jeder kleine Mann auch etwas tun: denn wie sich jetzt schon zeigte, hat die Petition dem Thema auch neue Medienpräsenz gebracht – und das nur, weil 60.000 unterschrieben haben, die sich alle vielleicht gedacht hatten, dass ihre einzelne Unterschrift nichts bewirken könne.
Die Petition wird vorgelegt, das ist gut. Doch nun gilt es, noch mehr der 82 Millionen Einwohner Deutschlands zu mobilisieren, um ihr noch mehr Gewicht zu verleihen. Jede Unterschrift sorgt dafür, dass das Anliegen ein wenig ernster genommen wird.
Der erste Schritt ist also, selber sein Zeichen zu setzen. Doch wer weiter helfen möchte, den unterstützen dabei Kampagnen wie
stopp-seite.de und Blogs wie
netzpolitik.org. Es ist möglich, einfach bei Freunden direkt Werbung zu machen, aber noch viel effektiver ist es, sich
Flyer runterzuladen und diese an Schule oder Uni aufzuhängen. So werden größere Zielgruppen erreicht und mobilisiert.
Mit Aufklärung gegen Engstirnigkeit
Desweiteren werden knappe
Informationstexte angeboten, die die
gesamte Thematik gut aufsummieren und auch uninformierte Zweifler von ihrem „aber Kinderpornos sind doch böse“-Gedanken wegbekommen sollten. Denn dieses Argument ist der immer wiederkehrende Killer, der viele brave Bürger davon abhält, nur einmal um die Ecke zu denken und den Gesetzesentwurf zu hinterfragen. Denn wer zweifelt, macht sich verdächtig und ist potentieller Kinderpornofan, der in der Nachtbarschaft nicht mehr zum Kaffee Trinken eingeladen wird.
Und auch hier setzen Politiker an und benutzen den Gedanken entweder gezielt als Waffe oder nur, um ihre eigene Engstirnigkeit auszudrücken. CSU-Politiker und Bundeswirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg sagte so zu diesem Thema: „Es macht mich schon sehr betroffen, wenn pauschal der Eindruck entstehen sollte, dass es Menschen gibt, die sich gegen die Sperrung von kinderpornographischen Inhalten sträuben. Das ist nun wirklich einer der wichtigsten Vorhaben in vielerlei Hinsicht.“
Auch hier wird wieder kritisiert, dass Bürger nicht mit einem Gesetzesentwurf konform gehen, der etwas Negatives mehr oder weniger bekämpfen soll und sofort werden die Kerngedanken und Aussagen der Petition über den Haufen geworfen. Die Politik bestätigt damit nur wieder vor laufender Kamera, was seit Wochen kritisiert wird: Die mangelnde Bestrebung, das Volk zu vertreten und gleichzeitig auch noch den Drang, Fakten zu verdrängen.
Stopp? Nein!
Über die Flyer und Informationstexte, die derartigen Aussagen entgegenwirken sollen, hinaus, bietet Stopp-Seite.de zudem eine Internet-Demonstration an, bei der die BKA-Zensur mit eigenen anders programmierten Stopp-Schildern simuliert werden und dadurch wieder mehr Menschen auf das potentielle Schreckenszenario aufmerksam gemacht werden können. Die Seite wird einfach vor die eigene Homepage gebaut und die (bisher nur) Fake-Zensur kann beginnen.
Abwegig ist der Gedanke von unschuldigen Zensuropfern nämlich ganz und gar nicht – von der Angst vor gezielter Zensurausweitung mal ganz abgesehen. Wie eine
schwedische Zensur-Liste zeigt, sind in dem ach so erfolgreichen System nämlich weniger als 1 Prozent tatsächlich kinderpornografisch behaftet. Von 1047 Seiten genau 9. Aber alle waren oder sind gesperrt und ihr Aufruf hätte nach geplantem deutschen Gesetz sofort zum Verdachtsfall und zur Untersuchung geführt.
Das Gesetz ist zwar noch nicht in Kraft, aber auch noch nicht gekippt, folglich ist noch viel zu tun, um zu verhindern, dass man tatsächlich zwei Jahre bis zur Evaluationsphase warten muss, um das System wieder abzuschaffen. Packen wir’s an.
Quellen: epetitionen.bundestag.de | YouTube 1, 2, 3 | lawblog.de | stopp-seite.de | netzpolitik.org | edween.net/ | cwoehrl.de | tagesschau.de | maraz.kapsi.fi
Dieser Beitrag wurde vor am Samstag, 9. Mai 2009 um 03:29 Uhr veröffentlicht und unter Controller: News, Netzwelt und Hightech, Portal: #Musik gespeichert. Sie können Kommentare zu diesem Eintrag über den RSS-2.0-Feed verfolgen.
Sie können einen Kommentar hinterlassen oder einen Trackback von Ihrer Website hierher setzen.