Merkel in Afghanistan

Unter schärfsten Sicherheitsvorkehrungen war die deutsche BundeskanzlerinAngela Merkel gestern nach Afghanistan gereist. Sie besuchte dort die stationierten Truppen, eine Schule und traf Präsident Hamid Karsai.

Freitagabend – Flughafen Berlin-Tegel: Vom militärischen Teil des Flughafens hebt eine Maschine ab. Passagier und Ziel unbekannt – und das mit gutem Grund. An Bordbefindet sich die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel, die zu einem Blitzbesuch nach Afghanistan aufbricht. In dem umkämpften Land möchte sich die Kanzlerin persönlich ein Bild vondem Zustand der Truppen und den Fort- bzw. Rückschritten auf dem Weg zu einem friedlichen Staat machen.

Von der Reise wussten nicht viele. Selbst Außenminister Steinmeier wurde erst so spät wie möglich informiert. Man befürchtete, dass Selbstmordattentäter einen Anschlag aufdie Kanzlerin planen könnten. Deshalb galt höchste Alarmbereitschaft. Nach ihrer Landung am Flughafen in Kabul legte die Kanzlerin den Weg in die Innenstadt im Hubschrauber zurück.Geschützt durch eine Splitterschutzweste und eskortiert von zwei amerikanischen Kampfhubschraubern.

Beim Treffen mit Präsident Hamid Karsai, bot die Kanzlerin dem Staatsoberhaupt weitere Hilfe bei der Ausbildung von Polizisten an. „Wir wollen schauen, ob wir imRahmen der Haushaltsberatungen hier noch einmal einen Akzent setzen können„, sagte sie wörtlich. Bis Juni hatte Deutschland in der Polizeiausbildung eineführende Rolle gespielt. 19.000 Polizisten mittleren und höheren Dienstgrades wurden bisher mit deutscher Unterstützung aus- und fortgebildet. Merkel betonte, dass dermilitärische Einsatz, die Polizeiarbeit und der wirtschaftliche Aufbau des Landes eine untrennbare Komponente darstellen. Mit Bezug auf die Polizeiarbeit sagte sie weiter, sie sei „einer der zentralen Punkte, damit die Menschen in Afghanistan auch wirklich erleben können, dass sie in einem Staat leben, der für ihre Sicherheit sorgt.

Im weiteren Verlauf ihres Aufenthaltes besuchte die Kanzlerin die AmaniOberrealschule. Unbeeindruckt von dem schlechten Omen, das diesen Schulbesuch begleitete – 1993 war bei einem Besuch des afghanischen Königs ein tödliches Attentat auf das Staatsoberhauptverübt worden – richtete Merkel das Wort an die Schülerinnen der Bildungsstätte. „Auf euch kommt es an„, sagte die Kanzlerin den Mädchen und möchtedamit zum Ausdruck bringen, dass es vor allem Bildung und Aufklärung sind, mit denen die Taliban bekämpft werden können. Auf die Frage, wer Präsidentin werden will, meldete sichgut ein halbes Dutzend der Schülerinnen. Genug „für eine gute Wahl“ befand Merkel.

Der Besuch der deutschen Truppen in Masar-i-Scharif, dem größten Stützpunkt der Bundeswehr in Afghanistan, nahm zunächst einen traurigen Anfang. Bei einer Gedenkstättefür im Einsatz gefallene Soldaten verweilte die Kanzlerin einen Augenblick.

In den folgenden Gesprächen machte sich Merkel ein Bild über die militärische Situation, aber sprach auch mit den Soldaten über ihre Wünsche und Sorgen. Dabei versäumtesie nicht zu betonen, dass sie eine Ausweitung des Bundeswehreinsatzes auf den umkämpften Süden des Landes weiterhin ablehnt. Sie hielte es für einen Fehler, wenn die deutschen Truppenihre Mission im Norden nicht im bisherigen Umfang fortsetzen würden.

Als die Kanzlerin am Abend wieder zurück nach Deutschland flog, konnte sie auf einen gelungenen Besuch zurückblicken. Präsident Karsai dankte ihr für die „selbstlose Hilfe“ der Deutschen und betonte noch, dass alle Afghanen wissen, „dass Deutschland einer der alten guten Freunde“ sei. Auch mit Blick auf ihren Besuchbei US-Präsident Bush in der nächsten Woche hat sich ihr Aufenthalt in Afghanistan sicher gelohnt. Sie kann nun mit Informationen und Eindrücken aus erster Hand mit dem amerikanischenPräsidenten über Lösungsstrategien der „Afghanistan-Frage“ beraten.

Zu guter Letzt hat Merkel auch einen innenpolitischen Vorteil aus ihrer Reise gezogen: Kritische Stimmen aus der Opposition hatten der Kanzlerin kürzlich erst vorgeworfen, sie würde nichtregieren. Außerdem hatte unter anderem Außenminister Steinmeier mit Nachdruck einen Truppenbesuch von Merkel gefordert. Es war also, zwei Jahre vor der nächsten Bundestagswahl,sicher keine ganz uneigennützige Reise der Kanzlerin. Doch solange es im Endeffekt einer guten Sache dient, ist ein bisschen politische Profilierung sicher legitim.

Kommentieren