Kommentar: Über den Amoklauf in Winnenden

Der Amoklauf in Winnenden war gar nicht allzu weit von meinem Wohnort entfernt. Rund 15Kilometer, also gut zehn bis 15 Minuten Autofahrt. Um irgendwie mein Mitgefühl auszudrücken, machte ich mich also mit einer Kerze auf den Weg dorthin. Ein Plakat zwischen den Kerzen bliebmir ganz besonders im Gedächtnis.

Regierungen aller Länder: Wacht auf! Die Zeit ist überreif für ein generelles Verbot aller Mord-Computerspiele weltweit!

Im Großen und Ganzen spielt die Aussage abermals auf ein Verbot von einschlägigen Videospielen ab, die so genannten Killerspiele. Auch, wenn ich wirklich Respekt vor den trauernden Menschenhabe: Kann man wirklich so naiv sein und aufgrund von Medienberichten solche Plakate aufhängen? Ist diesen Menschen – egal ob Angehörige oder dazugestoßene Menschen mit Halbwissen -eigentlich klar, dass sie mit solchen Aussagen alle Jugendlichen und Erwachsenen in eine Schublade schieben, die diese Videospiele spielen? Glaubt man dem geschriebenen Text auf dem Plakat, somüsste also auch ich als bekennender Spieler von Counter-Strike, Call of Duty 4 und Konsorten ein maßgeschneideter Amokläufer sein, der sein Szenario an PC und Konsoleregelmäßig trainiert. Um die Beantwortung der Frage, ob das auf mich zutrifft, vorweg zu nehmen: Natürlich ist das Unsinn.

Aber unsere Massenmedien machen es dem normalen Bürger nicht leicht. Da kann man noch nicht mal die öffentlich-rechtlichen Sender in Schutz nehmen, die eigentlich von uns Bürgerinnenund Bürgern finanziert werden. Denn die schießen mit denselben Argumenten los wie RTL, N24, n-tv und Bild: Ein Jugendlicher und ein zufällig gefundenes Videospiel sind gleich dasgefundene Fressen für eine neue wahnwitzige Diskussion über das Verbot von Videospielen mit Gewaltinhalt. Klasse! Dabei würde der Jugendschutz doch ganz gut funktionieren, wenn es anseiner Umsetzung nicht hapern würde.

Kontrolle durch jugendliche Testkäufer?

Ursula von der Leyen (Bundesfamilienministerin, CDU) hat hier schon richtig angestoßen als sie gesagt hat, man müsse die Einzelhändler insoweit überprüfen, indem manjugendliche Testkäufer im Alter von 14 bis 15 Jahren in die Läden schickt. Auf einem anderen Weg sei doch eine Kontrolle überhaupt nicht möglich und solange ohneregelmäßige Überprüfung der Händler keine Abschreckung vorhanden sei, werde auch der Verkauf von gekennzeichneten Videospielen, die für das Alter eines Jugendlichennicht geeignet sind, weitergehen.

Mehr Verantwortung von Seiten der Eltern

Natürlich kann der Einsatz von jugendlichen Testkäufern kein Allheilmittel in der Frage sein, wie am besten verhindert werden kann, dass bestimmte Medien mit einer Altersfreigabe von 16oder 18 Jahren in die Hände von Kindern gelangen. Auf der anderen Seite liegt es nämlich auch in der Verantwortung der Eltern, sich darüber zu informieren, was ihre Schützlingeeigentlich auf PC und Konsole so spielen. Hier mehr in Richtung Medienkompetenz der Eltern zu investieren, wäre vermutlich auch keine falsche Maßnahme im Angesicht der Tatsache, dass vieleEltern gar nicht wissen, was für ihre Kinder überhaupt geeignet ist und was nicht.

Ursachenforschung

Aber fernab von der ganzen Killerspiel-Debatte, kann ich es nicht oft genug sagen, dass soziale Komponenten und allem voran auch gesellschaftliche und psychische Einflüsse sich neben der Wurzel,dem Elternhaus, negativ auf einen solchen Menschen auswirken können. Eben jene Dinge waren bei Tim K. erfüllt. Er hatte zwar einige Freunde, aber offensichtlich keinen großenFreundeskreis. In der Schule fand er nicht die nötige Anerkennung und auch bei der Bundeswehr stellte man bei der Musterung fest, dass er unter psychischen Problemen – insbesondere Depressionen- litt. Wegen eben jener Depressionen befand er sich im Jahr 2008 in stationärer Behandlung, die dann eigentlich ambulant in Winnenden fortgesetzt werden sollte. Leider trat Tim K. die ambulanteBehandlung nie an.

Wer aber mal ein bisschen über Google sucht, wird bemerken, dass Depressionen gar nicht so sehr zu unterschätzen sind:

Durch die ständige Niedergeschlagenheit, Genussunfähigkeit und Apathie isolieren sich depressive Menschen häufig von ihren Freunden und Bekannten. Auch in Partnerschaft und Familie und am Arbeitsplatz kommt es häufig zu Problemen. Depressiv Erkrankte können so ins soziale Abseits geraten, das seinerseits die Depression verstärkt.

Quelle: g-netz.de

Wenn man solche Dinge liest, fragt man sich wirklich, wo die Ursachen tatsächlich zu suchen und gleichzeitig zu finden sind. Waren es ausschließlich die Videospiele, mit denen sich Tim K.beschäftigt hat? Beschäftigte er sich vielleicht infolge der Erkrankung an Depressionen wesentlich intensiver damit als zuvor? Und: Wieso konnte das Elternhaus nicht gemeinsam mit Tim K.über dessen Veränderungen sprechen und gegen seine offensichtlichen Wesensänderungen ankämpfen?

Schlechte und teils einseitige Berichterstattung – gezielte Fehlinformation?

Dass Geld alleine nicht glücklich machen kann – Tim K. kommt aus einer wohlhabenden Familie – sollte allen klar sein. Man hat mit dem nötigen Kleingeld vielleicht weniger Sorgen im Alltag,Freundschaften und Beziehungen lassen sich allerdings alleine durch den Geldsegen nicht erkaufen. Diese Gleichung müsste auch ein x-beliebiger Redakteur aus einer großen Redaktionhinbekommen, ganz gleich ob BILD, RTL, N24, ARD oder ZDF. Oder ist es vielleicht weniger spektakulär, über die wahren Abgründe in dem Leben eines Individuums zu berichten, als zumhundertsten Mal die Leier mit den Killerspielen herunterzuspielen?

In den großen Medien sind prägnante Schlagworte wichtig. Killerspiele, Counter-Strike, ein Jugendlicher – schon haben wir den passenden Mix für eine wahnwitzige Diskussion mitzweifelhaften Wissenschaftlern und selbst ernannten Videospiel-Experten wie Christian Pfeiffer bei der ARD in „hart aberfair“.

Dass das Leben nicht nur aus der mathematischen Gleichung eins plus eins (Jugendlicher plus Killerspiel ist gleich Amokläufer) besteht, fällt meistens unter den Tisch. Die Kausalitätdes Lebens ist schließlich viel zu kompliziert – wie macht man dem normalen Bürger also klar, dass eins plus eins plus eins plus eins die eigentlichen Problemherde entschlüsselt? Ambesten gar nicht oder nur beiläufig, denn zu sehr ins Detail zu gehen, ist wohl zu kompliziert. Außerdem ist es wesentlich simpler – auch für die Politik – nur eine Sau durch’s Dorf zujagen als eine ganze Herde.

Neue Gesetze, obwohl alte nicht wirken?

Mein persönlicher Aufruf an die Politiker ist daher ein anderer als auf dem Plakat vor der Albertville Schule: Verschärft nicht das Jugendschutzgesetz, sondern beseitigt die Ursachen an derWurzel. Es kann nicht sein, dass dem Elternhaus und der Schule solche persönlichen Defizite entgehen. Verkleinert die Klassen, damit die Lehrer sich besser und vor allem individuell mit ihrenSchülern beschäftigen können. Nur so können angeschlagene Schüler eher aufgefangen werden und zwar bevor es zu einem Gewaltausbruch in diesem Ausmaß kommt. Videospielehaben damit nichts oder im Entferntesten nur geringfügig zu tun und fernab davon: Welcher Zocker lässt sich schon gerne als Amokläufer ansehen? Im Zusammenhang mit dieser Diskussionmüssen wir nämlich gewaltig aufpassen, dass hier nicht eine klassische Hexenjagd auf Menschen gemacht wird, die eben nicht in das Muster eines typischen Amokläufers passen.

In diesem Sinne: Macht was! Und zwar zur Abwechslung das Richtige.

Bild:
© mephys / pixelio.de

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