Kommentar: Unsere Freiheit in Gefahr

Am Freitag wurde im Bundestag das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherungverabschiedet. Bei der Umsetzung einer EU-Richtlinie handelt es sich nicht nur um einen Angriff auf den Rechtsstaat, sondern auch um einen Grundrechtsbruch, der seinesgleichen sucht.

Begonnen hat alles gegen Ende des Jahres 2005. Damals wurde im Europäischen Parlament mit einer Mehrheit von 378 zu 197 Stimmen (und 30 Enthaltungen) der Richtlinienentwurf zurVorratsdatenspeicherung angenommen. Gut drei Monate später stimmte auch der Rat der Europäischen Union diesem Entwurf zu, ohne eine nähere Diskussion zu führen. Nur Vertreter derSlowakei und Irlands lehnten diesen ab. Damit ging der Entwurf an die nationalen Parlamente zur Umsetzung.

Interessant ist dabei, dass der 15. Deutsche Bundestag, also derjenige vor dem aktuell amtierenden, noch Anfang 2005 ausdrücklich eine solche Vorratsdatenspeicherung ablehnte. Gleichzeitigforderte er die damalige Bundesregierung unter Gerhard Schröder auf, diesen Parlamentsbeschluss auf EU-Ebene zu vertreten. Dann wurde aber im September des gleichen Jahres der Bundestag neugewählt. Dieser hat dann im Februar 2006 seine vorige Entscheidung widerrufen und mit den Stimmen von SPD und Union die Bundesregierung aufgefordert, einer solchen Speicherung doch zuzustimmenund entsprechende Unterstützung im Rat zu leisten.

Nun ist Deutschland also gezwungen, die EU-Richtlinie umzusetzen. DerGesetzentwurf, mit dem dies geschehen soll, wurde am vergangenen Freitag, dem 9. November, dem Bundestag zur Abstimmung vorgelegt und mit großer Mehrheit verabschiedet. Die Maßnahmen derpräventiven Speicherung umfassen nahezu den kompletten Bereich der Kommunikation. Dazu verpflichtet werden sollen die Anbieter der jeweiligen Dienste.

Gespeichert werden sollen:

– Bei normalen Telefongesprächen die Rufnummer des Anrufers sowie des Angerufenen inklusive des Datums, der Uhrzeit sowie der genauen Dauer des Gesprächs.
– Bei Handygesprächen die Rufnummern der am Gespräch Beteiligten, das Datum, die Uhrzeit sowie die Dauer des Gesprächs, zusätzlich noch der Standort der Teilnehmer, die ein Handy benutzen.
– Bei Internettelephonie neben den Zeitangaben auch die IP-Adresse des Internetteilnehmers.
– Bei E-Mail-Verkehr die Namen der Provider aller Beteiligten sowie deren IP-Adressen inklusive der Zeitpunkte des jeweiligen Zugriffs.
– Bei Anonymisierungsdiensten die ursprüngliche sowie die neue Angabe inklusive des Zeitpunktes des Zugriffs.

Privatpersonen sind außerdem dazu verpflichtet, ebendiese Daten zu speichern, sollten sie kostenlose WLAN-Zugänge oder E-Mail-Postfächer anbieten.

Hinzu kommt, dass Privatpersonen, also das größte Zielobjekt der Speicherung, nicht über die aufgenommenen Daten informiert werden sollen. Es besteht also keine Möglichkeitfür sie, herauszufinden, ob und wie ihre Daten gespeichert wurden. Zugriff auf diese Daten sollen die Behörden laut dem Entwurf aber nur erhalten, wenn ein begründeter Verdacht aufeine Straftat vorliegt.

Die Rechtfertigung des Gesetzes basiert auf der vermeintlichen Erleichterung der Verbrechensbekämpfung sowie auf der drastischen Zunahme der elektronischen Kommunikation in den letzten Jahren.So sollen die Daten für Ermittlungen bei schweren Kriminaldelikten und, allseits beliebtes Argument, zur Terrorismusbekämpfung benutzt werden. Aber auch die Verwendung für „harmlose“,über genannte Medien begangene Straftaten ist ausdrücklich vorgesehen.

Was die Politik wohl einfach übersehen wollte, sind die tiefgehenden Einschnitte in den Rechtsstaat und unsere Privatsphäre. So stellt dieses Gesetz grundsätzlich alle Nutzer dieserDienste unter Generalverdacht, möge er noch so unschuldig sein. Das grundlegende Prinzip der Unschuldsvermutung wird somit schlichtweg außer Kraft gesetzt.

Von großer und schwerwiegender Bedeutung sind auch die zahlreichen, tiefgreifenden Einschnitte in nahezu jedes Grundrecht, das mit Kommunikation in Verbindung gebracht werden kann. Fangen wirdazu mit der Pressefreiheit und dem Zeugnisverweigerungsrecht an: Bis jetzt war es möglich, dass Informanten sich weitgehend anonym an Journalisten wenden konnten, wenn sie für ein Themabrisante Informationen zur Verfügung stellen bereit waren und dabei möglicherweise ihre körperliche Unversehrtheit in Frage stand, sollte ihr Name bekannt werden.

Nach dem Gesetz ist nun der Informantenschutz nicht mehr gewährleistet, soll der Staat doch künftig auf sämtliche Verbindungsdaten von Kommunikationsmitteln zugreifen können.Dadurch werden bei Ermittlungen nicht nur die Journalisten selbst in Gefahr gebracht, auch Informanten als primäre Informationsquelle drohen weitreichende Einschränkungen. Erwähntwerden muss dabei auch die enorme Abschreckungswirkung auf die Informanten und somit auch die enorme Arbeitsbehinderung der Journalisten, die eine kritische Berichterstattung in Zukunft durchauserschweren wird. Dies wird auch unterstützt von Christoph Fiedler, der für ARD, ZDF und den Bundesverband deutscher Zeitungsverleger eine Stellungnahme abgab. Er sagte, dass dieVorratsdatenspeicherung die Pressefreiheit „in einem ihrer sensibelsten Punkte mit ungeahnter Intensität beschädigen“ würde.

Auch jeder einzelne von uns wird in seinen verfassungsmäßig garantierten Grundrechten verletzt. So verstößt das Gesetz deutlich gegen das Fernmeldegeheimnis, wonach sich der Staataus den Kommunikationswegen seiner Bürger grundsätzlich rauszuhalten hat. Zwar ist in Art. 10 vorgesehen, dass Ausnahmen möglich sind. Dies ist aber nur erlaubt, wenn einetatsächliche Gefährdung für den Staat und seine Bürger besteht. Dies ist aber nicht der Fall und wir befinden uns weder im Krieg, noch werden wir in unserer Existenz vonTerroristen derart bedroht, dass dies eine Überwachung in diesem Maße rechtfertigen würde.

Zudem wird auch das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt, das jedem Menschen grundsätzlich garantiert, selbst über die Weitergabe seiner Daten zu bestimmen. Dabei gibtes auch keine Unterscheidung zwischen der Relevanz dieser Daten, hat das Bundesverfassungsgericht in einem Urteil von 1983 vorgeschrieben. Einschränkungen darin darf es nur geben, falls es dasüberwiegende Allgemeininteresse so will. Dieser Fall ist hierbei aber keineswegs gegeben, zudem die Formulierungen im Gesetzestext sehr unscharf sind, ihren Zweck also nicht eindeutig offenlegenund somit ebenfalls gegen die Vorgaben des Verfassungsgerichtes verstoßen.

Im erweiterten Sinn handelt es sich dabei, und das ist zweifelsohne der größte Kritikpunkt von allen, um eine Verletzung der in Art. 1 garantierten Menschenwürde. Mit diesem Gesetzwird der einzelne Mensch nämlich nicht mehr als freies, unabhängiges und selbstbestimmendes Subjekt gesehen, sondern vollkommen zum Zwecke eines politischen Sicherheitswahnsinstrumentalisiert, also zum bloßen Objekt degradiert. Ohne es zu wissen, wird eines Menschen Kommunikation überwacht und als dauersprudelnde Informationsquelle genutzt, mit dem Vorwand zurAbwehr einer nicht gegebenen Gefährdung beizutragen.

Wir befinden uns nun also vor einer entscheidenden Schwelle hin zum Überwachungsstaat. Noch haben wir die Möglichkeit, diesem Schritt entgegen zu wirken und die Politik zur Rückkehr zuzwingen. Wir müssen dies tun, denn sonst ist eine spätere Umkehr vielleicht nicht mehr möglich. Der Glaube, ein Stück Freiheit zugunsten größerer Sicherheit aufgeben zukönnen, ist eine Illusion. Denn ein solcher Mensch begibt sich in einen Teufelskreis und wird am Enden neben seiner Freiheit auch die Sicherheit verloren haben. „Wer dieFreiheit aufgibt, um Sicherheit zu gewinnen, wird am Ende beides verlieren“, hat schon Benjamin Franklin vor mehr als 200 Jahren gesagt.

Es ergeht also nun der dringliche Aufruf an jeden von uns, von seinen demokratischen Rechten Gebrauch zu machen und sich gegen dieses Gesetz zu wehren. Wir müssen unsere Vertreter im Parlamentunter Druck setzen, diesem Gesetz auch in Zukunft die Zustimmung zu versagen. Sie haben außerdem de facto keine andere Wahl, denn eine Zustimmung würde ihnen jedweden Anspruch aufmenschenwürdige Volksvertretung rauben.

Es ist zwar unbestreitbar, dass vom Terrorismus eine nicht zu unterschätzende Gefährdung ausgeht. Doch diese ist keine Rechtfertigung, eines jeden Menschen Grundrechte zu beschneiden, nurum seine vermeintliche Sicherheit zu gewährleisten. Es ist die Pflicht der westlichen Welt, unserer Gesellschaft, sich mit den in Jahrhunderten errungenen Rechten gegen die Bedrohung zuschützen und ihr mit dem Trotz der Freiheit den Nährboden zu nehmen. Denn verlieren wir aufgrund ihrer Handlungen unsere Freiheit, haben die Terroristen schon gewonnen.

Hörer und Leser von RauteMusik, dieses eine und zudem erste Mal in unserer Geschichte fordern wir euch zum Handeln auf. Redet mit den von euch gewählten Abgeordneten, setzt sie unter Druck.Es ist ihre Pflicht, auf eure Wünsche einzugehen, denn sie vertreten eure Interessen.

Da es das Gesetz gegen jeden Widerstand durch den Bundestag geschafft hat, bitten wir inständigst, Gebrauch von eurem Recht auf Verfassungsklage zu machen. Zu diesem Zweck ermöglicht derArbeitskreis Vorratsdatenspeicherung, Vorreiter im Widerstand gegen den Gesetzentwurf, sich als Bürger einer Massenverfassungsklage anzuschließen. Auf dessen Homepage – den Link findet Ihram Ende dieses Artikels – habt ihr die Möglichkeit, ein entsprechendes Formular auszufüllen. Dies erteilt der Kanzlei Starostik in Berlin die Vollmacht, euch in der Verfassungsklage zuvertreten. Es entstehen dadurch, unabhängig vom Verfahrensausgang, keinerlei Kosten für euch. Auch werden eure Daten dabei so vertraulich behandelt, wie es nur möglich ist.

Den Staat geht es nichts an, mit wem ihr Gespräche führt oder schriftlichen Kontakt haltet. Das ist eure ganz private Sache, die in den Grundrechten unserer Verfassung garantiert wird. Unddabei soll es auch bleiben.

Links:
Homepage des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung
Direktlink zur Partizipation an einer möglichen Verfassungsklage (Vollmachtserklärung)
Informationsseite des Deutschen Bundestages zum Thema
Download des Gesetzesentwurfes der Bundesregierung (PDF)

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