Wikileaks – verschiedene Wahrheiten

Die Wikileaks Adresse wird gesperrt, Amazon verbannt die Whistleblower-Plattform von ihren Servern und Paypal sperrt das Spendenkonto. Die FDP beruft den Büroleiter und Informanten für die US-Regierung ab. Warum Wikileaks weiterleben wird und Julian Assange die Welt verändert.

Am ersten Dezember twitterte Wikileaks „WikiLeaks servers at Amazon ousted“ (Wikileaks-Server bei Amazon verbannt). Amazon dementierte, dass die Löschung aufgrund politischen Drucks vollzogen wurde, vielmehr wurden die Geschäftsbedingungen von Wikileaks nicht eingehalten, da es sich um Dokumente handele, deren Rechte die Plattform nicht besäße. Der amerikanische Senator Joe Lieberman rief kurz zuvor Länder und Unternehmen zum Boykott auf. Am dritten Dezember beugte sich der Internet-Dienstleister Everydns.net dem Druck der zahlreichen Hackerangriffe auf ihr System und leiteten fortan wikileaks.org nicht mehr auf die Wikileaks-Seite um. Später wurden Adressen bekannt, unter denen Wikileaks weiterhin erreichbar bleibt. Dazu zählen unter anderem die von der Piratenpartei Schweiz gehostete Domain wikileaks.ch. An Dezembertag vier dann die nächste Meldung: Paypal, eine Tochtergesellschaft des US-Unternehmens eBay, sperrt das Spendenkonto zur Unterstützung der Seite. Gründer Julian Assange wird nebenher noch von Interpol mithilfe eines internationalen Haftbefehls gesucht.

Julian Assange

Um zu verstehen, warum die letzten Tage so gelaufen sind, wie sie es taten, muss man zunächst einmal Julian Assange näher betrachten, den Kopf des ganzen Projekts. Als Kind musste Assange viel umziehen, die Eltern trennten sich früh, zwischenzeitlich musste er zu Hause unterrichtet werden. An der University of Melbourne studierte Assange Physik. Seine ersten Hacking-Erfahrungen machte er 1987 unter dem Pseudonym „Mendax“. 1991 trennten sich er und seine Frau nach nur zwei Jahren Beziehung. Assange ist Vater von einem Sohn. Wissenschaftlich kann man Assanges Ansicht mit „Krypto-Anarchismus“ beschreiben. Dies bedeutet, er unterstellt Staat und Bürgern eine Informationsasymmetrie. Der Staat weiß zu viel über den Bürger, diese aber wissen zu wenig von Staatsinformationen. Assange meint, dass nur ein offener Staat dem Bürger Kontrollmöglichkeit gibt, er beschreibt Leaking, also das Durchsickern von Information, als „anarchistische Tat„. 2005 hatte der Australier die Vision eines Projektes, das alle Wahrheiten offen legen würde und für volle Transparenz des Staates sorgen würde. Ein Jahr später gibt es Wikileaks und Assange ist eines der wenigen bekannten Gesichter hinter diesem Projekt.

Wikileaks

Die mehr oder weniger bedeutsamen Veröffentlichungen von Wikileaks führten Anfangs zu wenig Ansehen und Anerkennung in den Medien. In Island musste die Kaupthing-Bank wegen Veröffentlichungen geheimer Dokumente durch Wikileaks schließen, 2008 erschütterten Berichte über Scientology, so richtig bekannt wollte das Projekt aber nicht werden. 2009 folgte unter anderem ein Feldjäger-Report zu der umstrittenen Bombardierung zweier Tanklaster in Afghanistan, dem Luftangriff bei Kunduz. Ein Jahr später kam dann der Durchbruch für die Whistleblower-Plattform. Sie veröffentlichte ein Video eines Luftangriffes in Bagdad vom Juli 2007, wobei auch zwei Reuters-Journalisten getötet wurden. Mit diesem Video schaffte es Wikileaks in die etablierten Medien.

Der Vermittler des Videos, ein amerikanischer Soldat, hatte zwei weitere, riesige Informationspakete gesichert, die vom Irak- und Afghanistankrieg handeln. Wikileaks war angesichts dieser riesengroßen „Informationsbatzen“ aber überfordert und schaltete verschiedene Medienredaktionen ein, mit deren Hilfe man die Dokumente filterte, Geschichten fand und veröffentlichte. Die Afghanistan- und Irak-Protokolle sind die größten Veröffentlichungen militärischer Dokumente weltweit. Viele Bürger waren entsetzt, es gab nun viele Sympathisanten des Projekts und die hessische „Wau Holland Stiftung“, benannt nach einem Mitbegründer des Chaos Computer Clubs, konnte einen Spendenstand von über 700.000 Euro vermelden. Die wenigen Mitarbeiter allerdings verdienten noch immer nichts. Das Geld wurde für zahlreiche Gerichtsverhandlungen gebraucht, die aber allesamt bisher gewonnen wurden. Assange wurde nur in Australien wegen Datendiebstahls verurteilt. Die CIA will ihn wegen Spionage anklagen, Interpol sucht ihn aufgrund des Vorwurfs der Vergewaltigung; seit diesem Zeitpunkt bewegt sich Assange im Untergrund und hat keinen festen Wohnsitz mehr. Motto: „Catch me if you can“.

Cablegate

Die Geschichte schreibt den 28. November 2010, Wikileaks veröffentlicht rund eine Viertelmillion diplomatischer Insiderpapiere. Darin geht es beispielsweise um die Einschätzung der US-Regierung deutscher Regierungsmitglieder. Angela wird als methodisch, rational und pragmatisch beschrieben, erhält den Spitznamen Angela „Teflon“ Merkel, da manche Debatten an ihr einfach abzugleiten scheinen. Warum erschüttern diese Papiere so dermaßen die Politik? Guido Westerwelle (FDP) spielt die Veröffentlichung herunter, wohlwissend, dass nicht der Inhalt das Schlimme an diesem „Cablegate“ genannten Politik-Drama, ist. Wer sich beschwert, dass Auslandsdiplomaten Informationen über Politiker anderer Länder sammeln, dem sei gesagt, dass das ihr Job ist und in Deutschland nicht anders abläuft. Besorgnis muss man haben, wenn vertrauliche Gespräche mit Amerikanern nicht mehr vertraulich sind. Wenn der anderen Seite nicht mehr vertraut werden kann und es Informanten gibt, die Geheimnisse ausplaudern. Dann kann und darf man von einem Erfolg von Wikileaks sprechen. Sie zeigen die Fehler auf, sorgen für Transparenz und klären Bürger auf. Als Konsequenz der Ereignisse hat die FDP ihren Büroleiter, Helmut Metzner, vom Dienst abberufen. Er hatte Interna an US-Diplomaten weitergegeben. Außenminister Guido Westerwelle wird den Schaden daraus tragen müssen.

213.251.145.96

Während manch deutsches Medium nun vom Untergang von Wikileaks sprachen, hat die Blockade der Weiterleitung durch wikileaks.org nicht zur Abschaltung der Whistleblower-Plattform geführt. Denn wikileaks.org sorgte nur dafür, dass Benutzer auf die Seite mit der kryptischen IP-Adresse 213.251.145.96 weitergeleitet wurden. Jede Seite im Internet ist über solch eine Nummer ausgewiesen. Dienstleister wie Everydns.net oder das deutsche Unternehmen denic vermieten dann die einfacher zu merkenden Umleitungsadressen wie eben wikileaks.org. Auf RauteMusik.FM würde man übrigens auch durch Eingabe der IP-Adresse 193.34.50.5 kommen.

Wikileaks kann, trotz Amazon, Paypal oder Everydns.net überleben. Die aktive Community rund um Wikileaks, die besonders große mediale Aufmerksamkeit und der hohe Druck der Wahrheit werden nicht einfach zur Abschaltung von Wikileaks führen. Zwar wird Assange verfolgt und könnte schon nächste Woche nach Schweden ausgeliefert werden, die Wahrheit, egal welche, wird am Ende aber siegen. Für uns Bürger gilt: „Glaube denen, die die Wahrheit suchen, und zweifle an denen, die sie gefunden haben.“ – André Gide.

Quellen: Wikileaks.ch | Sueddeutsche.de | Spiegel.de | FAZ 04.12 | FAS 05.12

Bilder:
(cc-by-sa) Wikileaks / Wikipedia.org
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